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Diesseits von Afrika

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Von: Claus-Jürgen Göpfert

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Die Schriftstellerin Stefanie Zweig
Die Schriftstellerin Stefanie Zweig © Andreas Arnold

Die Schriftstellerin Stefanie Zweig, Chronistin jüdischer Schicksale, feiert ihren 80. Geburtstag. Frankfurt ist der Jüdin seit vielen Jahren Heimat. Umso mehr bestürzen sie die jüngsten Nachrichten zu Überfällen auf Rabbis und Debatten über die Beschneidung.

Die Schriftstellerin Stefanie Zweig, Chronistin jüdischer Schicksale, feiert ihren 80. Geburtstag. Frankfurt ist der Jüdin seit vielen Jahren Heimat. Umso mehr bestürzen sie die jüngsten Nachrichten zu Überfällen auf Rabbis und Debatten über die Beschneidung.

Die dunkelgrünen, schweren Ledersessel im Wohnzimmer laden zum Verweilen. Tiefe Teppiche, polierte Eichenkommoden, allenthalben silbern gerahmte, schwarz-weiße Familienfotos. Auf dem Schreibtisch fällt ein einzelnes Bild sofort ins Auge, ein Mann in einem Anzug der 50er Jahre, der fast scheu in die Kamera schaut. „Mein Vater“: Stefanie Zweig nickt.

Die kleine, schlanke Frau mit der Kurzhaarfrisur hat eine unverblümte, prägnante Art zu sprechen, die sich selbst und andere nicht schont. „Mein Vater war ein Illusionist“, sagt sie bündig, „er wollte sein Leben in Deutschland nach der Emigration neu aufbauen, er wollte alles nachholen.“ Sie hat Walter Zweig sehr geliebt, an ihm gehangen – aber er ist 1959 bereits gestorben, mit gerade mal 54 Jahren. Das Leben ließ ihn nicht alt werden.

Die jüdische Familie, auch die sechsjährige Stefanie, war 1938 vor dem Nazi-Terror nach Afrika geflohen. Fast zehn Jahre in Armut in Kenia folgten. Eine prägende Erfahrung, die nachwirkt bis in die Gegenwart. Am morgigen Mittwoch feiert die Schriftstellerin ihren 80. Geburtstag. Sie hat Weltruhm erlangt, vor allem mit ihrem autobiografischen Roman „Nirgendwo in Afrika“, 1995 erschienen, wurde er 2001 von Caroline Link verfilmt, der Film erhielt 2003 den Oscar. Und doch ist das nur das bekannteste von ihren mehr als zwei Dutzend Büchern seit 1978, Gesamtauflage mehr als sieben Millionen Exemplare.

Überwältigende Farben

Auf dem Wohnzimmertisch liegt ein aufgeklappter Laptop, das einzige moderne Einsprengsel hier. Die Hausherrin lacht fröhlich, wuselt in die Küche, kocht erst mal einen kräftigen Tee, die Tassen klappern. Die gelernte Journalistin, die bis zum erzwungenen Aus der Frankfurter Boulevardzeitung Abendpost-Nachtausgabe 1988 dort das Feuilleton führte, kann einfach nicht aufhören zu schreiben. Jede Woche verfasst sie eine Kolumne für die Frankfurter Neue Presse – und jedes Jahr kommt ein Buch heraus. Seit wenigen Tagen in den Buchhandlungen liegt ihre Autobiografie „Nirgendwo war Heimat“, die auf knapp 400 Seiten vor allem das Exil schildert. Nein, Heimat ist ihr auch Afrika damals nicht geworden. „Ich habe es geliebt.“ Das Kind Stefanie war überwältigt, von den Farben, den Gerüchen, der Tierwelt. Immer wieder kommt sie auf die Flamingos zu sprechen, die am See in der Nähe ihrer Schule lebten. Aber sie hält nichts von Verklärung: „Es ging uns wirtschaftlich sehr schlecht, es war eine sehr harte Zeit.“

80 Kilometer von den Eltern entfernt, muss Stefanie ein Internat besuchen. Schulsprache ist Englisch, sie kann anfangs kein einziges Wort, doch sie lernt rasch. Die Autobiografie ist ein Puzzle von Briefen. Sie waren damals das entscheidende Medium der Kommunikation. Am 25.?Mai 1941 schreibt Steffi an Bridget Dumbelby in Berwick-upon-Tweed in England, die ihr als Brieffreundin zugeteilt worden ist:

„Meine Lehrerin sagt, wegen der deutschen Bomben darfst Du nicht bei deinen Eltern in London bleiben und musst bei fremden Eltern wohnen. Das tut mir sehr leid. Heimweh ist schlimmer als Bauchschmerzen. Ich darf auch nicht bei meinen Eltern sein. Ich muss drei Monate hier in der Boarding School bleiben... Ich habe nur eine Freundin. Das Essen ist fürchterlich, die Matratzen hart und das Waschwasser immer kalt. So stelle ich mir ein Gefängnis vor. Aber geköpft wird hier niemand. Wir bekommen nur Prügel....“

Zweig nippt am Tee, ihre Erinnerungen sind glasklar und unsentimental. 1996 fuhr sie mit ihrem damaligen Lebensgefährten ein letztes Mal nach Kenia. „Ich wollte die Farm gerne noch mal sehen.“ Doch sie finden erst einmal nichts, irren durch einen unwirtlichen Landstrich. Schließlich stellt sich heraus: „Das Haus war niedergebrannt.“ Aber in der Nähe stößt sie „auf die Toilette, die mein Vater gebaut hatte, mit einem geschnitzten bayerischen Herz in der Tür.“

„Ich habe nie damit gerechnet, so alt zu werden“

Nein, Zweig lebt längst diesseits von Afrika. Im Haus an der Rothschildallee jetzt seit 1951: „Ich hänge an der Wohnung.“ In Frankfurt war sie am 6. Juli 1948 angekommen. Im Tagebuch schreibt sie:

„Ich habe schon auf der Reise versucht, mich wieder an Trümmer, deutsche Züge, deutsche Menschen und deutsche Stimmen zu gewöhnen. Leicht war das wahrhaftig nicht. Um zehn Uhr abends kam ich in Frankfurt an. Mama und Papa haben mich vom Bahnhof abgeholt. Ich hatte vergessen, dass meine Eltern so dünn sind und so grau im Gesicht und bin entsetzlich erschrocken, als ich sie sah...“

Stefanie selbst hatte zuvor drei Monate bei der reichen Familie Guggenheim in Zürich gelebt, konnte sich leidlich erholen. Erst viel später war die Schriftstellerin Zweig in der Lage, eine Chronik von Vertreibung und Flucht einer jüdischen Familie zu verfassen. Sie hat nichts vergessen. Und das ist schlimm. Vier Bände entstehen rund um das „Haus in der Rothschildallee“. Das Motto des letzen Bandes heißt: „Nur die Tölpel und Naiven wissen nicht, was ein gutes Gedächtnis dem Menschen antut.“

Die Chronik endet 1948. „Ich wäre sonst zu nahe an die Gegenwart gekommen“, sagt die Autorin. In der Wirklichkeit wurden Zweigs Großeltern und andere Verwandte Opfer des nationalsozialistischen Terrorsystems. Und doch beharrt sie, in ihren Büchern und in der Realität, darauf: „Es war nicht alles tragisch.“ Sie hofft, nein, sie ist sich sicher, „das ich den Humor meines Vaters weitergetragen habe“.

Und jetzt also das: Der 80. Geburtstag. Ein Kopfschütteln. „Ich habe nie damit gerechnet, so alt zu werden.“ Andererseits: „Ich bin immer mit jungen Menschen zusammen.“ Wenn sie durch Frankfurt flaniert, kehrt sie regelmäßig in ihrem Lieblings-Café ein, „dem Starbucks an der Hauptwache“. Dort sitzt sie und schaut „den jungen Frauen mit ihren Kindern zu: Das ist für mich wie Kino.“ Zweigs Lebensgefährte, der gerade den Kopf zur Tür hereinsteckt, ist dreizehn Jahre jünger als sie.

Von Feldmann enttäuscht

Frankfurt ist der Jüdin Zweig seit vielen Jahren Heimat. Umso mehr bestürzen sie die Nachrichten und Debatten der jüngsten Zeit. Der Überfall auf einen Rabbiner und seine Tochter in Berlin: „Ich kenne seinen Bruder gut.“ Das Gerichtsurteil gegen Beschneidung macht sie fassungslos: „Noch nicht einmal die Nazis hatten den Juden verboten, ihre Kinder zu beschneiden!“

Dass Oberbürgermeister Peter Feldmann in der Paulskirche nicht Stellung bezogen hat zur Verleihung des Adorno-Preises an die Philosophin Judith Butler, hält sie für einen schweren Fehler. Zweig ist „sonst kein SPD-Wähler“, aber sie hat Feldmann ihre Stimme gegeben und sich gefreut: „Wir haben einen jüdischen Bürgermeister!“ Doch jetzt ist sie enttäuscht und fragt sich allen Ernstes, „ob man ihn wegen Unfähigkeit abwählen kann“.

Noch ein Kopfschütteln. Eigentlich möchte sie sich nicht belasten mit der Tagespolitik. Der Laptop steht noch immer auf dem Tisch. Wird es noch ein Buch geben? „Schreiben fällt mir leicht“, gewiss. Doch jedes neue Buch bedeutet, „dass ich ein Jahr lang nichts anderes machen kann.“ Es ist noch nicht entschieden.

Zweig blickt geradezu zärtlich zu ihrer großen Sammlung wertvoller Glastiere hinüber. Besonders liebt sie die Flamingos.

Stefanie Zweig liest aus „Nirgendwo war Heimat“, 21. 9., 18 Uhr, Frankfurt, Hotel Hessischer Hof , Friedrich-Ebert-Anlage 40

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