Ex-Priester findet nach Coming Out in Frankfurt seinen Platz im Leben
Der frühere Ordenspriester Stefan Diefenbach setzt sich für eine Gleichstellung von queeren Katholiken ein. Nach seinem Coming Out eröffnete er einen Weltladen in Frankfurt.
Frankfurt - Von Dienstag bis Freitag, manchmal auch an Samstagen, steht Stefan Diefenbach im Weltladen in Bornheim und verkauft fair gehandelten Weißwein aus Chile oder Seidenschals aus Indien. Das Geschäft in der oberen Berger Straße in Frankfurt hat er vor 17 Jahren mit einer Kollegin eröffnet; seine Wohnung liegt nur einige Meter darüber. Stefan Diefenbach hat seinen Platz im Leben gefunden. Die Suche danach war lang und schmerzvoll. Denn eigentlich hatte er andere Pläne.
Ein Montagabend Ende Januar. Zur besten Sendezeit bekennt sich Diefenbach in der ARD-Dokumentation „Wie Gott uns schuf“ zu seiner Homosexualität. 125 queere Katholik:innen hatten sich zuvor in der Initiative #outinchurch zusammengeschlossen. Sie setzen sich unter anderem für eine Reform des kirchlichen Arbeitsrechts ein, das homosexuelle Partnerschaften verbietet.
Ex-Priester eröffnet Laden in Frankfurt: „Kannte das Wort ‚schwul‘ lange nicht“
Diefenbach war fast 25 Jahre Ordensbruder und -priester bei den Arnsteiner Patres. Dem Orden, der bis 2018 in einem Kloster nahe Koblenz tätig war, tritt er direkt nach dem Abitur bei. Er studiert katholische Theologie; in der Gemeinschaft wird er Leiter der Jugendbegegnungsstätte.
Dass er schwul ist, habe er spät herausgefunden: „Ich kannte das Wort lange gar nicht.“ Mit Anfang 20 besucht Diefenbach einen Schulfreund. Als noch ein anderer Mann ins Zimmer kommt und den Freund küsst, ist er erschrocken und berührt zugleich.

Der Freund gibt ihm ein Buch mit: „Schwul, na und?“ von Thomas Grossmann. Beim Lesen merkt Diefenbach: Den Wunsch nach Nähe zu Männern, den habe ich auch! Doch in der Ordensgemeinschaft spricht niemand über Homosexualität. Der Tod seines Großvaters wird für Diefenbach zum Wendepunkt: „Da hat mich die Konfrontation mit der Endlichkeit angesprungen.“ Er spürt den Wunsch, seine Sexualität offen zu leben.
Ehemaliger Priester aus Frankfurt über Reaktion auf Coming Out: „Ich war ganz tief unten“
Der innere Kampf zieht sich über etwa zwei Jahre. „Mache ich im Orden weiter, weil ich das versprochen habe? Oder bin ich ehrlich und riskiere, andere zu enttäuschen?“ Im Sommer 2005 tritt Diefenbach vor das Leitungsgremium seines Ordens. Er möchte um eine Auszeit bitten, um zu prüfen, wie es für ihn weitergeht. Dann sagt er: „Ich bin schwul.“ Die vier anderen Brüder im Raum sagen nichts. Bis der Provinzial ihn schließlich auffordert: „Bitte verlasse den Raum.“ „Das war ein Bruch, ich war ganz tief unten“, sagt Diefenbach.
Gleichzeitig spürt er ein Gefühl der Befreiung. Diefenbach zieht nach Frankfurt, eröffnet den Weltladen. Seit 2016 ist er verheiratet; mit Walter Castillo, einem Opernsänger aus Argentinien. Diefenbach ist glücklich in seinem neuen Leben. Der katholischen Kirche, die seine größte Lebenskrise ausgelöst hat, ist er treu geblieben. In der Bornheimer Pfarrei St. Josef ist er Gemeinderatsmitglied. Wie schafft er das?
#outinchurch: Frankfurter organisiert Treffen von Teilnehmen aus Bistum
Sein Mann Walter Castillo sagt: „Er liebt die Institution Kirche noch immer – und er glaubt, dass sie sich verändern muss.“ Diefenbach sagt, er fühle sich wohl unter Menschen, die sich für andere engagieren und mutig Missstände kritisieren. Mitte April berichtet Diefenbach von ersten Erfolgen der Initiative: Gut die Hälfte der deutschen Bistümer haben angekündigt, jene Teile von Arbeitsverträgen, die auf die sexuelle Orientierung und das Beziehungsleben zielen, nicht mehr anzuwenden.
Vor kurzem hat Diefenbach ein Treffen aller Teilnehmenden von #outinchurch, die dem Bistum Limburg angehören, initiiert. Die Gruppe soll dem Austausch untereinander und mit Außenstehenden dienen. Auch bei der Planung der Vorstellung des Buches zu #outinchurch, die am heutigen Donnerstag, 28. April, digital stattfindet und von der Katholischen Erwachsenenbildung Frankfurt (KEB) veranstaltet wird, hat er mitgewirkt.
Zur ARD-Doku „Wie Gott uns schuf“ habe er fast nur positive Reaktionen erhalten. Diefenbach weiß, wie erlösend das sein kann. Als er sich als Ordensbruder noch vor dem Austritt zögerlich einer Kollegin anvertraute, habe diese geantwortet: „Ich dachte schon, du bist todkrank. Schwul? Das kriegen wir hin!“ (Sebastian Theuner)