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"Dieser Zwang zerstört Vertrauen"

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Von: Claus-Jürgen Göpfert

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Auch für Bordellbetreiber gelten neue Regelungen.
Auch für Bordellbetreiber gelten neue Regelungen. © Michael Schick

Das Prostitutionschutz-Gesetz schreibt jede Menge Auflagen vor - doch mit welchen Folgen? Ein Gespräch mit Gesundheitsdezernent Stefan Majer von den Grünen.

Herr Majer, wie viele Menschen in Frankfurt leben von der Prostitution?
Wir schätzen, dass etwa 2000 Frauen und 800 Männer in der Stadt der Prostitution nachgehen. Es gibt unendlich viele Bilder und Vorstellungen von der Prostitution, bei denen Männer nur eine geringe Rolle spielen. Die Wirklichkeit ist aber anders.

An welchen Orten findet sich Prostitution?
Die öffentliche Aufmerksamkeit liegt ja immer auf Großbordellen und Laufhäusern, es gibt davon achtzehn in der Stadt. Wir zählen außerdem 70 sogenannte „Terminwohnungen“ …

… was ist darunter zu verstehen?
Nun, in diesen Wohnungen gibt es Termine mit Prostituierten. Außerdem existieren etwa 40 Escort-Vermittlungen und sechs Anbahnungsorte männlicher Prostitution, das sind zum Beispiel Sex-Kinos.

Das heißt, die Prostitution in Frankfurt hat ja das Bahnhofsviertel längst verlassen und hat viele andere Orte.
Es gibt auch Prostitution in Wohnvierteln. Vieles hat sich auch ins Internet verlagert, in sogenannte Datingportale. Dort gibt es Sex gegen Bezahlung.

Frankfurt ist, so nehme ich mal an, durch den Flughafen ein wichtiger Ort für Prostitution. Hier kann man sich leicht treffen.
Auch in diesem Bereich können wir sagen: Kein Weg führt an Frankfurt vorbei.

Die Bundesregierung aus CDU/CSU und SPD hat das sogenannte Prostitutions-Schutzgesetz beschlossen, das am 1. Juli in Kraft tritt. Es bringt Neuregelungen, die für Kommunen eine Menge Aufwand bedeuten. Ist das wieder ein Beispiel dafür, dass der Bund Aufgaben auf die Städte verlagert, ohne sich um die Kosten zu kümmern?
In Frankfurt machen wir bereits vieles, was das Gesetz will. Bei der Gesundheitsberatung der Prostituierten zum Beispiel. Da sagen wir ganz selbstbewusst: Wir brauchen dieses Gesetz nicht. Andererseits fehlen uns noch viele Ausführungsbestimmungen des Bundes für das neue Gesetz. Ganz zu schweigen von den finanziellen Auswirkungen. Da sagt der Bund in der Tat: Liebe Städte, macht ihr mal. Wir in der Stadt sind am nächsten an den Menschen dran. Wir können nicht kneifen und wir tun es auch nicht.

Die Prostituierten müssen sich künftig regelmäßig zu gesundheitlichen Kontrollen bei den Gesundheitsämtern melden – aber das geschieht ja bereits. Was ändert sich hier nun konkret?
Es wird jetzt Zwang ausgeübt. Und unsere große Befürchtung ist, dass dieser Zwang das Vertrauen zerstört, das über Jahre zwischen Prostituierten und Gesundheitsamt aufgebaut wurde. Ein Teil der Menschen könnte durch diese Auflagen in die Illegalität gedrängt werden.

Bisher waren die Kontrollen freiwillig, künftig sind sie Pflicht.
Ja. Bisher haben die Gesundheitsämter und die Beratungsstellen den Prostituierten deutlich gemacht, dass es gut ist für sie, sich untersuchen zu lassen. Viele Menschen kommen, auch solche aus prekären Lebensverhältnissen.

Wie häufig ist das Beratungsgespräch künftig vorgeschrieben?
Das ist eine jährliche Pflicht, deshalb brauchen wir zusätzliches Personal. Denn gegenwärtig haben wir 600 Sexarbeiterinnen uns Sexarbeitern, die sich freiwillig beraten lassen.

Wo werden die Kontrollen in der Zukunft stattfinden?
Die Beratungen des Gesundheitsamtes sollen möglichst niedrigschwellig vor Ort stattfinden. Wir überlegen, Räume im Bahnhofsviertel anzumieten. Wir haben bereits eine Person zusätzlich eingestellt. Darüber hinaus brauchen wir weitere Stellen im Stellenplan.

Was wird darüber hinaus geschehen?
Wir haben als Römer-Koalition beschlossen, das Geld für die aufsuchende Sozialarbeit am Straßenstrich an der Theodor-Heuss-Allee und im Bahnhofsviertel von 45 000 Euro auf 95 000 Euro aufzustocken.

Sind die Prostituierten überwiegend Migrantinnen und Migranten?
Das ist so. Einen ganz großen Schwerpunkt bilden Menschen aus Rumänien, Bulgarien, Spanien und Thailand. Andere kommen aus Russland und Polen. Wir haben im Gesundheitsamt Mitarbeiterinnen mit verschiedenen Sprachen.

Häufig werden den Prostituierten ihre Ausweise abgenommen, sie werden in eine Abhängigkeit hineingezwungen.
Auch prekäre Lebenssituationen treiben Menschen in die Prostitution. Nicht von ungefähr geraten Menschen aus Bulgarien in die Prostitution. Bulgarien ist eines der ärmsten Länder der EU, häufig wissen die Menschen dort nicht, wie sie sich ernähren sollen. Es gibt also keinerlei Anlass, irgendetwas zu romantisieren. Das ist klar.

Das Gesetz verlangt von den Bordell-Betreibern einen Leumundsnachweis, sie dürfen nicht vorbestraft sein. Ist das nicht naiv und unrealistisch?
Ich wage zu bezweifeln, dass das dazu führt, dass paradiesische Zustände in den Bordellen ausbrechen. Die Erfahrung ist ja, dass sich im Zweifelsfall irgendein Strohmann als Bordellbetreiber finden lässt.

Ihre Partei, die Grünen, hat dem Gesetz im Bundestag nicht zugestimmt.
Aus gutem Grund.

Interview: Claus-Jürgen Göpfert

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