Diskussion über koloniale Gewalt

Bei der Konferenz „Afrika neu denken“ diskutieren Experten über koloniale Gewalt. Der Vortrag in Frankfurt am Freitag trägt den Titel „Deberlinisiert Euch!“.
Am 15. November des Jahres 1884 kamen in Berlin Vertreter europäischer Staaten, des Osmanischen Reiches und der USA zusammen. Der deutsche Reichskanzler Otto von Bismarck hatte sie eingeladen. 15 Wochen tagten die Delegierten im Reichskanzlerpalais in der Wilhelmstraße. Wochen, die folgenreich sein sollten für den afrikanischen Kontinent – wenngleich kein Afrikaner mit am Verhandlungstisch saß. Die Teilnehmer steckten Einflusssphären auf dem Kontinent ab; für die koloniale Aufteilung Afrikas war die Konferenz grund- legend. Sie ging als Kongokonerenz, Westafrika-Konferenz oder Berliner Konferenz in die Geschichtsbücher ein.
In Frankfurt wird am Freitag ein Vortrag mit dem Titel „Deberlinisiert Euch!“ diese Ereignisse in Erinnerung rufen. Für drei Tage kommen Vertreter diverser Initiativen und Wissenschaftler dort zusammen – um Vorträge zu halten, Workshops zu geben, um zu diskutieren. „Afrika neu denken“ heißt die Konferenz – gut 130 Jahren nach der Berliner Konferenz. Der Mann, der seinen Vortrag mit „Deberlinisiert Euch!“ überschreibt, ist Joshua Kwesi Aikins. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachgebiet Entwicklungspolitik und Postkoloniale Studien der Universität Kassel. Er sagt: „Afrika ist nicht die Vergangenheit, sondern die Zukunft des Westens.“
Ein unglaublicher Akt kolonialer Überheblichkeit
Natürlich setzt eine „Deberlinisierung“ eine „Berlinisierung“ voraus. Die Berliner Konferenz war „ein unglaublicher Akt kolonialer Überheblichkeit“, sagt Aikins. Bismarcks Eröffnungsrede vom 15. November 1884 zeugt davon: „Den Eingeborenen Afrikas den Anschluss an die Zivilisation zu ermöglichen“, das sei ein „Wunsch“ der Regierungen aller an der Konferenz teilnehmenden Staaten, sagte Bismarck dem Protokoll zufolge.
Davon abgesehen, dass die koloniale Gewalt diesen „Wunsch“ konterkarierte – beim Völkermord deutscher Kolonialisten im damaligen Südwestafrika verloren etwa 20 Jahre nach der Konferenz zehntausende Herero und Nama ihr Leben –, ist dieser Wunsch vor allem ein Ausdruck einer kolonialen Perspektive. Es handele sich um eine „Tradition des Denkens“, sagt Aikins. Für Hegel war Afrika ein „geschichtsloser Kontinent“.
Afrika wurde vielfach als Terra Nullius betrachtet, als Niemandsland, das Kolonialisten untereinander aufteilten konnten. Die „Berlinisierung“ steht für die Etablierung von Hierarchien in den Köpfen, so Aikins: Afrika werde auch heute noch als „rückschrittlich“, der Westen hingegen als „fortschrittlich“ wahrgenommen. Das hat Einfluss auf den Entwicklungsdiskurs: Der Rückschrittliche braucht „Entwicklungshilfe“.
Konferenz ist auch ein Apell
Rehema Busch versteht den Titel der Konferenz „Afrika neu denken“ auch als Appell. Die 28-Jährige wird am Samstag bei der Konferenz auf dem Podium zum Thema „Kolonialitäten“ diskutieren. Busch ist Beirätin der Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland. Der Verein gehört zum Trägerkreis der Afrika-Konferenz; 13 weitere Institutionen, Organisationen und Initiativen gehören ihm an. Zum dritten Mal hat der Kreis, unterstützt von weiteren Kooperationspartnern, die Konferenz mit wechselnden Themen organisiert.
Im Anschluss gibt Busch einen Workshop, der sich mit Macht, Sprache und Bildern in der politischen Bildungsarbeit befassen wird. „Koloniale Kontinuitäten bleiben bestehen“, kritisiert Busch. Das heute vielfach der Begriff Entwicklungszusammenarbeit statt Entwicklungshilfe verwendet wird, und Deutschland den Vernichtungsfeldzug gegen die Herero und Nama seit dem vergangenen Juli als Völkermord anerkenne, reiche nicht aus. Noch immer würden Menschen Armut, eine fehlende Infrastruktur oder Safaris mit dem afrikanischen Kontinent verbinden, sagt Busch. Verniedlichende Begriffe wie „Häuptling“ würden auch heute noch auf afrikanische Länder bezogen und nicht auf westliche Gesellschaften. Afrika neu denken heißt für sie auch, neue Bilder zu schaffen und Wörter zu dekolonisieren.
Aikins führt wiederum Goethes Italienreise beispielhaft dafür an, wie „Entwicklung und Fortschritt durch Versklavung und Kolonialisierung ermöglicht“ wird. Die Italienreise des Dichters sei einst vom Bankhaus Bethmann finanziert worden, sagt Aikins. Zu jener Zeit habe das Bankhaus zum Großteil mit dem kolonialen Handel Geld verdient. Basierend auf seinen Reisetagebüchern verfasste Goethe später sein Werk „Italienische Reise“.
Das Modell des Westens ist gescheitert
Aikins plädiert nicht nur dafür, Afrika neu zu denken. Schon die „Idee von Entwicklung“ müsse neu gedacht werden, sagt er. Auch ökologisch betrachtet er das Modell westlichen Fortschritts als „gescheitert“. Es gebe andere „Ideen vom guten Leben“, sagt Aikins – Ideen, von denen Menschen aus dem Westen, aber auch aus Afrika lernen könnten. Aikins verweist auf die Philosophie Ubuntu. Das Konzept stammt aus dem südlichen Afrika. Das Menschsein definiere sich danach im gemeinschaftlichen Zusammenleben, so Aikins. Er bringt Ubuntu auf die Formel: „Ich bin, weil wir sind“. Das, so sagt er, sei ein Gedanke, der uns dabei helfen könne, unsere Gesellschaft anders wahrzunehmen.
Die Konferenz „Afrika neu denken“ beginnt am Freitag um 18 Uhr im Frankfurter Ökumenischen Zentrum Christuskirche, Beethovenplatz 11-13. Mehr Informationen zum Programm sowie zur Anmeldung (Tagungsbeitrag zwischen 15 und 35 Euro) im Netz: www.afrika-im-zentrum.de