Auf Feldspaziergang Wissen vermitteln

Kalbach Landwirte werben mit Ackertour um Verständnis bei Statdbevölkerung
Bläst der April mit beiden Backen, gibt’s viel zu jäten und zu hacken.“ Mögen in diesen Tagen auch alle von Künstlicher Intelligenz reden, in der Landwirtschaft gibt es auch noch eine andere. „Bauernregeln haben ihre Gültigkeit und Wertigkeit. Sie sind – auch wörtlich – gewachsenes Wissen“, sagt Rainer Cloos. Und der muss es wissen. Ist er doch seit über 30 Jahren Pflanzenbauberater des staatlichen Landesbetriebs Landwirtschaft für Hessen.
Aber noch etwas hat der Experte mit dem fundierten Wissen über Sortenauswahl, Fruchtfolge, Schadinsekten und Düngung beobachtet: „Die Kluft zwischen Bauern und Stadtbevölkerung wird immer größer.“ Um dem Abhilfe zu schaffen, luden am Samstag mehrere Kalbacher Landwirte zu einer Feldbegehung ein. Angeführt von Gerhard Eckert, dessen Hof am Ende der Bergstraße liegt. Mit freiem Blick über das sprießende Grün, hin zu den noch immer weißen meist kubischen Häusern am Riedberg. Ein mitunter angespanntes Verhältnis. „Häufig fehlt halt das Verständnis unserer neuen Nachbarn für unser Tun“, sagt Ortslandwirt Hendrik Stamm. Denn auf den Wirtschaftswegen tummelten sich auch viele Spaziergänger:innen, Hundehalter;innen, Reiter:innen , Radler:innen und Sportler:innen.
Bauer Eckerts Felder ist einer von zwölf in Kalbach verbliebenen Landwirten, die zusammen 320 Hektar bewirtschaften – ein Hektar entspricht 10 000 Quadratmetern. Elf von ihnen sind „Mondschein-Bauern“, wie Eckert sagt. Also meist Ein-Mann-Betriebe im Nebenerwerb. Insgesamt gibt es in Frankfurt noch etwa 4000 Hektar Anbaufläche. Dazu 200 Rinder, 50 Milchkühe und 1200 Schweine, wie Joachim Diesner aufzählt, Referent beim Verband für landwirtschaftliche Fortbildung. Derweil stehen die gut 20 Interessierten vor einem Weizenfeld auf der Kalbacher Höhe. „Das sieht für mich immer wie Gras aus“, sagt eine der Teilnehmerinnen. „Gar nicht falsch“, antwortet der Fachmann. „Getreide sind Süßgräser.“ Je nach Eiweißgehalt wird Weizen bei der Ernte in die Qualitäts- und Preisstufen A, B oder E eingeteilt. Was für „Elite“ steht. Doch der Weg dorthin hat seine Tücken. Sie zu meistern, hilft Rainer Cloos. „Bauern müssen heute Universalwissende sein. Das schafft man kaum“, sagt er. Dazu komme die Bürokratie. Mehr Zeit am Schreibtisch als auf dem Schlepper. „Und wenn wir mit dem Düngerstreuer oder der Pflanzenspritze unterwegs sind, reden alle von Glyphosat. Das ist mittlerweile ein Schimpfwort“, sagt Ortslandwirt Stamm leicht genervt.
Viel mehr zu schaffen machen ihm und seinen Kollegen die immer milderen und feuchten Winter. Sie befördern schädliches Pilzwachstum. Und der Erntezeitpunkt rückt immer weiter nach vorne. Lag der für Weizen 1985 noch im August, wird das Getreide jetzt zwischen Ende Mai und Anfang Juli eingebracht.
Das stellt auch ein Problem für eine ganz anderer Spezies dar: den Feldhamster. Dem fehlt auf den abgeernteten Feldern dann die Deckung. So wird er schnell zur Beute von Greifvögeln. „In den 60er Jahren wurden noch Prämien für jeden toten Hamster gezahlt“, erinnert sich Cloos. „Heute gibt es Fördermittel, wenn der Bauer Feldstreifen als Unterschlupf stehen lässt.“
Bauer Eckert überlegt die Feldertour – eine „Volksgrundschule zur Landwirtschaft“, wie sie Joachim Diesner bezeichnet – vielleicht im Spätsommer zu wiederholen.