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Frankfurter Chefarzt über krankhaftes Übergewicht: „Adipositas gefährdet alle“

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Von: Steven Micksch

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Chefarzt Plamen Staikov vom Krankenhaus Sachsenhausen spricht im Interview über krankhaftes Übergewicht, Präventionsmöglichkeiten und viel zu späte Operationen.

Frankfurt - Am Krankenhaus Sachsenhausen entstand bereits vor zwei Jahrzehnten eine der ersten adipositaschirurgischen Kliniken Deutschlands. Aktuell beherbergt das Krankenhaus das größte Adipositaschirurgische Zentrum im Land. Es ist besonders spezialisiert auf Folge-Operationen (Revisionsoperationen), die nötig werden, wenn einmal Operierte wieder an Gewicht zunehmen, oder Probleme mit den Erstoperationen haben. Dabei werden Patient:innen aus der ganzen Welt in Sachsenhausen vorstellig. Am Welt-Adipositastag berichtet der Leiter des Zentrums, Plamen Staikov, von dringend notwendigen Veränderungen.

Herr Staikov, was versteht man unter Adipositas?

Adipositas ist krankhaftes Übergewicht. Zur Festlegung, wann man adipös ist, dient der Body-Mass-Index (BMI). Das ist ein Quotient aus Körpergewicht und Körpergröße.

Welche Werte sind dabei signifikant?

Ab einem BMI von 30 Kilogramm pro Quadratmeter spricht man von Adipositas. Zudem gibt es noch drei Grade: von 30 bis 35, 35 bis 40 und über 40 bedeutet dann drittgradige Adipositas.

Wie relevant ist Adipositas in Deutschland?

Die Hälfte der erwachsenen Bevölkerung in Deutschland ist übergewichtig. 25 Prozent sind adipös. Wie viele davon dann einen BMI von über 40 haben, kann man nur schätzen. Man geht aber durchaus davon aus, dass es mehr als eine Million Erwachsene sind.

Plamen Staikov berät in seiner Praxis viele übergewichtige Menschen.
Plamen Staikov berät in seiner Praxis viele übergewichtige Menschen. © Renate Hoyer

Adipositas: Hoher Blutdruck, Diabetes, Schlafapnoe

Welche Gefahren birgt Übergewicht und vor allem Adipositas für die Betroffenen?

Man muss sich bewusstmachen, dass Adipositas für sich selber eine Krankheit ist, die man grundsätzlich nicht heilen kann. Vor allem in den höheren Graden. Bei so hohem Gewicht kommt es in der Folge zu anderen Krankheiten. Am häufigsten sind dies ein hoher Blutdruck, Diabetes, Schlafapnoe und verschiedene Skelett- und Gelenkerkrankungen. Und man hat ein deutlich erhöhtes Risiko für Tumorerkrankungen.

Kann jeder Mensch von Adipositas betroffen sein?

In den Industrieländern ist es eine Kombination aus der Hauptursache, nämlich der Genetik, und den veränderten Lebens- und Essgewohnheiten. Das Überangebot an Kalorien und die Tendenz, sich immer weniger zu bewegen, führt letztlich bei vielen zu Übergewicht. Kommt dann noch eine genetische Prädisposition hinzu ist es besonders kritisch. Gefährdet sind letztendlich aber alle.

Zur Person

Plamen Staikov ist Chefarzt der chirurgischen Abteilung am Krankenhaus Sachsenhausen. Der 53-Jährige leitet das Adipositaszentrum des Krankenhauses. mic

Schützen also viel Bewegung und eine gesunde und ausgewogene Ernährung?

Wenn ich rechtzeitig damit beginne, Ja. Das muss spätestens erfolgen, wenn man übergewichtig ist, also einen BMI von 25 bis 30 hat. Bei unseren Patienten, die in der Regel einen BMI von über 40 und mehr haben, ist das nicht mehr ausreichend. Es hat auch keine reelle Chance mehr, dass die Patienten es alleine auf ein gesundes Gewicht schaffen. Hier ist die Adipositas-Chirurgie alternativlos.

Wie hilft diese Chirurgie den Menschen?

In der Regel wird das Volumen des Magens signifikant verkleinert. Am häufigsten durchgeführt wird die Schlauchmagenoperation, auch Magenverkleinerung genannt. Dabei werden rund 85 Prozent des Magens entfernt. Das Volumen des Magens wird von einem Liter auf etwa 150 Milliliter verkleinert. Das führt zu einer schnellen Sättigung und verkleinert die aufgenommene Kalorienmenge deutlich.

Frankfurter Chefarzt: „Im internationalen Vergleich operieren wir viel zu spät“

Hat Deutschland ein Problem im Vergleich zu anderen Ländern?

Im internationalen Vergleich operieren wir viel zu spät. Die Patienten mit einem BMI von 50 hätten schon vor sechs oder zehn Jahren operiert werden können, oder gar müssen. Das entspricht Männern mit 160 Kilogramm Gewicht bei 1,80 Meter Körpergröße, oder Frauen mit 135 Kilogramm bei 1,65 Meter Größe. Da sind bereits irreversible Folgeschäden, wie kaputte Knien, da. Das Ziel muss sein viel früher zu operieren, wenn es medizinisch zu empfehlen und sinnhaft ist. Aktuell wird die Krankheit Adipositas in Deutschland verwaltet, stadiengerechte Behandlung findet kaum statt. Je tiefer der BMI bei einer ersten Operation ist, umso besser die Chancen der Patienten für die Zukunft und für das Erreichen eines Normalgewichts. Hier sollten auch die niedergelassenen Ärzte die Menschen früher zu Spezialisten schicken.

Woran liegt es, dass nicht früher chirurgisch eingegriffen wird?

Die Adipositas-Chirurgie ist in Deutschland keine Regelleistung der Krankenkassen. Es müssen erst bestimmte Kriterien erfüllt sein, damit die Kassen die OP-Kosten bezahlen (Anm. d. Red.: BMI über 40 oder ab 35 mit schwerer Begleiterkrankung und bereits erfolgter konventioneller Adipositas-Therapie). Es reicht nicht aus, wenn ich als erfahrener Arzt, der sich seit 25 Jahren damit beschäftigt, sage, dass nur noch die OP hilft. Das ist letztendlich der Irrsinn bei der ganzen Geschichte. Dabei wissen die Krankenkassen aus anderen Ländern, wo früher operiert wird, dass die Ergebnisse besser sind und weniger Folgekosten entstehen.

Was kann noch helfen, Adipositas zu vermeiden?

Der sinnvollste Ansatz ist die Prävention. Die muss im Kindesalter beginnen. Denn was wirklich zugenommen hat, ist die Kinderadipositas. Das liegt an zu wenig Sport in der Schule und in der Freizeit. Sonst steuern wir immer tiefer in ein ökonomisches Desaster. Denn die Kosten für Adipositas und die damit verbundenen Folgekosten in Deutschland beziffert man schon heute auf 50 Milliarden Euro pro Jahr.

Interview: Steven Micksch

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