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Eintracht Frankfurt: Unser letzter Sieg in Neapel

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Von: Oliver Teutsch

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Zeitzeugen im Gespräch. Zwei Eintracht-Fans am Tag nach dem Triumph auf Stippvisite am Vesuv.
Zeitzeugen im Gespräch. Zwei Eintracht-Fans am Tag nach dem Triumph auf Stippvisite am Vesuv. Foto: privat © privat

FR-Redakteur Oliver Teutsch berichtet von einem wüsten Auswärtstrip mit der Frankfurter Eintracht im UEFA-Pokal 1994 zum SSC Neapel.

Losgefahren waren wir zu viert, aber schon an der österreichischen Grenze büßten wir einen Mitreisenden ein. Hawals Cousin Nabil durfte mit seinem vorläufigen Ausweisdokument nicht nach Österreich einreisen, das 1994 noch nicht in der EU war. Wir fuhren Nabil zurück nach München, schmissen ihn an einer Kneipe am Hauptbahnhof raus und starteten erneut in Richtung Neapel. Statt Nabil nahm nun neben mir auf der Rückbank unsere Styroporkiste Platz, in der unser Chemiker Miko eine Art Trockeneis hergestellt hatte, um unser Büchsenbier zu kühlen. Miko war eigentlich Bayern-Sympathisant, aber nachdem ich ihm von den Sausen in La Coruna und Wien berichtet hatte, wollte er jetzt wohl auch mal mit richtigen Fans verreisen.

Eintracht Frankfurt versus Neapel 1994: Mit drei Carabinieri auf die Toilette

Dank unseres Schlenkers nach München kamen wir erst zwei Stunden vor Abfahrt zum Stadion in Neapel an. Unser Hotel war ein riesiger, unpersönlicher Hotelklotz an irgendeinem Autobahnzubringer, in dem fast alle Eintracht-Fans untergebracht waren. Mitte der 90er Jahre waren Europapokal-Auswärtsspiele der Eintracht noch keine Völkerwanderung. Ein Jahr zuvor in La Coruna waren es rund 500 Fans gewesen, in Neapel nicht viel mehr. Die italienische Polizei sammelte alle Eintracht-Fans an einem lokalen Platz in der Stadt, um sie dann in einem Buskonvoi ohne Rücksicht auf rote Ampeln durch die Stadt zu eskortieren. Es ist einfach die beste Möglichkeit, auf die Auswärtsfans aufmerksam zu machen. Durch die Busfenster wurden daher alsbald unfreundliche Gebärden mit der einheimischen Bevölkerung ausgetauscht, das gehört wohl zum schlechten Ton bei solchen Anlässen.

Im Stadion dann eine herbe Enttäuschung: Das Stadio San Paulo, wie es damals noch hieß, war nicht mal zur Hälfte gefüllt. Die Napoli-Anhängerschaft befand sich noch in der posttraumatischen Maradona-Ära, der UEFA-Pokal, selbst ein Achtelfinale, lockte nicht die Massen. Dafür begleiteten mich, als ich aus dem Block auf Toilette musste, gleich drei schwerbewaffnete Carabinieri. Ich weiß bis heute nicht, ob sie mich beschützen oder überwachen wollten.

Eintracht Frankfurt versus Neapel 1994: Gaudino, Yeboah und Okocha waren suspendiert

Die Stimmung im Stadion war trotz der schmalen Kulisse hitzig, das Spiel milde formuliert unansehnlich. Trainer Jupp Heynckes hatte einige Tage zuvor die störrischen Kreativspieler Maurizio Gaudino, Anthony Yeboah und Jay-Jay Okocha suspendiert und ließ nun ehrlich malochen. Da mit Matthias Becker und Jan Furtok nur zwei ausgewiesene Offensivkräfte auf dem Platz standen, war zumindest die Defensive sattelfest. Daher war nach dem reingestocherten 1:0 durch Ralf Falkenmayer klar, dass wir ins Viertelfinale einziehen würden, nachdem wir bereits das Hinspiel 1:0 gewonnen hatten. Die Freude im Block kannte keine Grenzen, alles stürzte wild durcheinander.

Nach Spielschluss skandierten einige tatsächlich „Jupp Heynckes“. Thorsten Legat stieg auf den Zaun und präsentierte seinen nackten, durchtrainierten Oberkörper. Es fehlte nur noch Öl, um zu glänzen. „Jetzt werden wir uns mal richtig einen einlöten“, trompetete Hawal, als ob wir das nicht schon seit 30 Stunden getan hätten. Die Feierlichkeiten sind daher auch schnell erzählt: Zurück auf dem Hotelzimmer trank jeder von uns noch zwei Büchsen Bier, dann schliefen wir ein.

Eintracht Frankfurt versus Neapel 1994: Versumpft auf der Heimfahrt

Die laue Geschichte könnte hier eigentlich zu Ende sein, wenn wir nicht beschlossen hätten, uns auf der Heimfahrt noch mal ein schickes Essen zu gönnen. Am Vormittag waren wir noch schnell ein bisschen am Vesuv rumgekraxelt, dann ging es Richtung Heimat. Für das Abendessen sollte das toskanische Städtchen Arezzo herhalten. Nur noch schnell zum Geldautomaten. Auf der Suche sahen wir eine Kneipe, die Krombacher ausschenkte. 1994 eine Sensation. Als hätte der Fußballgott gewollt, dass wir dort einkehren, war direkt vor der Kneipe ein Parkplatz frei. Selbstredend war von Abendessen bald keine Rede mehr und Hawal, der nach einer Bedienung schmachtete, verkündete nach jeder Runde: „Noch ein Bier, dann spreche ich sie an.“ Miko hatte irgendwann genug und wollte im Auto pennen. Mit ihm ging auch unser letztes Bargeld, was wir allerdings erst merkten, als wir ein paar Runden später zahlen wollten. Die Idee zum Zeche prellen stammt nicht von mir, gleichwohl war ich es, der nur ein paar Sekunden später eine Hand auf seiner Schulter spürte, als wir vor dem verschlossenen Wagen standen, in dem Miko seinen Rausch ausschlief.

Wieder in der Kneipe vor dem Tresen, verdrückte sich Hawal die Treppe hoch auf Toilette, während ich dem Personal und der bald darauf eintreffenden Polizei versuchte zu erklären, dass wir nur Geld aus dem Auto holen wollten. Als Hawal von der Toilette kam, stürzte er die letzten Treppenstufen runter und bremste wie in einem Comic mit dem Kinn direkt vor zwei Polizisten, was mein Gefasel von einem internationalen Missverständnis ein Stück weit konterkarierte.

Eintracht Frankfurt versus Neapel 1994: Schlafen im konfiszierten Auto

Die Polizei hatte jetzt auch genug von uns und wollte mal den dritten im Bunde in Augenschein nehmen. Das war nicht einfach, denn Miko war nicht wach zu kriegen. Da half alles Gerüttel und Geklopfe nicht und auch nicht das Eintreffen zweier Mannschaftswagen der Polizei sowie eine immer größer werdende Menge Schaulustiger. Die Polizei forderte Hawal auf, ein kleines Seitenfenster seines Autos einzuschlagen, um ins Innere zu gelangen. Offenbar dachten die Carabinieri, wird würden in „Immer-Ärger-mit-Bernie“-Manier mit einer Leiche durch die Lande touren. Hawal trat schließlich mit seinem Stiefel gegen die Tür, an der Mikos Kopf auf der Rückbank gebettet war. Das half. Der Anblick von Miko, wie er schlaftrunken durch die Reihen der ein Kopf kleineren Carabinieri taumelte, war unbezahlbar, zumal ihn unser Gezische, warum er die Knöpfe runtergedrückt hatte, zusätzlich zu irritieren schien.

Wir wurden aufs Polizeirevier am Ortsrand verfrachtet, das Auto bis zum nächsten Morgen um sieben Uhr einbehalten. Die Polizei war eigentlich ganz nett, nicht mal unsere Personalien wollten sie. Hawal wollte allen Ernstes zurück in die Bar, um „die Bedienung jetzt endgültig klarzumachen“. Im einsetzenden Nieselregen stritten wir uns stattdessen ein bisschen, bis wir schließlich fröstelnd bei den Carabinieri anfragten, ob wir im Wagen pennen durften, was bejaht wurde. Morgens um halb sieben klopfte ein grinsender Polizist an die Scheibe und reichte uns den Autoschlüssel. Wir kurbelten die Sitze hoch und fuhren heim. Im Gepäck hatten wir noch ein paar Dosen Bier und den Sieg in Napoli.

Spuren einer Auswärtsfahrt. Für Wagenwäsche war keine Zeit. Foto: privat
Spuren einer Auswärtsfahrt. Für Wagenwäsche war keine Zeit. Foto: privat © privat
Im Kofferraum war auf der Rückfahrt wieder etwas Platz. Foto: privat
Im Kofferraum war auf der Rückfahrt wieder etwas Platz. Foto: privat © privat
Eisgekühltes Proviant in Styroporkiste. Foto_ privat
Eisgekühltes Proviant in Styroporkiste. Foto_ privat © privat

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