Ja, und mein Bestreben ist es, dass jüdisches Leben sich noch offener in der Gesellschaft zeigen sollte. Jüdisches Leben soll in Hessen erfahrbarer und wahrnehmbarer werden. Dazu will ich meinen Beitrag leisten.
Wie kann das gelingen?
Indem der Staat sehr deutlich zeigt, dass er jüdisches Leben schützt, und nicht den Eindruck erweckt, dass er vor dem Antisemitismus zurückweicht. Er muss gegen Antisemitismus in jeder Form vorgehen.
Sie haben vor einem Jahr ein Zeichen gesetzt, als Sie alle Frankfurter dazu aufriefen, sich mit Kippa in der Öffentlichkeit zu zeigen. Wie fühlt es sich für Sie an, Kippa zu tragen?
Es erzeugt schon mehr Blicke auf einen, als man das sonst gewohnt ist.
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Unangenehme Blicke?
Ich würde sagen: Neugierige Blicke. Ich glaube, dass Hessen und auch Frankfurt in einer besseren, positiveren Situation sind als das mancherorts der Fall ist. Ich glaube, die Offenheit ist hier eine andere.
Als hessischer Antisemitismusbeauftragter sind Sie auch Kontaktperson für Menschen, die Opfer von Judenfeindlichkeit geworden sind. Haben sich Menschen mit solchen Erfahrungen an Sie gewendet?
Bisher nur sehr wenige. Man muss sehen, dass auch die gemeldeten Zahlen in Hessen sehr niedrig sind. Wir haben, wenn wir uns die Polizeistatistik in Hessen anschauen, sogar eher einen Rückgang, von über 70 Fällen 2014 bis heute, wo 50 Fälle gemeldet sind. Punktuell melden sich Menschen bei mir und erzählen von Erfahrungen, die entweder ihre Kinder in der Schule gemacht haben oder sie selbst, etwa im Sport bei Auswärtsspielen des Vereins Makkabi.
Wie können Sie dann helfen?
Wenn es sich um Vorgänge an Schulen handelt, suche ich das Gespräch zu Schulleitungen. In anderen Fällen muss man sich im Detail anschauen, worum es sich genau handelt. Nicht immer ist direkte Hilfe möglich. Demnächst werden wir eine eigene Meldestelle als Anlaufstelle neben der Polizei einrichten.
Uwe Becker ist Beauftragter der hessischen Landesregierung für jüdisches Leben und den Kampf gegen Antisemitismus. Der 49-jährige wurde im April von der Landesregierung in das Amt berufen. Als Bürgermeister und Stadtkämmerer Frankfurts ist Becker hauptamtlich tätig. Der Christdemokrat engagiert sich als Präsident der Freunde der Universität Tel Aviv in Deutschland und als Vorstandsmitglied der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Frankfurt. Becker trat mit zahlreichen Initiativen gegen Judenfeindlichkeit ein.
Muss es ein unterschiedliches Vorgehen geben gegen klassisch rechtsextrem motivierten Antisemitismus und den Antisemitismus, mit dem Menschen aus dem arabischen Raum aufgewachsen sind?
Ja, auf jeden Fall. Wir haben nach wie vor die Situation, dass bei den gemeldeten Fällen von antisemitischen Straftaten 90 Prozent aus dem rechtsradikalen Spektrum kommen. Auf der anderen Seite haben wir es mit jungen Menschen zu tun, die aus Kulturkreisen kommen, wo das Feindbild des Juden, insbesondere des israelischen Juden, früh in der Erziehung greift. Das fordert andere Ansätze im Herangehen. Aber wenn ich jüdisches Leben, jüdische Traditionen vermittle, kann ich die unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten erreichen. Außerdem gehört ein konsequentes Vorgehen dazu gegen Organisationen, die Judenhass verbreiten, seien es BDS oder andere Organisationen.
Sie haben mit dafür gesorgt, dass Frankfurt und Hessen der Israel-Boykottbewegung BDS (Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen) entgegentreten. In der Öffentlichkeit wird darüber gestritten, ob BDS nur israelkritisch ist oder auch antisemitisch. Wo ziehen Sie die Linie?
BDS ist für mich eine ganz klar antisemitische Bewegung. Ihr Kernziel ist die Delegitimierung des Staates Israel. Sie arbeitet mit den Mechanismen der Diffamierung des Staates, anstatt sich mit einzelnen Punkten der Politik auseinanderzusetzen. Da verläuft für mich die Grenze. BDS ist aus ihrer Sprache sehr nahe bei der Sprache der Nationalsozialisten. Früher hieß es „Kauf nicht beim Juden“, heute heißt es „Kauft nicht bei Israel“.
Halten Sie die Kritik an der israelischen Siedlungspolitik für berechtigt?
Natürlich kann man die Frage der Siedlungspolitik kritisch diskutieren. Aber BDS geht weiter und spricht dem Staat die Legitimation ab, wenn man auf diejenigen hört, die BDS ins Leben gerufen haben. Das ist schon sehr markant antisemitisch.
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Deutschland hat sich nicht der Haltung von Donald Trump angeschlossen, Jerusalem zur Hauptstadt Israels zu erklären. Ist unsere Wahrnehmung richtig, dass Sie die Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt befürworten?
Ich habe da eine sehr persönliche Auffassung, die ich vertrete, allerdings weder in meiner Rolle als Antisemitismusbeauftragter noch als Bürgermeister in Frankfurt. Meine Auffassung ist, dass eine Stadt, in der die Regierung sitzt, in der der Präsident sitzt, in der das Parlament sitzt, auch die legitime Hauptstadt eines Staates ist. Aus dieser Sicht glaube ich, dass es legitim ist, Jerusalem als Hauptstadt Israels zu sehen, und hoffe, dass das auf längere Sicht auch in der Staatengemeinschaft Anerkennung findet. Ich finde, man sollte erst die Fakten auf den Tisch legen. Dann hat man vielleicht auch eine Chance, in anderen Fragen im Friedensprozess auf beiden Seiten die Wege zu gehen, die notwendig sind.
Antisemitismus ist schon lange zu beklagen. Aber erst seit dem vergangenen Jahr gibt es nun Antisemitismusbeauftragte, zuerst im Bund, dann auch in Hessen. Ist das Problem größer geworden oder die Aufmerksamkeit dafür?
Ich glaube beides. Leider muss man feststellen, dass der Antisemitismus in der Gesellschaft größer geworden ist. Der traut sich, auch durch Parteien, die leider im Bundestag vertreten sind, wieder deutlich lauter und aggressiver auf die Straßen unseres Landes. Ich glaube, es ist nicht fünf vor zwölf, sondern schon zehn nach zwölf, wenn wir genau hinschauen. Es geht nicht nur um die Ränder, sondern um die breite Mitte der Gesellschaft, wo antisemitische Stereotype verbreitet sind.
Wie weit sehen Sie dabei die AfD als Problem?
Ich glaube, dass die AfD in hohem Maße das Klima befördert, in dem Antisemitismus wächst. Wer die Zeit des Nationalsozialismus als „Vogelschiss der deutschen Geschichte“ kleinredet, wer von tausend Jahren deutscher – und nicht europäischer – Geschichte spricht, weiß sehr genau, wen er damit bedient. Wer eine erinnerungspolitische Wende um 180 Grad einfordert, der fördert Antisemitismus nicht nur, sondern der betreibt ihn mit. Die AfD ist sicher ein Teil der gesellschaftlichen Enthemmung, mit der Antisemitismus wieder um sich greift.
Sie haben sehr viele Aufgaben, nicht zuletzt als Bürgermeister und Kämmerer von Frankfurt. Wie bringen Sie das mit Ihrer neuen Aufgabe als Antisemitismusbeauftragter unter einen Hut?
Durch Engagement, ein gutes Zeitmanagement und viel Leidenschaft für diese gesellschaftliche Frage. Das ist für mich ein Herzensanliegen. Gerade in Zeiten, wo Antisemitismus als gesellschaftliches Gift sich wieder breitmacht, ist es Zeit, sich hier stärker einzubringen.
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