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Ausstellung in Frankfurt: Bilder der Entwurzelten

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Von: George Grodensky

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Kuratorin Aviva Kaminer (links) und Esti Petri-Adiel. Rolf Oeser
Kuratorin Aviva Kaminer (links) und Esti Petri-Adiel. Rolf Oeser © Rolf Oeser

Die Malgruppe des Treffs der Überlebenden der Shoah stellt in den Römerhallen aus.

Wohin ich immer reise“ ist eine Zeile aus dem Gedicht „Kein Kinderlied“ von Mascha Kaléko. „Wohin ich immer reise / ich fahr nach Nirgendland“ heißt es darin. Die Zeile beschreibt das Gefühl des Entwurzeltseins, sagt Aviva Kaminer. Das passe gut als Titel zur ersten Schau ihrer Malgruppe: das Atelier im Treffpunkt für Überlebende der Shoah und ihren Familien.

Kaminer ist bildende Künstlerin und Kuratorin, seit fünf Jahren leitet sie die Malgruppe des Treffs an. Am Donnerstag haben die jüdische Gemeinde, die Stadt Frankfurt und die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland die Ausstellung in den Römerhallen eröffnet. Es ist die erste öffentliche Schau der Gruppe, zwei Männer und sechs Frauen, die älteste 95 Jahre alt, der jüngste Jahrgang 1947, geboren in Polen. Erstmals verlassen sie den geschützten Raum ihres Ateliers.

Auch das gefällt der Gruppe am Titel ihrer Schau: die Analogie Malen und Reisen. Ein Bild zu beginnen, ist wie eine Reise anzutreten. Es sind keine düsteren Kunstwerke, die in den Römerhallen hängen, wie man es womöglich von Holocaust-Überlebenden erwartet. Das Atelier sei „kein kunsttherapeutischer Kurs“, sagt Kaminer. Malen sei eine Bejahung des Lebens. Und des Überlebens.

Der Zivilisationsbruch, die Shoah, schwingt im Subtext mit. Kaminers Schützlinge sind größtenteils ohne Vorkenntnisse zu ihr gekommen. Die meisten Menschen lernen in ihrer Kindheit malen, aber eine normale Kindheit haben die Mitglieder dieser Gruppe nicht gehabt. Die meisten sind sogenannte Child Survivors, also Kinder, die die Shoah überlebt haben. Sie haben in jungen Jahren im Versteck gehaust, wurden im KZ geboren oder waren mit Zügen außer Landes gebracht worden, von den Eltern getrennt.

Die Bilder sind „Zeugnis gebrochener Biografien“, sagt Bürgermeisterin Nargess Eskandari-Grünberg (Grüne) bei der Vernissage. Ebenso seien sie aber auch „Zeugnisse der Individualität, der Freude, der Zugewandtheit, der Liebe und der Zärtlichkeit.“ Es sind Blumen, Landschaften, die Alte Oper, das Türmchen im Rothschildpark, Erinnerungsorte. Ein Teilnehmer hat die Tierbilder abfotografiert und später gemalt, die der Bildschirmschoner des Computers zeigt. „Eine Geste gegen das Verschwinden“, findet Kaminer. Eine Teilnehmerin hat die anderen porträtiert, außerdem ihre Maltasche und die Sofaecke.

Den Treffpunkt für Überlebende der Shoah und ihre Familien gibt es seit 2002 im Frankfurter Westend. Dort kommen die Menschen in einem geschützten Raum zusammen; der Holocaust ist Thema, aber nicht „omnipräsent“, wie Leiterin Esti Petri-Adiel sagt. Rund 170 Menschen aus Frankfurt und dem Rhein-Main-Gebiet sind regelmäßig zu Gast, besuchen das Mittwochscafé, Qi-Gong-Kurse, machen Gedächtnistraining oder malen.

Wohin ich immer reise läuft bis 12. Februar, Römerhallen Frankfurt, vor allem für Schulklassen. Am Sonntag, 5. Februar, gibt es Führungen (10, 12 und 14 Uhr) für die Allgemeinheit. Anmeldung erforderlich unter: anmeldung.zwst.org/ wohin-ich-immer-reise

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