Denkanstoß zur Frankfurter Druckerei Dondorf

Wieder einmal scheint der Abriss des Industriebaus im Stadtteil Bockenheim unvermeidbar. Viele Menschen finden das schade.
Die Nachricht beschäftigt die Menschen im Stadtteil, auch darüber hinaus. Die alte Druckerei Dondorf ist doch nicht gerettet. Stattdessen steht wieder einmal der Abriss bevor. Wie so oft schon. Dabei schien diesmal alles so elegant zu laufen: 2018 präsentiert das Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik noch Pläne, wie das Industriegebäude im Sinne der Nachhaltigkeit zu sanieren wäre. Anbauten soll es geben, gut, aber die markante Fassade mit ihren Backsteinen und den vielen Bögelchen über den vielen Fenstern bliebe und somit auch das Zeugnis der Industriegeschichte des Frankfurter Stadtteils Bockenheim.
Im Sommer 2022 folgt die Rolle rückwärts. Die Bauguthaben ergeben, dass eine Sanierung doch sehr viel teurer wäre als ein Abriss mit Neubau. Die Untersuchungen fördern Spritzasbest zutage, was vertiefende Untersuchungen nötig mache. In Sachen Brandschutz müsste viel nachgerüstet werden, Decken müssten eingezogen werden, Wände verstärkt. Was nicht nur den Platz in Räumen verringern würde, sondern auch zusätzliches Gewicht auf die Stockwerke verteilen. Damit könnten womöglich weniger Menschen umherlaufen. Besserer Schallschutz müsste installiert werden, Trittschalldämmung, Innendämmung mit hohen Investitionskosten, Regenschutz an der Backsteinfassade und und und …
Streng genommen ist die 1873 eröffnete Druckerei auch kein schützenswerter Industriebau. Obschon sie Teil der Route der Industriekultur ist. Das heißt, sie wird in diesem Rahmen als beispielhaftes Industriegebäude präsentiert. Dennoch hat das Hessische Landesamt für Denkmalpflege 2017 den Antrag des Ortsbeirats abgelehnt, die Druckerei unter Denkmalschutz zu stellen.
Konrad Götz kann darüber nur den Kopf schütteln. Der Sozialwissenschaftler ist Nachbar des Industriebaus an der Ecke von Sophienstraße und Zeppelinallee. Er ist auch den Freunden Bockenheims verbunden, die seit jeher empört sind über die Abrisspläne. „Es gibt in Frankfurt keinen zweiten Ort, an dem die wechselvolle Stadt- und Industriegeschichte so gut erzählt werden kann“, sagt Götz über die Dondorf’sche Druckerei.
Die Steine, die Fassade, die Industriegeschichte, das sei ja nur die eine Seite der Medaille. Auf der anderen stehen die vielen anderen Geschichten, die sich rund um das Gebäude drehen. Nachzulesen sind die in einer „wunderbaren Broschüre“, wie Götz sagt, der Freunde Bockenheims. Verfasst hat die der frühere Vorsitzende und Ehrenvorsitzende Friedhelm Buchholz, Stadtteilhistoriker und großer Verfechter des Erhalts der Druckerei. Buchholz hat 2016 im Gespräch mit der FR sogar angekündigt, er werde sich notfalls am Schornstein an der Sophienstraße festketten, um den Abriss zu verhindern. 2018 ist er verstorben. Sein Geist und seine Broschüre leben weiter.
Die erzählt von der jüdischen Unternehmerfamilie Dondorf, die wie ihre Vorfahren, die Buchsbaums, 1499 vor der Verfolgung aus Nürnberg nach Frankfurt flüchtet. Zunächst leben sie in der Judengasse. Nachfahre Bernhard Dondorf ist politisch aktiv, zeigt sich kritisch gegen alle Religionen. Mit innovativer Technik und eigenen Erfindungen zur Chromlitographie erschafft er in seiner Druckerei zahlreiche Produkte der Luxuspapierindustrie. Zum Beispiel Wertpapiere und mit höchster Handwerkskunst hergestellte Spielkarten. Verewigt sind die auch als Muster an der Spitze des Schornsteins. Der kommt aber später.
Die Qualität der Druckerei spricht sich herum. Aus Japan erhält Dondorf den Großauftrag, fälschungssichere Banknoten zu drucken. Im Stammgeschäft in der Altstadt wird es arg eng, Dondorf errichtet 1873 eine neue Fabrik in Bockenheim. Das Geschäft läuft, 1890 muss er schon erweitern, das ist der heute noch stehende Backsteinbau mit dem markanten Schornstein.
Nach dem Ersten Weltkrieg geht die Produktion zurück, Dondorf verkauft die einzelnen Firmenanteile. Das Grundstück in Bockenheim mit allen Gebäuden erwirbt 1928 die Union-Druckerei. Ab 1929 wird unter anderem auf einer riesigen Fünfrollen-Druckmaschine die Tageszeitung der SPD, die Volksstimme, hergestellt. Dann folgt ein radikaler Einschnitt. 1933 besetzt die SA die Union-Druckerei, enteignet die Eigentümer und druckt fortan das nationalsozialistische Volksblatt. Aber auch nicht lange. Gauleiter Julius Streicher lässt die große Fünfrollen-Maschine nach Nürnberg verfrachten, um damit sein Hetzblatt, den Stürmer, zu drucken.
Die Familie Dondorf wird nach der Nazi-Rassenlehre verfolgt. Der Enkeltochter Clara Dondorf gelingt die Flucht in die Schweiz. Die Nachfahren der Dondorfs, Ella Otilie und Marie Nanny, nehmen sich vor der angekündigten Deportation im Haus an der Myliusstraße das Leben. Helene Neumann, Enkelin des Firmengründers, wird mit ihrem Sohn zuerst in die Großmarkthalle gebracht, dann nach Lodz deportiert, beide sterben dort. Olga Friedeberg, geborene Dondorf gelingt die Flucht nach London.
1944 bombardieren die Amerikaner den Industrie- und Rüstungsstandort Bockenheim. Von den Gebäuden der Druckerei bleibt, wenn auch beschädigt, der Backsteinbau von 1890, erstaunlicherweise auch der mit Spielkarten-Schornstein stehen.
Nach der NS-Zeit kehrt die große Druckmaschine aus Nürnberg zurück in die ehemalige Dondorf’sche Druckerei – die Union-Druckerei. Das Gebäude hat man notdürftig instand gesetzt. Die SPD-Zeitung Volksstimme geht ab 1946 wieder in Druck, kann sich aber nicht halten. 1954 wird die Union- zur Stammdruckerei des DGB. 1959 tauscht man mit der Stadt Grundstücke. Aufs zerstörte Union-Druckerei-Gelände an der Bockenheimer Landstraße kommt 1964 die Stadt- und Universitätsbibliothek. 1961 zieht die Hochschule für Erziehungswissenschaften, auch das Institut für Kunstpädagogik in die Dondorf-Druckerei ein. Es ist eins der letzten Universitätsinstitute, die im Herbst 2022 das Gebäude verlassen und in den Campus Westend umziehen.
Viele Frankfurterinnen und Frankfurter schätzen das Gebäude, schreiben Konrad Götz und Cordula Kähler von den Freunden Bockenheims in einem Denkanstoß, der noch einmal auf die Druckerei aufmerksam machen soll. Und den Abriss womöglich verhindern. „Zwar trage der Bau sichtbare Narben des Krieges und des hastigen Wiederaufbaus“, heißt es dort. Nicht nur der historische Zinnenkranz fehle rundum auf dem Dachgeschoss. Schwerer wiege wohl „die mangelnde Pflege zur Erhaltung während der universitären Nutzung der letzten Jahrzehnte“. Das habe „sichtbare Spuren hinterlassen“.
Das sieht auch Thomas Gutmann (Grüne) so, Vorsteher des Ortsbeirats 2. Er wirkt, als habe er die Hoffnung aufgegeben. „Das ist typisch Land“, schimpft er. Die Bausubstanz habe man so lange verkommen lassen, dass da nichts mehr zu retten sei. Dennoch hat er Vertreterinnen und Vertreter des Max-Planck-Instituts für Empirische Ästhetik für den 24. April noch einmal in den Ortsbeirat eingeladen, damit sie der Öffentlichkeit genau die Herausforderungen einer Sanierung und das weitere Vorgehen in der Sache erklären können. Den genauen Ort kündigt das Stadtteilgremium noch an.
Götz und Kähler werden da sein. Und nochmals dafür werben, den historischen Wert des Gebäudes nicht nur nach den Steinen zu beurteilen. Und: „Wäre es nicht einige Überlegungen wert, die notwendigen Mittel aufzubringen und den historischen Bau, wie geplant, doch noch zu integrieren?“ Mit Museumsräumen, vielleicht könnte dort eine der großen Druckmaschinen stehen. Und eine „3D-Augmented-Reality-Erzählung der wechselreichen, verworrenen, traurigen, aber doch auch wieder ermutigenden Geschichte des Gebäudes, der Stadt und der jüdischen Familie Dondorf“, wünscht sich das Duo.
Abschließend sei bemerkt, schreiben Götz und Kähler, dass Abrisse unter Klimaschutzaspekten nicht mehr zeitgemäß seien. In den üblichen Kostengegenüberstellungen sei die CO2-Einsparung einer Erhaltung von Bauteilen nicht eingerechnet. „Wir reißen einfach zu schnell ab“, sagt Götz und seufzt.