Die Party soll noch weitergehen

Zehntausende Eintracht-Fans hoffen darauf, dass ihr Verein die nächste Runde im Europapokal erreicht.
Man spürt es in der Stadt. Man kann es riechen, schmecken – man kommt überhaupt nicht daran vorbei, dass da was in der Luft liegt! Wie bitte? Frühling? Ja, auch, aber … nein: Europa liegt in der Luft. Ganz viel Europa.
So viel Europa war lange nicht mehr. Wenn die Eintracht am Donnerstagabend um 18.55 Uhr im Waldstadion gegen Schachtjor Donezk antritt, einen Fußballverein, von dem auch 39 Jahre nach dem ersten Aufeinandertreffen nur die wenigsten wissen, wie man ihn richtig ausspricht – wenn diese wegweisende Partie angepfiffen wird, zeigt sich Europa seiner heimlichen Hauptstadt Frankfurt wieder einmal von der verführerischsten Seite. Stemmt eine Hand in die Hüfte, streckt die andere aus und sagt: Na komm, Eintracht, kommt, ihr Frankfurter. Lasst uns einen Schritt weitergehen.
Zugegeben: Die Chancen stehen exakt genauso gut oder schlecht wie vier Jahre und 359 Tage zuvor, als es gegen den FC Porto ebenfalls nach dem Hinspiel 2:2 stand und am Ende dann 5:5 für die Falschen, die mit den zahlreicheren Auswärtstoren. Aber damals hatten wir keinen Bruda Rebic, keinen Luka Jovic, keinen Sebastien Haller, wir hatten keinen Hase B – und wir hatten zwar eine überwältigende Stimmung im Stadion. Aber was in dieser Europapokalrunde geschieht, übertrifft dennoch alles Dagewesene.
Die Heimspiele: alle innerhalb von Stunden ausverkauft, selbst wenn noch kein Mensch weiß, gegen wen überhaupt gespielt wird. Und dann die Auswärtsspiele. Man hat das Gefühl, ganz Frankfurt wäre am liebsten nach Marseille, nach Rom, nach Zypern und in die Ukraine gefahren, um die Mannschaft quer durch den Kontinent bis zur Endspielstätte ins aserbaidschanische Baku zu tragen. Das ging natürlich nicht, aus verschiedenen Gründen. Eintracht-Vorstand Axel Hellmann erzählte vor dem Heimspiel am vergangenen Samstag auf dem Fan-Podium „Waldtribüne“, wie perplex die Gastgebervereine jeweils ob des Frankfurter Ansturms waren. „Die haben uns gefragt: Wie viele Eintrittskarten braucht ihr? Und wir haben gesagt: Alles, was ihr habt.“
Am Ende lief es oft darauf hinaus, dass die Frankfurter nach dem Spiel im Dunkeln zu Fuß zurück in ihre Hotels laufen mussten, weil von den erhofften Bussen weit und breit nichts zu sehen war. „2500 Kilometer weg von zu Hause, nachts um halb zwei laufe ich durch die eiskalte, schwarzdunkle Nacht, umgeben von Plattenbauten, durch Charkiw. Das ist nahezu surreal. Eintracht Frankfurt international“, schreibt Axel Hoffmann, weithin bekannt unter dem Fan-Namen Beve, in seinem herausragenden Blog „Beves Welt“ (www.beveswelt.de).
Einmal so richtig freuen
Schutzlos in der Ukraine, ein paar Wochen zuvor mit mulmigem Gefühl durchs Hoheitsgebiet der rechtsgerichteten Fans von Lazio Rom. Und trotzdem kriegen die Verrückten nicht genug. Die vom Eintracht-Podcast beispielsweise, inzwischen fester Programmpunkt im Wochenrhythmus (www.eintracht-podcast.de). Marvin Mendel aus der unterhaltsamen Palavertruppe erinnerte in der jüngsten Folge daran, was er sich vom Spiel in Charkiw gegen Donezk erhoffte: „Ich wollte mich einmal so richtig freuen können.“ Es gab dann gleich mehrere Gelegenheiten dazu. Und Mit-Podcaster Basti Red erzählte eine Anekdote nach der anderen: wie sie einen freundlichen Ukrainer mit ins Stadion nehmen wollen, weil sie eine Karte übrig hatten. Wie der sich unbändig darüber freute. Und wie er dann doch nicht mit hinein konnte, weil er sturztrunken war. Der Ukrainer natürlich.
Basti Red wünscht sich vor der Partie heute Abend eigentlich nur eines: morgen wieder in Hochspannung vor dem Fernseher zu sitzen. Dann wird in Nyon das Achtelfinale ausgelost. Sollte die Eintracht dabei sein, dürfte eines sicher sein: Für europäische Festtagsstimmung gibt es in Frankfurt keine Obergrenze.
Das findet auch Peter Feldmann. Der Frankfurter Oberbürgermeister sagt: „Nicht nur als Oberbürgermeister, sondern vor allem als Fan hoffe ich auf ein Weiterkommen in der Euro-League.“ Die Eintracht verkörpere „das tolerante, lebensfrohe Image Frankfurts: Einen besseren Imageträger kann sich unsere Stadt nicht wünschen“, so Feldmann, der die reisefreudigen Eintracht-Fans als „großartige Botschafter unserer Heimatstadt“, bezeichnet.
Imagegewinn für die Stadt
Thomas Feda ist in Sachen Eintracht ganz Profi. Als gebürtiger Franke ist der Chef der städtischen Tourismus- und Congress- GmbH Fan des 1. FC Nürnberg, aber nun kümmert sich Feda um das Stadtmarketing der Mainmetropole, und das tut er mit viel Hingabe und nutzt dafür die Eintracht. „Der Verein ist eine Weltmarke“, sagt er. Die Stadt Frankfurt profitiere zum einen von Übernachtungen der Fans der Auswärtsmannschaft (aus Donezk werden aber nur ein paar Dutzend erwartet). Zum anderen aber nutze die Stadt „den Sympathiefaktor der Eintracht“. Denn Frankfurt, so räumt Feda ein, komme zwar als wichtige, geschäftige Metropole rüber, und entsprechend hoch seien auch die Übernachtungszahlen: „Aber die Sympathiewerte der Stadt sind ausbaufähig.“
Feda erinnert sich noch gut daran, wie einst ein gewisser Naohiro Takahara bei der Eintracht groß aufspielte. In einem Interview sagte der Japaner, es gefalle ihm gut in Frankfurt. Eigentlich keine weltbewegende Aussage, „aber in den vier großen japanischen Sportzeitungen gab es seitenlange Berichte über Frankfurt – das hilft uns natürlich“, sagt Feda.
Und wenn Ende dieser Woche wieder Sonderseiten in der japanischen Presse erscheinen, weil Makoto Hasebe das Spiel seines Lebens macht und die Eintracht in die nächste Runde führt? Thomas Feda, Peter Feldmann und die vielen Tausend Eintracht-Fans, die auf weitere Reisen hoffen, hätten nichts dagegen.