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„Das Herz hängt dran“

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Von: Clemens Dörrenberg

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Ronny Seifert hat seinen Stand mit Bembeln, Handkäsdosen und Namenstassen bestückt, erstmals seit zwei Jahren wieder. Foto: Rolf Oeser
Ronny Seifert hat seinen Stand mit Bembeln, Handkäsdosen und Namenstassen bestückt, erstmals seit zwei Jahren wieder. © Rolf Oeser

Ronny Seifert verkauft in vierter Generation Töpferwaren in Frankfurt. Er befürchtet, dass der Weihnachtsmarkt abgesagt werden könnte.

Nur mit leichter Übergangsjacke steht Ronny Seifert am Freitagmittag vor seinen Keramikwaren, im Zelt seines Weihnachtsmarktstands an der Paulskirche. An den Ständen nebenan wird noch gehämmert und vorbereitet, auch der 41-Jährige ist an den Tagen kurz vor Beginn des Markts ständig in Bewegung. „Unser Weihnachtsgeschäft ist das wichtigste Geschäft im Jahr“, sagt Seifert und fügt hinzu, „wir sind froh, dass wieder Weihnachtsmarkt ist.“ Dabei klingt aus jedem seiner Worte der Singsang seiner Heimat im Hunsrück durch.

Das 16 Meter lange Zelt, das als Stand dient, ist eine Eigenkonstruktion und gleicht mit seinen Fenstern fast einem Schuppen. Mit einem halben Dutzend Helfern hat Seifert vor einer Woche begonnen, den Stand erstmals seit zwei Jahren wieder aufzubauen. Nachdem der Weihnachtsmarkt im vergangenen Jahr coronabedingt abgesagt worden sei, hätten Stand und Sortiment bis vor wenigen Tagen „nur in der Ecke gestanden“.

Erst nach dem fertigen Aufbau konnte sich Seifert ein Bild machen, was im riesigen Angebot aus Bembeln, Handkäs- und Brotdosen, Geschirr sowie Dekoartikeln fehlte und „noch fertig bestückt“ werden musste.

In unterschiedlichen Farben, etwa Schwarz und Rot, bietet Seifert unter anderem klassische Waren wie Handkäsdosen an. „Nur von Grau-Blau könnte man heute nicht mehr existieren“, sagt er.

In Königsau, westlich von Bad Kreuznach, betreibt er in vierter Generation eine Töpferei mit Verkauf. Von dort fahre seine Familie schon seit mehr als 50 Jahren regelmäßig nach Frankfurt, um auf dem Weihnachtsmarkt und der Dippemess ihre Waren zu verkaufen, die sie heute teilweise noch selbst produziere.

So zum Beispiel die blauen, handbemalten Namenstassen, von denen sie etwa 2500 Stück mitgebracht haben. Von Importen aus Übersee hält Seifert nichts. „Ein Bembel muss aus dem Hunsrück oder Westerwald kommen“, sagt er, „nah an den Rohstoffen und den Tongruben.“ Mit einem Hersteller aus dem Westerwald habe er eine Kooperation und bekomme Ware, die er auf dem Weihnachtsmarkt verkaufe. Lediglich die Frankfurter Fachwerkhäuschen, Dom und Paulskirche aus Ton kämen von einer Töpferei aus Litauen.

Schon der Urgroßvater sei per Pferdefuhrwerk aus dem Hunsrück nach Sachsenhausen zum Markt gefahren, berichtet Seiferts Onkel, der nicht namentlich genannt werden möchte, den Neffen aber tatkräftig unterstützt und selbst schon seit Jahrzehnten mithilft.

Frankfurter Weihnachtsmarkt

Voraussichtlich bis zum 22. Dezember ist der Weihnachtsmarkt montags bis samstags von 10 bis 21 Uhr und sonntags von 11 bis 21 Uhr geöffnet. Das vergrößerte Gelände mit weniger Ständen als bei der letzten Ausgabe vor zwei Jahren erstreckt sich vom Mainkai auf der Höhe des Eisernen Stegs über den Römerberg und Paulsplatz, Neue Kräme, Liebfrauenberg bis zur Hauptwache. Dort herrscht überall Maskenpflicht.

Dazu kommen zwei kleinere Bereiche am Friedrich-Stoltze-Platz, wo traditionell die „Rosa Weihnacht“ der schwul-lesbischen Community stattfindet, sowie am Roßmarkt, in denen die 2G-Zugangsregelung gilt und daher keine Maskenpflicht besteht. (cd)

Weitere Infos: https://www.frankfurt-tourismus.de/Entdecken-und-Erleben/Feste-Veranstaltungen/frankfurter-weihnachtsmarkt

Ronny Seifert selbst war als Jugendlicher erstmals dabei und hat sich Taschengeld auf dem Weihnachtsmarkt verdient. Vor zehn Jahren hat er dann die Geschäfte des Vaters übernommen und einen Onlineversandhandel aufgebaut. Dabei half ihm das Erlernte aus seinem Logistik- und E-Business-Studium, das er in Remagen abgeschlossen hat.

Zuvor hatte Seifert seine Mittlere Reife sowie das Fachabitur nachgeholt und sich zum IT-Systemkaufmann ausbilden lassen. „Unser Onlinehandel hat uns gerettet und über Wasser gehalten“, sagt der Vater von vier Jahre alten Zwillingen nachdenklich. Dass der Weihnachtsmarkt einmal ausfallen würde, hätte er vor zwei Jahren niemandem geglaubt.

Angesprochen auf seinen Gemütszustand aufgrund der sich weiterhin zuspitzenden Corona-Lage wiegt er beide Hände vor der Brust. „Jetzt, wo es auf den Montag zugeht, ist da viel Nervosität“, antwortet er. „Von den Zahlen her dürfte man nicht aufmachen, aber das Herz hängt dran.“

Er trage große Verantwortung für sich und seine Familie. „Es ist ein großer Aufwand, und sobald man anfängt, das Auto zu beladen, nimmt man Geld in die Hand“, so Seifert. „Wir leben von Laufkundschaft und sind dankbar für jeden Kunden, der uns besucht“, berichtet er fast flehentlich.

Gleichzeitig hoffe er, dass es nicht doch noch eine Absage wie bei Märkten in Bayern gebe: „Je länger es keinen Weihnachtsmarkt gibt, desto mehr Leute vergessen uns.“ Anders als in den Vorjahren werde es wohl ohnehin werden.

Mit weniger Reisenden aus dem Ausland rechnet der Geschäftsmann. Deshalb hat er die „Touristen-Ecke“ ausgedünnt und auf regionale Waren umgestellt, etwa Christbaumkugeln und Gläser von Eintracht Frankfurt ins Programm aufgenommen und die reich verzierten Bierkrüge, „die gerne von Amerikanern gekauft werden“, in kleinerer Stückzahl aufgebaut.

Auch bei Bewerbungen von Aushilfskräften spürt Seifert die Auswirkungen von Corona. „2019 haben sich 20 beworben, diesmal waren es nur zwei“, berichtet er.

Zur Not müsse er auf Unterstützung aus der Familie zurückgreifen. Für die bis zu zwölf Stunden, die er täglich auf dem Markt bis kurz vor Weihnachten zubringen wird, „zählt warm“, sagt Seifert: Eine dicke Jacke, lange Unterhose und warme Wanderschuhe hat er deshalb für kältere Tage schon bereitgelegt.

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