Angelo Kelly verlangt Respekt

7548 Musiker aus ganz Deutschland erspielen sich im Waldstadion in Frankfurt einen Weltrekord. Angelo Kelly von der Kelly Family muss sich gegen Betrunkene verteidigen.
Es klingt überraschend schön. Ja, sogar harmonisch. Die meist genutzte Beschreibung des Gefühlsausdruck, die man zu hören bekommt, ist „Gänsehautmoment“. Dabei ist es das erste Mal, abgesehen von der Generalprobe am Morgen, dass die 7548 Musiker aus den verschiedensten Amateurorchestern aus ganz Deutschland zusammen mit den Profis der Neuen Philharmonie Frankfurt spielen. Und zwar am Samstagabend im Waldstadion. Denn es geht an dem Tag darum, einen Weltrekord zu knacken: Sie wollen das „Größte Orchester der Welt“ sein. „Wir füllen das Stadion“, so der passende Name der Veranstaltung.
Junge Frauen in Petticoats streichen ihre Cellos, Männer im Ü-50-Alter haben knallrote Wangen, während sie in ihre Trompete pusten. Vor Anstrengung oder weil sie vorab das eine oder andere Bier zum Aufwärmen getrunken haben. Schließlich sind sie schon seit elf Uhr morgens hier. Sogar Angelo Kelly, ja genau der von der Kelly Family, macht mit. Er spielt Schlagzeug.
Zehn Jahre hat Kelly nicht mehr das Schlagzeug angerührt. Bis zu diesem Samstag. Auch er will zum Weltrekord-Gelingen beitragen. Beim Rekordhalter, einem 2013 im australischen Brisbane aufgetretenen Orchester, wurden laut Guinness-Redaktion 7224 Musiker gezählt. Am Ende ist es knapp, aber der Rekord ist mit 324 Menschen in Frankfurt übertroffen. Und nicht nur landet das im legendären Guinnessbuch der Rekorde, sondern auch beim deutschen Konkurrenten, dem „RID Rekord-Institut für Deutschland“.
Vier Lieder spielt das größte Orchester der Welt: Auszüge aus Beethovens 9. Symphonie, Auszüge von Dvorák, einen Musicalsong aus „Starlight Express“ und die Pop-Hymne überhaupt: „Music was my first love“. „Die Noten haben die Musiker vorher zum Üben zugeschickt bekommen. Sie wurden neu arrangiert, damit sie jeder Teilnehmer spielen kann“, erzählt Wolf Kerschek, Dirigent und Komponist aus Hamburg. Er trägt einen Frack zu wilder, langer Lockenfrisur und so eine gelbe, runde John-Lennon-Sonnenbrille. Die Nächte davor habe er nicht besonders geschlafen. „Mit so einem großen Orchester zu musizieren, ist auch für mich außergewöhnlich." Groß sei seine Sorge gewesen, dass am Ende nur Lärm und keine Musik erklingt. "Denn noch wichtiger als der Rekord ist mir, dass jeder einzelne Musiker glücklich nach Hause geht, weil er zufrieden mit sich ist.“
„Es ist einfach schön, mit so vielen Musikern einmal im Leben spielen zu dürfen“, sagt Gerd Brehm aus dem bayrischen Eltersdorf. Der Erste Vorsitzende des Musikvereins Eltersdorf ist mit seiner Frau und den Kindern Anna (9), Georg (15) und Moritz (11) angereist. Überhaupt ist es ein Familienfest. Die Teilnehmer sind in so ziemlich allen Altersdekaden vertreten. Eine sehr fröhliche Truppe ist die KKM (Katholischen Kirchenmusik) Bürstadt Jugend. Sie zählt mit 30 Teilnehmern zu den größten Gruppen, die sich angemeldet haben. „Bier und Wasser“ hätt sie intus, sagt Oliver Siegler, 24, einer der Bläser der Gruppe. Sie sind gut gelaunt.
Andere Besucher vertragen das Bier nicht so gut. Vor dem Konzert gibt es noch eine große Musikmeile: In dem Zelt von HK Audio, dem Hauptsponsor des größten Orchesters der Welt, spielt vor seinem großen Auftritt am Abend auch Angelo Kelly nur mit Gitarre ein paar Songs. Er ist klein, seine Stimme großartig. Er muss nicht nur gegen ein Blasorchester ansingen, sondern auch gegen ein paar betrunkene Orchestermitglieder, die ihn mit ihrer Version des Kelly-Family-Hits: „An angel“ deutlich provozieren wollen.
„Shut, the fuck up"
Sie hören auch bei der Autogrammstunde damit nicht auf. Er rennt wutentbrannt zu ihnen rüber: „Shut, the fuck up. Ihr seid Musiker, ich bin Musiker. Also bitte ein bisschen mehr Respekt“, sagt er. Die Truppe sagt nichts mehr. Scham überwiegt. Der Ire weiß, wie das Leben funktioniert. Der 34-Jährige hat mittlerweile seine eigene kleine Kelly-Family. Fünf Kinder zwischen eins und 15. Drei Jahre war er mit seiner Familie im Bus durch Europa unterwegs und verdiente sein Geld auf der Straße.
Mit der Kelly Family hatte er in den 90ern neunmal die Westfalenhalle in Dortmund ausverkauft. Nach dem Weltrekord spielt er wie der Frankfurter Rockmusiker Daniel Wirtz und Singer-Songwriter Johannes Oerding beim „Pop Meets Classic“-Konzert mit.
Sprachlos vor Glück am Abend ist Jens Illemann, der Initiator. Der Trompeter aus Hamburg hatte drei Jahre an seiner Idee gearbeitet. Ursprünglich sollte der Weltrekord in Hamburg sein. Aber der Veranstalter sagte ab, aber dafür der Frankfurter Stadionchef Patrik Meyer zu.
Als später am Abend das Ergebnis von 7548 anhand der gescannten Eintrittsticket verkündet wird, zeigt nicht nur Dirigent Kerschek ein Dauerlächeln. Alle springen von ihren Sitzen, umarmen sich und ja, es gibt auch hier den EM-Wikinger-Schlachtruf der Isländer zu hören.