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„Der Willkür der Taliban ausgeliefert“: Scharfe Kritik an Abschiebung von Afghanin in den Iran

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Von: Fabian Scheuermann

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Köln im Herbst: Eine Demonstrantin mahnt Hinsehen an.
Köln im Herbst: Eine Demonstrantin mahnt Hinsehen an. © IMAGO/NurPhoto

Eine Frau aus Afghanistan wird von Frankfurt nach Teheran zurückgebracht – und von dort aus nach Kabul. Menschenrechtsorganisationen üben scharfe Kritik am Flughafenverfahren.

Frankfurt – Dass man derzeit niemanden in den Iran abschieben will, ist auf Bundes- und Länderebene eigentlich Konsens – von Ausnahmen wie „Gefährdern“ abgesehen. Trotzdem wurde in der vergangenen Woche eine Afghanin von Frankfurt nach Teheran abgeschoben – und von dort weiter in die von den Taliban beherrschte afghanische Hauptstadt Kabul. Der Hessische Flüchtlingsrat und die Organisation Pro Asyl haben den Fall jetzt öffentlich gemacht.

Dass die Afghanin abgeschoben werden konnte, sei einem „Totalversagen“ der Behörden und des Verwaltungsgerichts geschuldet, kritisiert Wiebke Judith, rechtspolitische Referentin bei Pro Asyl. Als unverheiratete Frau sei die Abgeschobene nun „der Willkür der Taliban ausgeliefert“. Dafür sei Deutschland verantwortlich. Judith fordert die Bundesregierung zum Handeln auf: „Wir appellieren an Innenministerin Nancy Faeser, diese krasse Fehlentscheidung ihres Ministeriums rückgängig zu machen und die Frau umgehend nach Deutschland zurückzuholen.“

Der in Deutschland lebende Bruder konnte seiner Schwester nicht helfen

Weil die Frau mit einem iranischen Pass eingereist sei, der als echt eingeschätzt wurde, hätten die Behörden ihr nicht geglaubt, dass sie aus Herat in Afghanistan komme. Weder eine Bestätigung des afghanischen Generalkonsulats in Bonn über ihre Identität, noch eine eidesstattliche Erklärung ihres in Deutschland lebenden Bruders hätten daran etwas ändern können.

Der Bruder bestätigte der Frankfurter Rundschau die Abschiebung seiner Schwester. Er habe der Polizei am Flughafen noch angeboten, einen DNA-Test zu machen und diesen auch zu bezahlen – ohne Erfolg. „Ich habe alles versucht, aber ich habe es nicht geschafft“, erzählt er matt am Telefon. Seine Schwester sei für den Abschiebeflug auch gefesselt worden. Zu den konkreten Gründen ihrer Flucht aus Afghanistan möchte er sich aus Sorge um ihre Sicherheit nicht äußern.

Der Fall wirft ein Schlaglicht auf das Flughafenverfahren, das bei Personen angewandt wird, die ohne gültige Einreisepapiere an einem deutschen Flughafen ankommen und dort um Asyl bitten. Asylanträge werden dann in einer Art Schnellverfahren geprüft. In dem Fall der nun abgeschobenen Frau sei der Antrag wegen ihres – echten oder unechten – iranischen Passes als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt worden, heißt es. Bereits Mitte des Monats war auf diese Weise ein Iraner von Frankfurt nach Teheran zurückgeschoben worden.

Abschiebungen

12.945 Personen sind 2022 aus Deutschland abgeschoben worden, 33 davon in den Iran. Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linken hervor. 5.149 Personen wurden nach ihrem Grenzübertritt „zurückgeschoben“. In 800 Fällen wurden „Hilfsmittel der körperlichen Gewalt“ wie Fesseln eingesetzt.

129 Charterflüge erfolgten eigens zum Zweck von Abschiebungen. Diese Art abzuschieben ist besonders teuer – der teuerste Einzelflug war die Abschiebung von 16 Menschen nach Pakistan im Juni, an der 65 Beamtinnen und Beamte beteiligt waren – es entstanden bei diesem Flug Kosten in Höhe von rund 505.000 Euro. fab

Flüchtlingsrat mit scharfer Kritik an Vorgehen – Innenministerium äußert sich

Timmo Scherenberg vom Hessischen Flüchtlingsrat kritisiert das Verfahren scharf: „Es werden Einrichtungen und Personal vorgehalten, es entstehen Kosten in Millionenhöhe, und das nur, damit im letzten Jahr 120 Menschen der Zugang zum regulären Asylverfahren verwehrt werden konnte – bei 217.774 Asylanträgen bundesweit. Und dann kommt es auch noch zu solchen krassen Fehlentscheidungen“. Das Flughafenverfahren gehöre daher „ersatzlos abgeschafft“.

Am Flughafen greift kein Abschiebestopp – da die Menschen dort als nicht eingereist gelten. Sie würden auch nicht „abgeschoben“, sondern „zurückgewiesen“, heißt es beim Bundesinnenministerium (BMI) auf Anfrage. „Aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes“ nehme man zu „Einzelfällen“ wie dem aktuellen „keine Stellung“. Die Bundespolizei äußerte sich bis Redaktionsschluss nicht zu dem Fall, wollte aber noch antworten.

Rund 30.000 Afghan:innen seit Machtübernahme der Taliban aufgenommen

Seit der Machtübernahme der Taliban sollen laut Auswärtigem Amt rund 30.000 Afghan:innen in Deutschland aufgenommen worden sein. Über das Ende 2022 initiierte Bundesaufnahmeprogramm aber noch niemand – man bereite derzeit „erste Aufnahmezusagen“ vor, heißt es beim BMI.

Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hat derweil an den hochfrequentierten Botschaften in Teheran und Islamabad die Bearbeitung von Aufnahmeanträgen von Afghan:innen pausiert – wegen Hinweisen auf mögliche Missbrauchsversuche. Man wolle jetzt eine „zusätzliche Sicherheitsbefragung“ einführen, zitierte die Deutsche Presse-Agentur am Mittwoch Diplomatenkreise. (Fabian Scheuermann)

Bereits 2019 gab es am Flughafen Frankfurt Sammelabschiebungen von Menschen aus Afghanistan.

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