Caricatura Frankfurt: Gerhard Haderer ist museumsreif

Die Frankfurter Caricatura-Ausstellung würdigt einen unverwechselbaren Künstler, der trotzdem manchmal verwechselt wird
Typisch Haderer: überall Deixfiguren. Nun täte man Gerhard Haderer, dessen Werke derzeit die Caricatura zieren, bitter Unrecht, ihn als Kopisten seines österreichischen Landsmannes Manfred Deix zu schmähen. Es ist nur so, dass Deix zwei Jahre früher da war (1949), leider auch schon gegangen ist (2016), aber dafür im Duden weiterlebt. Laut dem ist die „Deixfigur“ eine „karikierende, ins Lächerliche verzerrte Darstellung eines Menschen“ beziehungsweise ein „lächerlich wirkender Mensch“.
An ersteren herrscht in der Caricatura kein Mangel. Knapp 200 Werke Haderers sind dort zu sehen, ein Triumphzug der Hässlichkeit durch die menschlichen Abgründe, darunter auch fünf Ölgemälde im epischen Format von 2,5 mal 1,8 Metern. Diese Maße haben für den Künstler eine ganz besondere Bedeutung: Er wohne in Linz in einem eher kleinen Haus, „fünf Zentimeter größer wäre nicht mehr durch das Stiegenhaus gegangen“. Klingt banal, aber „so einfach und so schlicht sieht der Haderer die Welt“.
Aber auch so klar. Das wird schon auf dem Bild deutlich, mit dem die Ausstellung beworben wird. „Selfie-Stick“ zeigt einen Hai, aus dessen Rachen eine menschliche Hand mit Handy und Verlängerung ragt. Ein Motiv, das auf Instagram sicher trendete. So abwegig ist die Idee aber gar nicht: Laut einer Studie der indischen Fachzeitschrift „Journal of Family Medicine and Primary Care“ starben von Oktober 2011 bis November 2017 weltweit mindestens 259 Menschen bei Selfie-Aufnahmen. Im selben Zeitraum fanden lediglich 50 Menschen durch Hai-Angriffe den Tod. Bislang gibt es dabei allerdings offiziell noch keine Schnittmenge.
Bevor Gerhard Haderer sich der Kunst zuwandte, hatte er auch mal einen anständigen Beruf als Dekorateur bei der Quelle AG. Und einen unanständigen als Illustrator für Werbeagenturen. Das lief so gut, dass Haderer sich im Alter von 30 Jahren entscheiden konnte, der Werbewelt den Rücken zu kehren und sich der vermeintlich brotlosen Komischen Kunst zu widmen.
Da lief’s dann aber noch besser. 1984 erschien sein erstes Cover auf der Salzburger Satirezeitschrift „Watzmann“, woraufhin sich flugs das Nachrichtenmagazin „profil“ seine Dienste sicherte. Es folgten so klangvolle Namen wie „Wiener“, „Titanic“, „Geo“, „trend“, „news“ und gar „Oberösterreichische Nachrichten“. Weltbekannt in ganz Deutschland wurde er durch „Haderers Wochenschau“, die von 1991 bis 2016 im „Stern“ erschien.
Haderer ist also solvent genug, um sich sogar Moral leisten zu können: Anfragen von allzu unappetitlichen Deixfiguren wie dem Clanpatriarchen „Sepp“ Blatter oder dem Brauseschwurbler „Didi“ Mateschitz hat er abgelehnt.
Gerhard Haderer der Caricatura
Die Ausstellung hängt noch bis zum 17. September in der Caricatura, Weckmarkt 17, Frankfurt.
Der Mensch wurde am 29. Mai 1951 im österreichischen Leonding geboren und fing kurz darauf an zu zeichnen. Heute lebt er in Linz. Er wird wissen warum.
Die Öffnungszeiten sind dienstags bis sonntags von 11 bis 17 Uhr, montags geschlossen.
Der Eintritt kostet acht, ermäßigt vier Euro. Wer noch nicht volljährig ist, muss nichts bezahlen. skb
Das kann man sich leisten, wenn man, wie Caricatura-Chef Achim Frenz das formuliert, der „Caravaggio der Komischen Kunst“ ist, ein „Superstar“, dessen Ausstellung „gleichsam wie bei den Alten Meistern nur nach dem Künstler benannt ist.“ Da flunkert Frenz freilich ein wenig, schließlich trug die Städel-Show für Rembrandt Harmenszoon van Rijn den Titel „Nennt mich Rembrandt“. „Nennt mich Gerhard“ wäre aber auch ein blöder Ausstellungstitel und würde Haderer zudem nicht gerecht.
Haderer lebt in der Tortenstadt Linz, in der es wider Erwarten schon immer mopsfidel zuging. 1605 etwa traf dorten den beliebten Hassprediger Georg Scherer beim Wüten gegen das Hexenunwesen in der Linzer Jesuitenkirche der Schlag und er plumpste koppheister und mausetot von der Kanzel. Schöner hätte Haderer das gar nicht malen können. Und schon der große Karl Kraus, auch so ein Superstar der Komischen Kunst, freute sich 1920 diebisch über ein Gedicht, „geschrieben auf eine Klosettwand in Linz“, das da lautete: „A G’selchtes und a Sauerkraut / A Maderl mit der Jungfernhaut, / Das goldene Verdienstkreuz mit der Krone — / Bruder, das war nicht ohne.“
Man sieht: In Linz war schon immer mehr los, als man glaubt. Und jetzt auch noch der Haderer, der in einer alten Linzer Tabakfabrik die „Schule des Ungehorsams“ gegründet hat, laut der Zeitung „Der Standard“ ein „Forum für Aufmüpfige und Vordenker“. In der Schule hing auch mal ein Haderer-Ölgemälde, auf dem ein wütender Jesus zum Entsetzen der anwesenden Kardinäle dem Papst den nackten Hintern versohlt. Welchem Papst bleibt unklar, das Gesicht des Pontifex Maximus ist im Gegensatz zu seinem Gesäß schamvoll verdeckt. Jetzt hängt das Bild in der Caricatura.
Wer Haderers gemalte Fratzen in all ihrer Hässlichkeit bewundert, den kann der Verdacht beschleichen, der Künstler hasse die Menschen. Das Gegenteil ist der Fall. Haderer ist Zyniker, und wie jeder Zyniker angetrieben von einem tiefen Humanismus. Das merkt man schon an den Themen, die ihn umtreiben, allen voran das Elend der Flüchtlinge, das sich wie ein roter Faden durch die Ausstellung zieht. Haderer hasst die Menschen nicht. Er hasst nur, was aus ihnen werden kann.
Etwa FPÖ-Politiker. Obwohl die auch ganz spaßig sein können. Als Manfred Deix starb, postete der damalige Wiener Vizebürgermeister „Joschi“ Gudenus, später bekannt geworden als kongenialer Sidekick von H.C. Strache in dem großartigen Ibiza-Video, einen als Hommage gedachten Text auf Facebook - und illustrierte diesen mit einem Bild von Haderer. Alle Freunde der Komischen Kunst, vorneweg Haderer, waren begeistert. Gudenus, eine Deixfigur wie aus dem Ausstellungskatalog, zog sich schließlich aus allen Ämtern, der FPÖ und der Öffentlichkeit zurück - was freilich eher an Ibizia als an der Deix-Hommage lag.
Doch die hat zumindest eines bewiesen: Das Leben mag die schönsten Geschichten schreiben. Aber die schönsten Bilder dazu malt Haderer.
