Der passende Ton zum Wahnsinn in Frankfurt

Mit Livemusik für Stummfilme begeistert das „Gramm Art Projekt“ ein wachsendes Publikum – auch an diesem Mittwoch.
Eine Figur im Schattenriss, sie näht an einem Kleidungsstück. „Ich lebte in der Stadt des Kalifen als ein armer Schneider“, steht auf der eingeblendeten Texttafel, und dazu erklingt eine orientalisch verschlungene Melodie. Der arme Schneider ist Aladin. Wir wissen, wie die Geschichte weitergeht: Es wird zum Gebrauch einer Wunderlampe kommen, aber zunächst kommt es zum Gebrauch einer Gitarre und eines Kontrabasses. An den Instrumenten: Julian Gramm und Thomas Bugert. Gemeinsam sind sie das „Gramm Art Project“, und ihre Passion ist es, Stummfilme wie „Die Abenteuer des Prinzen Achmed“ aus dem Jahr 1926 live zu vertonen.
„Das war der erste Film, an dem wir zusammen gearbeitet haben“, sagt Thomas Bugert. „Das kam gut an beim Publikum, viele kannten das gar nicht, dass man Livemusik zu einem Film macht.“ Weil es so ein positives Echo gab, sind die beiden Musiker jetzt dabei, eine „Community“ aufzubauen, wie sie sagen; ein Publikum für das Genre zu begeistern.
Einst war das ganz normal: Auf der Leinwand flimmert es in Schwarzweiß oder experimentell bunt, und jemand spielt Klavier dazu. Gute alte Stummfilmzeit, als die Tonspur noch nicht erfunden war. Später versank die Begleitung durch echte Menschen in der Begeisterung um Dolby-surround-Sound, aber einige Fans hielten dem Stummfilm die Treue. Auch die Leute vom Gramm Art Projekt, kurz: GAP. „Wir waren nicht unbedingt Stummfilmfans“, sagt Julian Gramm, „die Faszination kam erst nach und nach.“ Aber an den Meisterwerken der Stummfilmzeit sei schön zu sehen, wie sich die Leinwandästhetik entwickelt hat.
Im November haben Gramm und Bugert im Frankfurter Harmonie-Kino zum legendären Vampir-Gruselfilm „Nosferatu“ gespielt – vor ausverkauftem Haus. Das läuft immer teils nach Konzept und teils improvisiert. „Wir entwickeln Melodiethemen für bestimmte Figuren in dem jeweiligen Film, für markante Szenen und sprechen die Tonarten ab“, sagt Bugert. „Aber wir machen das jetzt schon so lang, dass wir uns blind verstehen“, sagt Gramm. Und stumm, kann man hinzufügen. Wer einen der live vertonten Filme fünf Mal schaut, wird Abschnitte hören, die fünf Mal genau gleich sind, und andere, die jedes Mal anders klingen.
Die Musik zu zweit zu vertonen statt allein etwa am Klavier, das habe seine Vorteile, sagt Bugert. „Es wird interessanter, weil man noch einen anderen Input hat.“ Gefühle auszudrücken in der Musik sei ein großes Thema, sagt Gramm. „Sich vom Film leiten lassen.“ Normalerweise machen die beiden Berufsmusiker Jazz, Rock, Pop, „alles querbeet“, sie unterrichten und schreiben auch für ihren Lebensunterhalt, und zum GAP zählen noch weitere Mitglieder, die für Schlagzeug, Loops und Kunst zuständig sind. Improvisationen sind ein wichtiges Standbein. „Die Vermischung von Musik und anderen Kunstformen ist sehr spannend“, sagt Bugert, „auch mit Tanz und Malerei.“
Für das Stummfilmprojekt haben Gramm und Bugert bisher etwa zehn Filme bearbeitet. In diesem Herbst kommen drei Klassiker hinzu, die sich Veranstalter wünschen: der „Golem“, „Metropolis“ und „Hilde Warren und der Tod“.
Aber jetzt ist erst mal „Das Cabinet des Dr. Caligari“ an der Reihe. Da versetzt der wahnsinnige Doktor mit Hilfe des Somnambulen Cesare eine Stadt in Angst und Schrecken. Und zwei Musiker an den Saiteninstrumenten werden dem Ganzen die passende Stimmung hinzufügen: an diesem Mittwoch, 29. März, 21 Uhr, in der Großen Harmonie, Dreieichstraße 54, in Sachsenhausen.