Hauptbahnhof Frankfurt: ICE und Regionalbahn schrammen knapp an Zugunglück vorbei

Ein Sicherungssystem lässt eine Regionalbahn am Hauptbahnhof Frankfurt entgleisen, damit sie nicht frontal auf einen ICE fährt.
Frankfurt - Fast hätte es am Donnerstag in Frankfurt ein Zugunglück gegeben. In der abendlichen Hauptverkehrszeit, mitten im Hauptbahnhof. Am Ende des Bahnsteigs von Gleis 13 rollten um 17.27 Uhr zwei Züge direkt aufeinander zu. Sie kamen nur Zentimeter voneinander entfernt zum Stehen. Das zeigt Foto- und Videomaterial, das der Frankfurter Rundschau vorliegt.
Beteiligt war der ICE 1671 auf seiner Fahrt vom Ostseebad Binz über Gießen und Darmstadt nach Karlsruhe, der Frankfurt planmäßig um 17.20 Uhr verlassen sollte. Der Fernzug startete gerade, als ihm ein Fahrzeug der Hessischen Landesbahn entgegenkam. Das war unterwegs aus der Abstellanlage zu den Bahnsteigen. Der Regionalzug hätte dort nach den bisher vorliegenden Informationen nicht fahren dürfen.
Zug endet im Schotterbett am Hauptbahnhof Frankfurt
Der Lokführer des ICE leitete nach Aussage eines Augenzeugen eine Schnellbremsung für Gefahrenfälle ein. Inzwischen meldete sich eine Reisende, die im Zug war, bei der FR und berichtete, der Lokführer sei nach eigenen Angaben zunächst selbst von der Bremsung überrascht gewesen.
Dass es nicht zur Kollision kam, ist vor allem den technischen Sicherheitssystemen zu verdanken. Offenkundig überfuhr die gelb-rote Regionalbahn ein Sperrsignal – und aktivierte dadurch einen Notmechanismus. Der ließ das Triebfahrzeug der Hessischen Landesbahn absichtlich entgleisen – und ins Schotterbett rollen.
Das verhinderte ein Unglück. Denn die Zugspitzen kamen nebeneinander zum Stehen. Wären beide Fahrzeuge auf den Schienen geblieben, sie wären zusammengestoßen.
Der Schienenverkehr ist eine komplexe Angelegenheit – und nach Unfällen wird die Ursache meist lange und gründlich untersucht. In diesem Falle nannte jedoch eine Landesbahn-Sprecherin der FR schon den wahrscheinlichen Grund: „eine Unachtsamkeit des Triebfahrzeugführers“. Sie legte Wert auf die Feststellung, dass es sich um einen erfahrenen Mitarbeiter handele. Die Sprecherin bestätigte zudem, dass das Sicherungssystem den Zug zum Entgleisen brachte.
Hauptbahnhof Frankfurt: Mehrere hundert Passagiere an Bord des ICE
Im ICE waren nach Beobachtungen der Frankfurter Rundschau vor Ort mehrere Hundert Reisende. Insgesamt bieten die sieben Wagen des Zugtyps knapp 400 Sitzplätze. Weil der hintere Teil des ICE gerade noch am Bahnsteig stand, konnten alle Menschen den Zug verlassen. Nach Angaben der Deutschen Bahn wurde niemand verletzt.
Trotz des glimpflichen Verlaufs sind Schaden und Auswirkungen beachtlich. Die Hessische Landesbahn beziffert die Kosten für die Reparatur ihres Fahrzeugs auf 200.000 Euro.
Bis in den späten Abend hinein arbeiteten Fachleute daran, den Zug wieder auf das Gleis zu heben. Er wurde anschließend abgeschleppt, muss in die Werkstatt – und fällt bis auf Weiteres aus. Hier und da werden deshalb jetzt gelb-rote Fahrzeuge rollen, die kürzer sind als gewohnt.
Am Donnerstagabend blieben nach dem Unfall die Gleise 10 bis 13 des Frankfurter Hauptbahnhofs gesperrt. Züge wurden umgeleitet und verspäteten sich. Die Hessische Landesbahn richtete nach eigenen Angaben einen Busersatzverkehr nach Hanau ein.
Die Schienenunternehmen berichten über den Vorfall auffällig zurückhaltend. Von sich aus nennen sie lediglich die Entgleisung einer Rangierfahrt ohne Reisende. Als Ursache der Verspätungen führten die elektronischen Auskunftssysteme „Gegenstände im Gleis“ an. Die Bundesstelle für Eisenbahnunfalluntersuchung teilte am Freitag auf Nachfrage mit, es sei bisher kein Ereignis gemeldet worden. (Michael Bayer)
Unfallbehörde kritisiert Bahn
Die DB versucht, die Entgleisung im Frankfurter Hauptbahnhof klein zu halten - und verstößt dabei gegen Meldevorgaben. Der Fahrgastverband Pro Bahn kann dem Unfall positive Seiten abgewinnen. Lesen Sie den jüngsten Stand zur Beinahekollision.
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