„Die City muss sich inszenieren“

Eduard M. Singer, Chef des City- und Stadtteilmarketings, über die Zukunft der Innenstadt.
Herr Singer, wie geht es dem Citymarketing in Zeiten von Corona?
Es sind herausfordernde Zeiten, die Chancen bieten und unseren Zusammenhalt und Mut fordern. Die Messen fallen schon seit fast einem Jahr aus, die Gastronomie ist geschlossen, das gesellschaftliche Leben stockt, seit kurz vor Weihnachten auch noch der Einzelhandel. Kein Mensch hat sich das vorstellen können. Da ist unser Marketing und unsere Kommunikation mehr denn je gefordert.
Wie sind Sie aufgestellt?
Unsere Abteilung besteht aktuell aus sieben Mitarbeiter:innen, aufgeteilt in Öffentlichkeitsarbeit und Zentrale Organisation. Zuerst musste ich die Abteilung kennenlernen, offene Stellen haben wir besetzt. Citymarketing ist per Definition Innenstadtmarketing. Dies sehe ich auch als meine Aufgabe, und Gesprächspartner und Kümmerer zwischen Stadtverwaltung, Politik und den Verbänden zu sein: der IHK, der Handwerkskammer, dem Handelsverband, der Dehoga, dem Schaustellerverband und anderen. Wir stehen im engen Austausch, und wo es seitens der Stadt möglich ist, unterstützen wir. So sind in den letzten Monaten wesentliche Aktionen entstanden.
Als da wären?
Mit „Herbst in der Stadt“ haben wir gemeinsam mit den Schaustellern einen Jahrmarkt mit sehr ambitioniertem Hygiene-Konzept auf die Beine gestellt. Am „Black Friday“ waren wir im Bereich Social Media sehr aktiv. Zum ersten Mal seit 2016 gab es wieder eine Weihnachtsbeleuchtung auf der Zeil: Wir haben das zusammen mit der Wirtschaftsförderung möglich gemacht und wollen die nächsten Jahre darauf aufbauen. Der Masterplan Tourismus von der Tourismus- und Congress GmbH (TCF) wurde finalisiert. Über unseren Bereich Öffentlichkeitsarbeit haben wir auch viel mit der Corona-Kommunikation zu tun. In Abstimmung mit dem Gesundheitsamt wurden Plakate erstellt, die auf das richtige Verhalten hinweisen. Wir haben Radiospots geschaltet, Briefe an alle Frankfurter verfasst, Gewerbetreibende in der Innenstadt informiert, Flyer über die Maßnahmen in Innenstadt und Stadtteilen verteilt und Bürger:innen informiert.
Wie geht es Hotels und Gastronomen? Werden alle überleben?
Wir wissen nicht, wie die Stadt in einem Jahr aussieht. Alle Gastronomen sehnen sich nach Planungssicherheit, die es aber leider nicht gibt. Ähnlich ist es im Einzelhandel, der nach dem Shutdown in der Vorweihnachtszeit leidet. Insgesamt gibt es aber hier ein Umsatzplus von etwa einem Prozentpunkt – weil der Lebensmittelhandel, Bau- und Möbelmärkte, Elektroartikel und Kfz in diesem Jahr profitiert haben. Schwer gelitten haben Kleidung, Lederartikel, Schuhe, Optik und der Bürohandel. Die Frage ist, wer überlebt. Es gibt jetzt schon rund ein Dutzend Insolvenzen alleine in der Innenstadt, die teilweise in Eigenverwaltung oder Schutzschirmverfahren erfolgen. Wie viele es werden, ist offen. Der Handelsverband rechnet mit 50 000 Einzelhändlern bundesweit, die schließen werden. Da hängen 250 000 Arbeitsplätze dran. Bei den Hotels und in der Gastronomie rechnet man seitens des Dehoga mit einer Quote von bis zu 25 Prozent, die vom Aus bedroht sind.
Das ist enorm.
Ja. Die Hotels und die Gastronomie hatten während des ersten Lockdowns Umsatzrückgänge von bis zu 93 Prozent, und auch danach, während des Sommers, waren es noch fast 60 Prozent. Jetzt der zweite Shutdown, von dem niemand weiß, wie lange er dauert. Die Hilfen des Bundes – 75 Prozent des Vorjahresumsatzes – sind gut und setzen gerade in Frankfurt auf ein hervorragendes Jahr 2019 auf. Aber das Geld muss dann auch fließen. Da kann nicht die Novemberhilfe im Frühjahr erst auf dem Konto sein. Die Kosten für Pacht, Versicherung, Wartungen etc. laufen ja weiter.
Was kann die Stadt tun?
Wir müssen konzentriert überlegen, was wir gemeinsam erreichen können – in Absprache mit den Verbänden, Kammern, Politik. Der Anspruch an Innenstädte steht vor enormen Veränderungsprozessen, die sich schon vor Corona abgezeichnet haben. Der Zeil ging es mit sieben Millionen Gästen pro Jahr in Frankfurt sehr gut. Leerstände gab es zum Teil vorher auch. Man hätte schon vor Jahren gegensteuern müssen. Man muss die Attraktivität von Zentren, des Handels und der Gastronomie stärken, Wohlfühl-Oasen schaffen, Kultur und Kunst ins Zentrum einbinden. City und Zeil müssen sich inszenieren. Wir müssen uns fragen, wie zentrale Plätze – Hauptwache, Konstablerwache, Goetheplatz, Rathenauplatz – bespielt werden können.
Es gibt Dinge, die der Einzelhandel selbst auch regeln könnte. Was kann die Stadt im engeren Sinne tun?
Sicherheit und Sauberkeit stehen bei den Gewerbetreibenden ganz oben auf der Liste – dieses Thema muss stärker in den Fokus rücken. Organisiertes Betteln, laute Musik und vermüllte Plätze haben in der Innenstadt nichts zu suchen. Aber wir müssen auch über ein kundenfreundliches Verkehrskonzept nachdenken, den Nahverkehr ausbauen. Es fehlt auch immer noch das WLAN und die Digitalisierung in der Innenstadt. Das Zentren-Konzept von Planungsdezernent Josef und Wirtschaftsdezernent Frank ist richtig. Wir müssen, aufbauend auf dem Masterplan Tourismus der TCF, einen Masterplan Innenstadt aufsetzen. Die Abteilung City- und Stadtteilmarketing wird durch unseren Oberbürgermeister Peter Feldmann und den Leiter des Hauptamtes, Tarkan Akman, weiter stark vorangetrieben. Wir haben uns ehrgeizige Ziele gesetzt, angefangen bei der Unterstützung der Fashion Week bis zur Bahnhofsviertel-Nacht, wo wir Mitveranstalter sind. Wir wollen High Rise Cinema auf den Dächern Frankfurts etablieren, wir schaffen gemeinsam mit der TCF die Möglichkeit, die Neue Altstadt virtuell zu erkunden, der Tag der offenen Tür im Römer steht an, das „Ei Gude“-Buch für Neubürger:innen wird durch unsere Abteilung Öffentlichkeitsarbeit neu aufgesetzt. Der Blick ist jedoch sehr gezielt auf Innenstadt und Stadtteile gerichtet im Austausch mit vielen Beteiligten aus Politik und Verbänden u.a. beim Runden Tisch Citymarketing, aktuell zum Thema Recovering-Maßnahmen für Frühjahr und Sommer.
Frankfurt voranzubringen, ist schwierig, wenn man bedenkt, dass Frankfurt noch die IAA verloren hat. Hotels leben von der Messe. Sehen Sie da einen Ersatz?
Zunächst: Die Messe Frankfurt ist ein Global Player. Es sind Profis! Wir waren auf einem sehr guten Weg, haben die Zahl der Veranstaltungen stark gesteigert, auf zuletzt 100 000 pro Jahr. Frankfurt ist ein wichtiger Standort für Messen und Kongresse, und zwar unabhängig von der IAA. Das wollen und werden wir auch in Zukunft sein. Ehrlich gesagt, wenn sich das Mobilitätsverhalten so stark ändert wie derzeit, dann hat die IAA ohnehin keine Zukunft. Wir werden einen Ersatz für die Autoausstellung finden, insbesondere im Slot September. Ich habe hier sehr großes Vertrauen in die Geschäftsleitung der Messe Frankfurt.
Interview: Thomas J. Schmidt