Computerspiel „Rosalie“: Die Nitribitt als düstere Heldin

Ein Science-Fiction-Videospiel des Künstlers Daniel Hartlaub schickt die berühmte Frankfurterin an einen finsteren Ort, das Bahnhofsviertel. Bei dieser Wiederauferstehung hilft ihm ein großes Team.
Auch Jahrzehnte nach ihrem gewaltsamen, bis heute nicht aufgeklärten Tod ist Rosemarie Nitribitt wohl immer noch die bekannteste Frankfurterin. Schon viele Denkmäler sind ihr gesetzt worden, Filme, Bücher, Zeitungs- und Zeitschriftenartikel – und nun kommt ein neues Stück Erinnerung hinzu, das bisher ungewöhnlichste dieser nur scheinbar schon so oft erzählten Geschichte. Der Frankfurter Künstler Daniel Hartlaub hat aus dem Leben der Nitribitt einen Comic gemacht, der in einer düsteren Zukunft spielt und nun zum Videospiel „Rosalie“ werden soll.
Das historische Vorbild, die 1957 ermordete Prostituierte, deren ikonische Bilder etwa im teuren Pelzmantel und im Sportflitzer in den prüden 1950er Jahren Furore machten, sei sehr selbstbewusst gewesen in einer Zeit, da Frauen hinterm Herd zu stehen hatten, sagt Hartlaub. Eigentlich war es eine Erfolgsgeschichte - wenn auch mit furchtbarem Ende. „Und vieles ist ja bis heute sehr rätselhaft.“
Die Schauspielerin Maike Elena Schmidt vom Mainzer Staatstheater übernimmt in dem Videospiel, das gerade entsteht, die Rolle der Rosalie, sie ist eine vermutlich noch selbstbewusstere und sicher sehr viel modernere Heldin als das Vorbild. „Die erste Version war noch sehr nah an Rosemarie“, sagt Hartlaub. Unterwegs ist „Rosalie“ in dem Science Fiction rund um den Frankfurter Hauptbahnhof (wo sie auch tödliche Fehler machen kann). Das Bahnhofsviertel der Zukunft bleibt ein Ort, der eingezwängt ist zwischen glitzernden neuen Hochhäusern, in denen die High Society lebt, sowie Gewalt, Elend und Drogen.
„Für Spielerinnen und Spieler aus der Region soll es ein Reiz sein, dass sie vieles erkennen, auch wenn neue Gebäude dazugekommen sind oder alte, längst abgerissene doch wieder dort stehen“, sagt Hartlaub. „Aber der Handlungsort soll auch für Leute aus den USA oder Japan funktionieren.“
Schauspielerin Schmidt, selbst begeisterte Gamerin, freut sich über die Teilnahme an dem Projekt: „Wie entsteht eine Rolle? Hier kann ich die Geschichte beeinflussen, das ist auch für mich etwas Neues“, sagt sie. „Vielleicht wird es ein Spiel mit Identitäten, könnte ich mir vorstellen. In den ersten Bildern habe ich mich jedenfalls sehr gut wiedererkannt.“
Geförderte Spiele
Hessenfilm, die Filmförderung des Landes, die beim Ministerium für Wissenschaft und Kunst angesiedelt ist, unterstützt seit Ende 2018 auch die Produktion von Videospielen beziehungsweise von „innovativen digitalen audiovisuellen Inhalten“, wie es offiziell heißt. Gefördert werden Konzeptentwicklungen und Prototypen.
„Rosalie“ nach der Idee des Frankfurter Künstlers Daniel Hartlaub ist nach Angaben von Hessenfilm-Sprecher Patrick Schaaf neben „Die Fährte“ von Carla Heinzel erst das zweite Game-Projekt, das die Filmförderung unterstützt. An dem gemeinsamen Projekt der Frankfurter Produktionsfirma Konspiracy sind zahlreiche Menschen beteiligt, von der Schauspielerin Maike Elena Schmidt bis zum Komponisten J. Peter Schwalm. Ihnen allen ist die Begeisterung anzumerken.
Entstehen soll so in den kommenden Monaten ein Videogame in einem ganz eigenen Design, das zwar in einem Frankfurter Bahnhofsviertel der Zukunft spielt, das aber auch für Spieler:innen ohne Bezug zur Stadt faszinierend ist. Auch die lose Vorlage aus den späten 1950er Jahren, das Leben der Prostituierten Rosemarie Nitribitt, muss man nicht kennen – es macht aber einen zusätzlichen Reiz des Spiels aus. aph
„Rosalie“, das sind bisher viele Ideen – wunderschöne Zeichnungen Hartlaubs, Bewegungsskizzen und Porträts der Heldin oder ihres bösen Kontrahenten, eine Story, an der noch gefeilt wird. „Daniel hat die groben Züge erschaffen, den Rahmen, aber schon eine eigene Welt“, schwärmen Alejandro Mosquera und Harald Goergens von der Produktionsfirma Konspiracy Games. „Wir übersetzen das jetzt in ein Videospiel. Jedes Medium funktioniert anders, hat seine eigenen Regeln des Erzählens. Bei Filmen zum Beispiel wird Spannung aufgebaut, weil wir etwas wissen, was der Protagonist nicht weiß. Im Spiel habe ich diese Rolle aber selbst. Da arbeiten wir an einem narrativen Eisberg.“
Entstehen soll so ein komplexes Spiel mit interaktiven Filmsequenzen, voller Rätsel und Fragen. Sehr komplex sei das, sagen die beiden Entwickler. „Man darf ja nicht vergessen: Jedes Pixel wird animiert und ist bewusst gesetzt. Am besten ist es, wenn man erst die Welt baut und dann die Story entwickelt“, sagt Mosquera. Die Scriptwriter, die das für die Frankfurter Firma übernehmen, arbeiten übrigens von den USA aus, ein Informatiker lebt in Taiwan – online ist der Arbeitsort ja relativ egal, ob Fernost oder Frankfurter Bahnhofsviertel.
„Wir haben uns vor gut einem Jahr darauf geeinigt, dass das keine Superhero-Geschichte wird, sondern eine mit einer Antiheldin“, sagt Goergens. „Damals hatte Daniel die Idee, dass die Figuren in dem Science Fiction Masken tragen, aber das wollten wir nicht. Es kam uns zu unrealistisch vor. Und jetzt würde es aufgesetzt wirken, das gäbe sicher Kritik“, sagt Goergens.
Auch eine eigene Musik wird „Rosalie“ prägen. Der Frankfurter Komponist J. Peter Schwalm, Jahrgang 1970, arbeitet gerade daran. Künstler und Komponist kennen sich seit 2006 aus Barcelona, wo Schwalm ein Album mit Brian Eno aufnahm. „Die Ästhetik stimmt schon“, sagt Schwalm über seine aktuelle Arbeit. „Doch vieles entsteht natürlich erst über das Visuelle. Da gibt’s noch viele Überraschungen. Es ist doch sehr aufwendig. Ich habe aber schon eine ziemlich genaue Vorstellung. Es macht mir mehr Spaß, als ich dachte.“
Melodisch, aber auch verzerrt solle die Musik werden, „ein bisschen wie eine klangliche Erinnerung, die in die Zukunft getragen wird“. Er sei von Anfang an in die Entwicklung des Spiels einbezogen worden. „Daniel hat mir seine Ideen geschickt, und wir haben viel miteinander gesprochen. Dabei sind viele neue Ideen entstanden.“
Das sei eine Stärke von Frankfurt, hier gebe es einen regen Austausch zwischen den Kreativen. „In Köln ist das anders“, sagt Schwalm, „weil es dort voll ist mit Studiomusikern.“