Eintracht Frankfurt: Adler auf der Hand

Bei den Eintracht-Heimspielen begleitet Norbert Lawitschka den Greifvogel Attila ins Stadion. Am Donnerstag wollen sie ins Finale – so wie 2006, als alles begann.
Wenn die Adler reisen, wenn Eintracht Frankfurt auswärts spielt, dann ist Attila nicht dabei? Von wegen. Körperlich ist er vielleicht nicht dabei. Aber beim erfolgreichen Hinspiel gegen West Ham United am vorigen Donnerstag in London, da saß der einzige wirklich ganz echte Adler im Verein vor dem Fernseher. Bei Norbert Lawitschka. Im Wohnzimmer. Auf dem Lederhandschuh. Denn wenn es bei der Eintracht ansonsten immer heißt: Adler auf der Brust, dann heißt es bei dem 68-Jährigen Falkner: Adler auf der Hand.
Und das schon seit 2006. Damals fing es an, dass Steinadler Attila bei den Heimspielen der Eintracht als lebendiges Wappentier zur Stelle war – und bis heute ist. Fans und Spieler freuen sich über das Duo. Darum ist es schwierig, ein „Porträt der Woche“ nur über einen von ihnen zu schreiben. Wenn schon, dann über beide.
Vögel entscheiden: Lawitschka wird Züchter
Fangen wir mit dem Älteren an. Norbert Lawitschka, Eintracht-Fan? „Schon immer.“ Und woher die Zuneigung zu den Greifvögeln? „Ich habe als 14-Jähriger bei einer Vorführung einen Mann gesehen, der so einen stolzen Vogel auf der Hand hatte“, erinnert er sich. „Das hat mich so begeistert!“ Er legte sich später selbst zwei Falken zu, mit denen er auch auf die Jagd ging. „Irgendwann hatte ich dann zufällig zwei andere Falken in Pflege – und die haben sich gepaart.“ Es gab Nachwuchs. Die Vögel hatten gewissermaßen beschlossen, dass Norbert Lawitschka zum Züchter würde. Und das blieb er.
Die Falknerei Hanau, die er aufbaute und 15 Jahre lang führte, hat er inzwischen weitergegeben, das Geschäft mit den Tieren betreibt er aber immer noch. Es bestimmt auch den Rhythmus an jenen Tagen, wenn das Team Attila/Lawitschka einen Auftritt im Stadion hat. Wie läuft es dann?
Webb man Attila lässt, dann jagt er
„Das ist ein ganz normaler Tag“, sagt der Falkner. Um 6 Uhr aufstehen, die Vögel versorgen. Dann erst Attila aus der großen Flugvoliere abholen, in der er wohnt (wenn er nicht gerade bei Freunden im Wohnzimmer Fußball schaut). Oder Lawitschka holt Attila einfach aus dem Garten an seinem Haus im Spessart ab. „Er lebt schon immer auch bei uns zu Hause. Im Herbst und Winter kann er auch frei fliegen, damit er Bewegung bekommt.“ Natürlich unter Aufsicht. Im Sommer fliegt er nicht frei. „Sonst jagt er.“ Darf er aber nicht. Schonzeit. Macht er trotzdem, wenn man ihn lässt. „Das ist einfach in seinen Genen.“
Von daheim also fährt das Duo ins Stadion, der Mensch am Steuer, der Adler in einer Hundebox. „Attila fährt gern Auto. Daran ist er gewöhnt, seit er ein Baby war.“ Am Ziel angekommen, gehen beide ihre Runde, begrüßen die Fans und die Leute am Spielfeldrand, die Presse, die Eintracht-Mitarbeiter, die Mannschaft. „Die Spieler wollen ihn immer gern mal streicheln“, sagt Norbert Lawitschka. Hat Attila einen Lieblingsspieler? Kann man so nicht sagen, überlegt sagt sein bester Freund. Andersherum schon eher: Torwart Lukas Hradecky kam immer gern und nahm Kontakt auf, Torjäger Ioannis Amanatidis auch. Und heute? „Martin Hinteregger mag ihn sehr gern.“ Kein Wunder. Beide lieben die Berge.
ZUR PERSON
Norbert Lawitschka, 68, ist Falkner. Sein Steinadler Attila, 18, Flügelspannweite 1,90 Meter, Gewicht etwa vier Kilo, ist das lebendige Maskottchen von Eintracht Frankfurt.
Kurz bevor das Spiel losgeht, laufen Attila und Lawitschka gemeinsam mit der Mannschaft ins Stadion. Ob sie dann bleiben, hängt von der Situation ab und von den Fans. „Es kann immer mal sein, dass was geflogen kommt.“ Von den Rängen. Dann verabschiedet sich Attila lieber. Insgesamt bewahrt er aber, zum Erstaunen vieler, die Ruhe. „Weil er auch daran gewöhnt ist“, sagt Lawitschka. Bei den Flugschauen, wenn Attila vor Publikum auftritt, sind schließlich auch viele Leute dabei.
Nur am Abend ist es so eine Sache. Im Dunkeln will er eigentlich seine Ruhe. „Das ist die Natur. Man kennt das doch – wenn man schon den Schlafanzug anhat, will man nicht mehr raus.“ Da hilft das Flutlicht. Wenn im Stadion die Nacht zum Tag wird, ist auch Attila wieder fit, der schöne, stolze Adler. Er könnte glatt eine Runde durchs Stadion drehen. In Lissabon, wo der Verein Benfica ebenfalls einen Adler als Maskottchen hat, geschieht das. Warum nicht in Frankfurt?
Den Adler im Stadion fliegen lassen?
„Wir haben das anfangs überlegt“, sagt der Falkner. „Es ist aber nicht erlaubt, auch weil der Flughafen in der Nähe ist.“ Dazu kommen die vielen Drahtseile des Cabrio-Stadiondachs: „Stellen sie sich vor, der fliegt da rein und verletzt sich schwer.“ Oder jemand aus dem Publikum kommt zu Schaden. „Dann ist es gelaufen mit dem lebenden Maskottchen.“
Wie fing es eigentlich an mit Attila? „Das war bei einer unserer Flugshows. Da hat uns ein Eintracht-Mitarbeiter angesprochen, ob das denkbar wäre, dass ein echter Adler als Wappentier im Stadion ist.“ Michael Feick war es, damals Pressesprecher, 2011 leider allzu früh verstorben. Ob das also mit dem Adler klappen könnte? Lawitschka war nicht sofort begeistert von der Idee. „Ich wusste ja gar nicht, ob das junge Tier das überhaupt will. Und ich wollte ihn ja nicht quälen.“
Also wurde erst einmal behutsam getestet, eine sachte Annäherung ans Stadion, schauen, wie er das wegsteckt. „Aber ich habe gleich beim ersten Spiel gesehen: Das macht ihm gar nichts aus.“ Zwei, drei, vier Mal war Attila vor Ort, ohne dass das Publikum etwas davon mitbekam. Beim Pokalfinale 2006 hatte er dann seinen ersten ganz großen Auftritt. Und seither hat das Team Attila/Lawitschka kein Heimspiel mehr verpasst. Auswärts ist der einzige wirklich echte Adler nur bei den Pokalfinals in Berlin dabei. Aber die sind ja, wie man weiß, auch eher Heimspiele für die, die es mit dem Adler halten.
Volljährig ins Finale nach Sevilla?
Am Samstag ist Attila 18 Jahre alt geworden – er schlüpfte am 30. April 2004 aus dem Ei. Wenn ihn die Eintracht gerade nicht zur Unterstützung braucht, geht er gern auf Tour in die Fanclubs oder zu Amateurfußballvereinen in der Rhein-Main-Region. Die Freude ist dann ganz beiderseits, denn die Menschen mögen den Eintracht-Adler und der Eintracht-Adler mag die Menschen. „Der is gern unner de Leut“, sagt Lawitschka. „Des is en Gassebub.“ Deshalb hatten manche auch Sorge, Attila könnte in der Corona-Pandemie vereinsamen, als die Termine im Stadion und bei den Fans wegfielen. Aber: „Der vereinsamt nicht“, versichert Norbert Lawitschka, „er hat ja uns.“
Am Donnerstagabend trifft er ja auch die Mannschaft wieder. Dann wollen sie zusammen ins Finale. Es wäre das vierte gemeinsame Endspiel – aber das erste europäische. Ein Remis würde genügen. Adlerstark.