Die Welt reparieren

Leah Luwisch ist eine der jungen jüdischen Aktivist:innen, die in einem neuen Buch ihre Sicht auf die Welt schildern.
Ob sie demnächst in den Bundestag einzieht? Leah Luwisch lacht. „Auf keinen Fall!“ Kommunalpolitik reicht, sagt die Sprecherin der Frankfurter Grünen Jugend, höher soll es nicht gehen. Daran, an den politischen Themen vor der Haustür, habe sie große Freude. „Ich will gern inhaltlich politisch arbeiten, nur ohne das große Repräsentative.“
Dabei repräsentiert die 22-Jährige durchaus. Sie ist eine der Protagonist:innen eines Buchs, das in dieser Woche vorgestellt wird. Es heißt „Wir lassen uns nicht unterkriegen“ und handelt von jungen jüdischen Aktivistinnen und Aktivisten – „von jungen Jüdinnen und Juden, die couragiert und selbstbewusst das Wort ergreifen und sich aktiv für eine gerechte Gesellschaft einsetzen“, so steht es in der Einladung zur Buchvorstellung am kommenden Donnerstag.
Leah Luwisch wird dann auch dabei sein, über ihr Leben und ihre Ansichten sprechen. „Ich habe mich vor dem Buchprojekt eigentlich gar nicht direkt als jüdische Aktivistin gesehen“, sagt sie. Ihr ging es als junge Frau nicht so sehr um jüdische Themen, sie habe eher über den Klimaschutz und den Feminismus in die Politik gefunden. Das kam, als sie feststellte: Die Überzeugungen, die in ihrem persönlichen Umfeld zu diesen Themenfeldern herrschten, waren nicht überall Konsens. „Ich dachte, die Antworten, die wir zum Beispiel auf die Fragen der Gerechtigkeit haben, seien der Normalzustand“, blickt sie zurück. Zu erkennen, dass es sich anders verhält, trug dazu bei, dass sie „politisch wurde“. Sich aktiv einbringen, mehr davon mitbekommen, was in der Gesellschaft passiert, das erwuchs zu einem starken Anliegen.
Davon erzählt die studierte Biowissenschaftlerin, die gerade ein Freiwilliges Soziales Jahr im Klinikum Höchst verbringt, sehr anschaulich. Auch von Entwicklungen in ihrer jüdischen Frankfurter Biografie. „Seit ich denken kann, stand immer die Polizei vor der Tür“, sagt sie. Im Kindergarten, im Gemeindezentrum, vor der Schule, vor der Synagoge: „Das war selbstverständlich für uns. Das bedeutete Sicherheit. Aber ich habe damals nie konkret gedacht: Die Polizei steht da, weil es Antisemitismus gibt.“ Eine beklemmende Vorstellung, diesen Hintergrund stets vor Augen zu haben; eine Erleichterung, als junger Mensch nicht gezwungen zu sein, sich mit dem Gedanken auseinanderzusetzen.
Die Erkenntnis von heutiger, nicht historischer Bedrohung trat erst später in ihr Leben, unter anderem durch Ereignisse wie den antisemitischen Anschlag in Halle 2019. Aber auch über die Rolle der Polizei geriet sie ins Grübeln, spätestens seit Rassismus- und Antisemitismusvorwürfe gegen Bedienstete in Frankfurter Dienststellen bekanntwurden. „Schlagzeile für Schlagzeile“ sei ihre verklärte Sicht auf die Ordnungshüter:innen gebröckelt.
Person und Termin
Leah Luwisch, 22, hat in Frankfurt bis zur 9. Klasse die jüdische Schule, dann die Wöhlerschule besucht, ein Jahr in den USA verbracht und dann Angewandte Biologie für Pharmazie und Medizin studiert. Sie ist seit drei Jahren im Vorstand der
Grünen Jugend Frankfurt, seit 2021 die Vorstandsvorsitzende.
Am Donnerstag, 16. März, stellen Ruben Gerczikow und Monty Ott ihr Buch „Wir lassen uns nicht unterkriegen. Junge jüdische Politik in Deutschland“ vor. Im Buch kommen Menschen aus ganz verschiedenen politischen Richtungen zu Wort, bei der Lesung mit Gespräch auch die Journalistin Anastasia Tikhomirova und Leah Luwisch.
Die Veranstaltung beginnt um 19.30 Uhr im Festsaal des Ignatz Bubis-Gemeindezentrums, Savignystraße 66, Eintritt im Vorverkauf zehn, an der Abendkasse zwölf Euro. (ill)
Ob sie selbst in Frankfurt aufgrund ihrer jüdischen Religion diskriminiert wurde? Nein, sagt sie. Aber auch hier seien allgemein-antisemitische Parolen im Umlauf, auf antiisraelischen Demonstrationen etwa. Jüdinnen und Juden seien auch mit einem Ausgrenzungsgefühl konfrontiert, wenn ihnen jemand unverblümt naiv sagt: „Ich habe vorher noch nie einen Juden gesehen. Ich wusste gar nicht, wie Juden aussehen.“
Die verschiedenen Formen des Antisemitismus gelte es klar zu trennen, sagt Leah Luwisch. „Kritik an der israelischen Regierung ist total unproblematisch. Das passiert bei uns selbst am meisten, wenn wir diskutieren.“ Problematisch sei, wenn eine Palästina-Demo zur Synagoge weiterziehe oder antisemitische Parolen rufe. „Oder wenn Israel kritisiert wird, weil es ein jüdischer Staat ist.“
Ist Frankfurt ein guter Ort zum Leben? Ja, sagt sie, und dass sie gern in der Gegend bleiben möchte. Dass die Stadt eine traditionell große jüdische Gemeinschaft hat, „das habe ich nie anders erlebt, deshalb kenne ich es gar nicht anders. Wahrscheinlich würde es mir fehlen, wenn ich es nicht mehr hätte.“
Im Zusammenhang mit ihrer politischen Motivation erwähnt sie in dem Buch, das am Donnerstag vorgestellt wird, das jüdische Prinzip Tikkun Olam: Demzufolge ist einst bei der Urkatastrophe etwas zu Bruch gegangen – und nun ist es die Aufgabe, es wieder ganz zu machen. Es geht um das Reparieren der Welt. „Das ist ein schönes Bild“, sagt Leah Luwisch und malt es in ihren Farben weiter: „Mein Leben ist nicht nur dazu da, für mich und meine Familie das Beste herauszuholen. Ich will auch etwas dazu beitragen, dass die Welt gerechter wird. Ich habe das Bedürfnis, etwas Sinnvolles zu tun, Menschen zu helfen.“
Wenn das alle so sähen wie die junge Frankfurterin, dann wäre schon viel repariert auf der Welt.