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Justiz
Alt-Sachsenhäuser Nächte sind lang
- vonStefan Behrschließen
Mitunter enden sie erst Monate später vor dem Amtsgericht Frankfurt, so wie diese frühmorgendliche Auseinandersetzung zwischen Betrunkenen, die dann gemeinsam die Polizei attackieren.
Am frühen Morgen des 20. September 2020 endet die Alt-Sachsenhäuser Nacht auf traditionelle Art. Zwei Gruppen Besoffener pöbeln sich gegen 5 Uhr in der Großen Rittergasse so lange an, bis die Polizei gerufen wird. Die Besoffenen begrüßen die Ordnungshüter mit ähnlicher Begeisterung wie ein unbeugsames gallisches Dorf frische Römer-Legionen: Der gut 50 Suffköpfe zählende Mob schließt sofortigen Burgfrieden, pöbelt nun unisono die Polizei an, beschmeißt die Beamten, deren Pfefferspray vom Winde verweht wird, mit Flaschen, Gläsern, Dosen sowie allem, was nicht niet- und nagelfest ist. Ein Beamter erleidet eine Kieferprellung.
In vorderster Front gibt Maximilian M. den Majestix: Er plustert sich auf, filmt die Beamten minutenlang mit seinem Handy, zeigt ihnen den Mittelfinger und wirft schließlich einen Metallaschenbecher nach den Hütern des Gesetzes, ohne einen von ihnen zu treffen, was allerdings entschuldbar ist (2,4 Promille).
„Das kann ja jeder sagen, dass es ihm leidtut“, sagt der 33 Jahre alte M. am Montagmorgen vor dem Amtsgericht, und das ist lustig, weil das tatsächlich jeder sagt, der sich wie M. wegen schweren Landfriedensbruchs, Beleidigung, Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und versuchter gefährlicher Körperverletzung verantworten muss. Aber ihm „tut’s wirklich leid“, denn prinzipiell sei er „überhaupt gar nicht für Gewalt“, sondern eher irgendwie dagegen. Trotzdem taucht er vor Gericht mit einem bunten Strauß von 16 Vorstrafen auf, bei dem nun wirklich für jeden Geschmack etwas dabei ist. Schuld seien irgendwie auch die Frauen, findet M., zumindest seine Ex-Frau, denn nach der Trennung „bin ich irgendwie im Alkohol gelandet, ich weiß auch nicht, warum“.
Therapieplatz gegen Alkoholsucht besorgt
Aber immerhin tut’s ihm leid. Und er hat sich auch schon einen Therapieplatz gegen seine Alkoholsucht besorgt. Außerdem ist er voll geständig, was nicht weiter schwerfällt, weil all seine Missetaten auf Video zu bestaunen sind – aber immerhin bleibt den geschundenen Polizisten dadurch ein Auftritt im Zeugenstand erspart. Das alles und die Tatsache, dass 2,4 Promille zweifelsfrei die Schuldfähigkeit mindern, veranlasst das Gericht, trotz nachvollziehbarer schwerer Bedenken noch einmal Gnade vor Recht ergehen zu lassen. M. wird zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr verurteilt. Er muss zudem 200 Stunden gemeinnützige Arbeit leisten, was aber wohl machbar ist, da er derzeit von keiner anderen Arbeit abgelenkt wird.
Die mittlerweile fast allnächtlichen Angriffe auf Polizisten in Frankfurts Problemtrinkerviertel empfindet die Staatsanwältin als „beängstigend, erschreckend und für den Großteil der Bevölkerung nicht nachvollziehbar“. So ähnlich sieht es auch der Amtsrichter, der aber wohl schon ewig nicht mehr in Alt-Sachsenhausen war. Denn der rechnet M. zwar zu den „Wirrköpfen und Vollidioten“, die Frau Rauscher in immer erschreckenderer Zahl heimsuchen, glaubt aber unbeirrt, dass es dort „auch noch ganz normale Menschen gibt, die sich einfach nur amüsieren wollen“.