Die Einteilung der Welt

Das interdisziplinäre Festival „No One’s Land“ im Frankfurter Mousonturm beschäftigt sich mit Grenzen und Gemeinschaften – und hinterfragt bestehende Perspektiven und Ordnungen
Lastwagen passieren die Grenzposten, Menschen laufen durch karge Landschaften, andere stehen andernorts vor einem unüberwindbaren, bewehrten Zaun. Die Szenen ziehen vorbei, still und stumm und wirken fast erschreckend kontemplativ. Sie zeigen den Alltag und das Leben in europäischen Grenzregionen: zwischen der Ukraine und Polen, Spanien und Marokko sowie in der sogenannten Todeszone von Zypern. „Grossraum (Borders of Europe)“ heißt die Filminstallation von Lonnie van Brummelen und Siebren de Haan.
Das niederländische Künstler:innenduo habe „sehr große Mühen auf sich genommen, um die Drehgenehmigungen zu erhalten“, sagt die libanesische Schauspielerin und Regisseurin Lina Majdalanie. Interessante Geschichten seien so entstanden, „schöne, aber meistens eher nicht so schöne“. Stoff jedenfalls für „No One’s Land – Festival zu Grenzen und Gemeinschaften“, das vier Tage lang im Frankfurter Mousonturm unterschiedliche künstlerische und aktivistische Positionen zeigt.
„Wir wollen nachdenken über Grenzen und Nationen, über eine andere Art der Einteilung der Welt“, sagt Lina Majdalanie, die gemeinsam mit Maximilian Zahn vom Mousonturm das Festival kuratiert. Es gebe schließlich auch „Gemeinschaften außerhalb von Nationen“. Ein gutes Dutzend Veranstaltungen steht auf dem Programm, in verschiedenen Disziplinen und Formaten werden die Themen behandelt: in Performances und Installationen, in Konzerten und Workshops. Das Publikum ist ausdrücklich eingeladen zu „partizipieren“.
Das Programm
„No One’s Land“ widmet sich mit Performances, Installationen, Konzerten und Workshops vom 9. bis 12. Februar im Mousonturm Frankfurt, Waldschmidtstraße 4, dem Thema „Grenzen und Gemeinschaften“. Der Eintritt ist für die meisten Veranstaltungen frei, für die anderen gilt ein solidarisches Preissystem.
Eröffnet wird das Festival am Donnerstag, 9. Februar, 18 Uhr, von Shahram Khosravi, Professor für Anthropologie an der Universität Stockholm. Im Anschluss zeigt das Ensemble La Fleur das Tanzstück „Trio. For the Beauty of it“, das schon heute, 8. Februar, 19.30 Uhr, im Mousonturm gastiert. myk
www.mousonturm.de
„No One’s Land“ ist die inzwischen fünfte Ausgabe von „Claiming Common Spaces“, ein Projekt des „Bündnisses internationaler Produktionshäuser“. Als „wanderndes Festival“ werde es immer in einem anderen Haus ausgetragen, und dieses Jahr sei der Mousonturm an der Reihe, erläutert Intendantin Anna Wagner. Und das nach drei Jahren Corona-Pandemie und einem Jahr Ukrainekrieg. Der Begriff der Internationalität sei komplizierter geworden, sagt Maximilian Zahn. Es gehe daher ebenso um die Frage: „Was ist die Zukunft von Internationalität?“ Auch und ganz besonders aus lokaler Perspektive.
Arkadi Zaides zum Beispiel hat für seine Performance „Necropolis“ eine „Stadt der Toten“ erschaffen, ausgehend von einer internationalen Liste, die seit 1993 die Tode von Geflüchteten und Migrant:innen festhält. Zaides habe eine Landkarte mit Gräbern erstellt, auf der Frankfurt zentral auftauche, sagt Zahn, „vor allem wegen des Flughafens als Abschiebungsort“. Das Kollektiv Mobile Albania „entkartet“ derweil den Nahverkehr und zieht ein neues Verbindungsnetz über die Stadt. Die brasilianische Grupo Cena 11 überwindet im Stück „Dark Matter“ die Grenzen zwischen Natur und digitalem Raum, und Clara García Fraile dokumentiert in „Redemption“ die Transformation von Haschisch, das durch mehrere Länder geschmuggelt wird – in der Vagina einer Frau. Und so gibt es in „No One’s Land“ kaum Grenzen.