1. Startseite
  2. Frankfurt

Am Tag, als der gelbe Regen kam

Erstellt:

Von: Rainer Forst

Kommentare

Störfall Hoechst AG Werk Griesheim
Störfall Hoechst AG Werk Griesheim © Andreas Hirsch

Vor 30 Jahren traten beim Rosenmontagsstörfall im Industriepark Griesheim zehn Tonnen Chemikalien aus.

Bizarre Gestalten bewegen sich am Rosenmontag des Jahres 1993 auf den Straßen im Frankfurter Stadtteil Schwanheim. Ausgerüstet mit Schutzanzügen und Atemmasken wischen sie die gelblich-braunen Überreste einer giftigen Substanz ab, die nach einem Unfall aus der Produktionsanlage der Firma Hoechst im damaligen Industriepark Griesheim ausgetreten ist. Das Wohngebiet schrammt nur knapp an einer Chemiekatastrophe vorbei. Und das Kommunikationsdesaster aufseiten der Verantwortlichen bedeutet den Anfang vom Ende der Hoechst AG.

Was heute vor genau 30 Jahren am Morgen in dem Chemiewerk geschehen ist, hat die Staatsanwaltschaft später bis ins Detail ermittelt. Demnach führte eine Verkettung von Fehlern zum Störfall. So hätte eigentlich in der Fabrik, in der Farben hergestellt werden, permanent ein Rührwerk laufen müssen. Tat es aber nicht. Die Anlage heizte sich auf – die Anweisung eines Schichtführers, den Kühlprozess einzuleiten, wurde missachtet. Stattdessen schaltete ein Kollege fatalerweise jetzt das Rührwerk ein. Zehn Tonnen Chemikalien entwichen und schlugen sich in Form eines klebrigen gelben Niederschlags auf einem 1,2 Kilometer langen und 300 Meter breiten Streifen nieder. Betroffen waren Wohngebiete für rund 1000 Menschen und etwa 100 Kleingärten in den Stadtteilen Schwanheim und Goldstein.

Aus der Führungsebene der Fabrik kam kaum ein Ton. Doch der gelbe Film war nicht wegzudiskutieren. Und anders als bei früheren Ereignissen bekamen die Menschen Angst. Wer konnte, floh, um dem Gift zu entgehen. Wie die Schwanheimerin Claudia Dahlke mit ihren drei Kindern, die bei der Oma in Gelnhausen Unterschlupf fand. „Ich halte die Unsicherheit nicht mehr aus“, erzählte sie damals dieser Zeitung.

Es war die große Ära der Privatsender – Kamerateams fielen in Schwanheim ein, bevor die Bosse sich äußerten. Und es war die Zeit vor Internet und E-Mail, doch bis zum späten Nachmittag war an diesem Rosenmontag die Glaubwürdigkeit der Hoechst AG dahin.

Das bestätigt auch Ex-Vorstandsmitglied Karl-Gerhard Seifert in seinem Buch „Goodbye Hoechst“, 2019 im Societäts-Verlag erschienen. Er erlebte das Unglück an vorderster Konzern-front, vertrat den für das Werk Griesheim verantwortlichen, aber im Südafrika-Urlaub weilenden Vorstand Karl Holoubek. Auch der damalige Hoechst-Chef Wolfgang Hilger war im Urlaub – und ließ sich nach Seiferts Aussagen selbst dann nicht zur Rückkehr nach Frankfurt bewegen, nachdem er ihm am Telefon den Ernst der Lage erklärt hatte. Was Hilger hinterher bestritt.

Den Imageschaden für das Unternehmen schildert Seifert als immens – nicht so jedoch die tatsächliche Gefahr, die vom gelben Film ausgegangen sei. Das Hessische Sozialministerium habe den Reinigungskräften weiße Schutzanzüge und Masken verordnet, behauptet Seifert, um den Chemieunfall wie einen „Atomunfall publikumswirksam“ zu inszenieren.

Schwanheim 1993 Rosenmontagsstörfall
Schwanheim 1993 Rosenmontagsstörfall © Rudi Goebel

Auch interessant

Kommentare