Drogenreferatsleiter in Frankfurt: „Die Zeit vor dem Bildschirm hat allgemein zugenommen“

Der Leiter des Frankfurter Drogenreferats, Artur Schroers, spricht im Interview über ungesunde Nutzungszeiten und die Verantwortung der Eltern.
Herr Schroers, haben junge Menschen in Frankfurt ein Problem mit ihrem Mediennutzungsverhalten?
Die Nutzungszeiten von elektronischen Medien sind schon erstaunlich. Junge Menschen verbringen etwa so viel Zeit im Internet allein mit Informationssuche, Kommunikation und Social Media wie für Serien und Filme schauen oder Fernsehen – und zwar jeweils mehr als 24 Stunden pro Woche. Dazu kommen dann im Schnitt noch etwas mehr als acht Stunden für Videospiele. Das wären pro Woche somit 56 Stunden, die Jugendliche mit Medien verbringen.
Wie gut weiß das Drogenreferat über die Mediennutzung der Jugendlichen Bescheid?
Dank der Drogentrendstudie Mosyd, die jedes Jahr vom Centre for Drug Research der Goethe-Universität in Frankfurt erhoben wird und die das Drogenreferat bereits seit über 20 Jahren finanziell fördert, wissen wir ziemlich genau, welche Interessen die Jugendlichen in Frankfurt haben und wie intensiv sie sich damit befassen. Die Ergebnisse von Mosyd sind vergleichbar mit anderen Studien wie der JIM-Studie des Medienpädagogischen Forschungsverbunds Südwest. Die Zeit vor dem Bildschirm hat allgemein zugenommen. Nicht nur für Erwachsene, auch für Jugendliche sind die Bildschirmmedien aus dem privaten und auch schulischen Alltag nicht mehr wegzudenken.
Sie haben die Gesamtnutzungsdauer von 56 Stunden pro Woche aus der Mosyd-Erhebung angesprochen. Das zeichnet eher ein besorgniserregendes Bild. Wie ordnen Sie dies ein?
Internet, Streaming und Gaming nehmen tatsächlich viel Zeit ein. Wenn man die Zeit für schulische Tätigkeiten miteinbezieht, ist das ein enormer Anteil vom Tag. Studien wie Mosyd oder auch die erwähnte JIM-Studie zeichnen da ein ähnliches Bild. Nutzungszeiten sind aber nur ein Gradmesser für ein problematisches Verhalten. Wenn der Medienkonsum dazu führt, dass Gedanken nur noch darum kreisen, Gefühle vereinnahmt werden, der Konsum zu anhaltenden Konflikten führt und die Kontrolle über das eigene Verhalten verloren geht, kann man zumindest von einer schädlichen Nutzung sprechen. Für solche Fälle sind wir jedenfalls froh, dass es die Spezialambulanz Computerspielabhängigkeit für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene am Institut für Psychologie der Goethe-Universität Frankfurt, Abteilung Kinder- und Jugendpsychotherapie, gibt.
Wann spricht man von Mediensucht?
„Störungen durch süchtiges Verhalten“ wurde als neue Kategorie in der ICD-11 aufgenommen. Das ist die internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme. Die Weltgesundheitsorganisation hat offiziell anerkannt, dass neben psychoaktiven Substanzen auch belohnende Verhaltensweisen abhängig machen können. Neben der Glücksspielstörung, die bereits in der ICD-10 gelistet ist, wurde die Gaming Disorder (Computerspielstörung) als neue Diagnose in diese Kategorie aufgenommen. Das Erscheinungsbild ist charakterisiert durch Kontrollverlust, dass Gaming immer den Vorzug vor anderen Aktivitäten erhält und dass weitergespielt wird, auch wenn das negative Konsequenzen nach sich zieht. Ein weiteres Merkmal ist, dass die Symptomatik dazu führt, dass eine Teilhabe am sozialen Leben nicht mehr möglich ist.
Gibt es Zahlen, wie viele junge Menschen von Computersucht betroffen sind?
Nach einer Studie des Deutschen Zentrums für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters erfüllten 2,7 Prozent der Befragten die Kriterien einer Computerspielsucht, 2021 waren es 4,1 Prozent. Bei der Abhängigkeit von sozialen Medien stieg der Wert von 3,2 Prozent auf 4,6 Prozent. Eine weitere Studie der Ambulanz für Spielsucht, Universitätsmedizin Mainz, geht von circa zwei bis vier Prozent der Jugendlichen aus, die die Kriterien für eine Internetsucht erfüllen, weitere vier bis acht Prozent weisen ein auffälliges (problematisches) Nutzungsverhalten auf. In der Allgemeinbevölkerung liegt die Prävalenz zwischen ein und zwei Prozent. Nutzungsstörungen im Internet gibt es neben dem Bereich des Computerspiels insbesondere in den Bereichen Social Media und Pornografie.
Und was bedeutet das für Frankfurt?
Geht man nur von dem konservativ geschätzten Prozentsatz von zwei Prozent der Jugendlichen aus, die eine Störung in Bezug auf Social Media oder Computerspiel aufweisen, sind dies in einer Großstadt wie Frankfurt immerhin 500 Personen im Alter zwischen 14 und 17 Jahren.
Und wie sieht es aus, wenn man dies mit anderen Süchten vergleicht?
Wie sich die Zahlen im Vergleich zu anderen Süchten darstellen, zeigen Ergebnisse eines Surveys der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung aus dem Jahr 2021: Gut vier Fünftel (82,9 Prozent) aller 12- bis 17-jährigen Jugendlichen gaben an, noch nie geraucht zu haben. 6,1 Prozent bezeichneten sich selbst als Raucher bzw. Raucherin. Von den 12- bis 17-jährigen Jugendlichen hatten 57,5 Prozent schon einmal Alkohol getrunken. In den letzten zwölf Monaten hatten 8,7 Prozent aller Jugendlichen regelmäßig – also wöchentlich – Alkohol konsumiert. 3,6 Prozent haben im Durchschnitt so viel Alkohol getrunken, dass sie über dem Schwellenwert für gesundheitlich riskanten Alkoholkonsum Erwachsener lagen. In den letzten 30 Tagen hatten elf Prozent der Jugendlichen Rauschtrinken praktiziert.
Welchen Stellenwert nimmt das Thema Mediennutzung denn in der Präventionsarbeit ein?
Im Drogenreferat wurde schon früh erkannt, dass der gesunde Umgang mit Medien zu einer Kernkompetenz in der Gesellschaft werden muss – und deshalb ein großer Beratungsbedarf für Betroffene und Angehörige entsteht. 2008 hat das Drogenreferat gemeinsam mit dem Träger „Jugendberatung und Jugendhilfe“ deshalb in einer der Jugend- und Drogenberatungsstellen die Fachberatung Verhaltenssucht eingerichtet, um gemeinsam zielgerichtete Angebote für Kinder, Jugendliche, aber auch für Eltern und Multiplikatoren umzusetzen.
Was sind spezielle Präventionsprojekte in diesem Bereich?
2009 rief das Drogenreferat zusammen mit der Fachstelle Prävention zum Beispiel das Projekt „Neue Medien im Kindesalter“ ins Leben. Wir halten eine frühzeitliche Medienbildung für sinnvoll, die schon im Kindergarten- und Grundschulalter ansetzt. Neben der Fortbildung für Erzieher:innen und Lehrkräfte werden auch Eltern mit Angeboten angesprochen. Das ist der richtige Weg, wie ich finde. Kinder wachsen zunehmend in der Medien- und digitalen Welt auf – da geht es entscheidend um Vorbilder, um die richtige Begleitung und das Aushandeln von Grenzen.
Was gibt es noch?
Ebenfalls 2009 startete das Drogenreferat auch die Kooperation mit der Stadtbücherei. Das Projekt „Junge Medien-Jury“ wurde um die Games-Jury erweitert, wo Medien von jungen Leuten auch kritisch unter die Lupe genommen und bewertet werden. Uns ist wichtig, Medien nicht zu verteufeln, sondern Medienkompetenz zu schulen, damit junge Leute die positiven Möglichkeiten nutzen können, die Medien bieten. Dabei geht es auch um Erwerb und Zugang zu Wissen, um soziale und gesellschaftliche Bildung, aber auch um Kompetenzen, die später in der Arbeitswelt gebraucht werden. Natürlich sprechen wir dabei auch negative Auswirkungen an, die durch ein problematisches Nutzungsverhalten entstehen können.
Sollte man in der Prävention noch dezidierter auf die Mediennutzung eingehen?
Mit Sicherheit. Hier fehlt es nicht an konzeptionellen Ideen, sondern an den finanziellen Mitteln und Fachkräften.
Welche Rollen können und müssen Eltern bei der Präventionsarbeit spielen?
Eltern spielen die wichtigste Rolle. Als Vorbilder, um ihre Kinder auf Risiken hinzuweisen, um sie aktiv zu begleiten, um zu schauen, was ihre Kinder im Internet machen, was sie spielen, anschauen, mit wem sie kommunizieren. Eltern müssen Grenzen setzen, aber auch die Balance halten, ihren Kindern Vertrauen zu signalisieren. Wenn das nicht klappt, müssen andere Fachkräfte der schulischen und außerschulischen Bildung einspringen – eine Aufgabe, die viele, auch engagierte Fachkräfte, allerdings überfordert.
