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Die ältesten Bilder der Menschheit

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Von: Franziska Schubert

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Richard Kuba kennt sich exzellent mit der Geschichte des Frankfurter Felsbildarchivs aus.
Richard Kuba kennt sich exzellent mit der Geschichte des Frankfurter Felsbildarchivs aus. © Peter Jülich

Im Archiv in Frankfurt lagern mehr als 8000 originalgetreue Zeichnungen sowie rund 70.000 Fotografien, die von Expeditionen nach Afrika, Australien, Ozeanien und Europa stammen.

Eindrucksvolle Zeichnungen und Aquarelle, um die sich sagenhafte Geschichten ranken: Richard Kuba vom Frobenius-Institut hütet an der Frankfurter Universität einen menschheitsgeschichtlich höchst bedeutsamen Kulturschatz. Im Felsbild-Archiv auf dem Campus Westend lagern mehr als 8000 originalgetreue Zeichnungen sowie rund 70 000 schwarz-weiß Fotografien, die von legendären Expeditionen nach Afrika, Australien, Ozeanien und Europa des rührigen Institutsgründers und Ethnologen Leo Frobenius stammen.

Trotz seiner deutsch-nationalen Gesinnung war Frobenius (1873 bis 1938) einer der ersten europäischen Wissenschaftler, die den Wert der Kultur des damals als geschichtslos geltenden Kontinents Afrikas erkannten und sie nicht für primitiv hielten. „Für ihn waren die afrikanischen Kunstgegenstände ebenso bedeutsam wie die Hinterlassenschaften aus der griechischen Antike“, sagt der Afrika-Historiker Richard Kuba. „Und Frobenius war kein Rassist“, auch wenn er später Geschäfte mit den Nationalsozialisten machte.

Dass das wissenschaftliche Interesse für Felsbilder im 19. Jahrhundert keineswegs selbstverständlich war, zeigt das Beispiel der 1868 erstmals entdeckten Höhle von Altamira in Spanien. Es dauerte mehr als 20 Jahre, bis der französische Prähistoriker Émile Cartailhac seinen Irrtum erkannte, dass es sich dabei keineswegs um Schmierereien handelte, sondern um rund 930 steinzeitliche Höhlenbildern von Hirschen, Bisons, Pferden und Wildschweinen.

Der 1873 in Berlin geborene Frobenius, der auch eine künstlerische Ader besaß, finanzierte seine in Eigenregie geplanten Forschungsexpeditionen über den Verkauf von Objekten aller Art an deutsche Völkerkundemuseen in Berlin, Leipzig und Hamburg: im Angebot hatte er Kunsthandwerk, aber auch Skulpturen und Masken. Damals gab es noch keine strengen Kontrollen für die Ausfuhr von Kulturgütern.

Zugleich sammelte Frobenius auf seinen Reisen Märchen, Mythen und Erzählungen - kurz das geistige Erbe „einer sterbenden Kultur, die etwa in Afrika von der Kolonialisierung bedroht war“, betont Kuba. Insgesamt unternahm Frobenius zwölf Reisen nach Afrika. Bis zu seinem Tod veröffentlichte der Forscher zudem mehr als 50 Bücher – viele seiner gewagten Thesen gelten heute allerdings als überholt. Großen Einfluss hatte er auf französische Ethnologen. Und bis heute genießt Frobenius vielerorts in Afrika hohes Ansehen, da er durch seine Schriften die dort lebenden Menschen in ihrer kulturellen Selbstbehauptung unterstützte.

Frobenius einzigartige Leistung bestand darin, schon sehr früh insbesondere der visuellen Dokumentation der Kulturgüter eine große Bedeutung beizumessen. Bereits auf seiner ersten Forschungsreise 1904 in den Kongo nahm er einen Zeichner mit. „Frobenius selbst sagte von seinem Institut, dass es über zwei Flügel verfügt: die Wissenschaft und die Kunst“, berichtet Kuba. „Übrigens war sein Bruder auch Maler.“

Im Lauf der Zeit scharte Frobenius eine illustre Schar von mehr als 20 Malern und Wissenschaftlern um sich, darunter eine große Zahl an Malerinnen, die sich selbst die „Frobeniden“ nannten. „Das war eine eingeschweißte Gemeinschaft mit einer eigenen Subkultur, vielen Partys, diversen Liebschaften mit Wissenschaftlern und einer Vielzahl an Gedichten, die sie sich gegenseitig zum Geburtstag schrieben“, berichtet Kuba. „Die Expeditionen waren zwar mit unendlich viel Plackerei verbunden, für die Teilnehmer bedeuteten sie aber auch einen Ausbruch aus der bürgerlichen Welt.“

Neben seiner zuweilen pathetischen Hingabe – Frobenius selbst sprach von „Ergriffenheit“ angesichts so bedeutsamer Kunstwerke – und seiner romantischen Verehrung der „ältesten Kunst der Menschheit“ trieb Frobenius, der schlecht mit Geld umgehen konnte, die ständige Suche nach Quellen um, damit er seine Forschungsreisen finanzieren konnte. „Er war ein Schlawiner“, sagt Kuba. So hatte Frobenius mit dem Völkerkunde Hamburg ausgehandelt, dass es sich verpflichtete zehn Reichsmark für jedes Sammlungsstück zu bezahlen. „Niemand hätte damit gerechnet, dass er am Ende 8000 Stücke aus dem Kongo zurückbringen würden und damit das Museum fast in den Ruin trieb.“

Mit seiner charismatischen Art konnte er auch Kaiser Wilhelm II. für sich gewinnen – aus einer kurzen Audienz wurde 1912 ein stundenlanges Gespräch. Von der lebenslangen Freundschaft, die die beiden verband, zeugt ein dicker Briefband, den das Frobenius-Institut herausgegeben hat.

Der Arbeitsauftrag von Richard Kuba lautete vor zehn Jahren, das Archiv zu digitalisieren, doch mit der Entdeckung, dass Frobenius auch international große Ausstellungserfolge gefeiert hatte, begann ein Umdenken: Immer stärker in den Fokus von Kubas Arbeit rückte nun die Aufgabe, der Öffentlichkeit Frobenius Erbe zugänglich zu machen und Ausstellungen zu kuratieren, beispielsweise im Martin-Gropius-Bau in Berlin oder aktuell in Mexiko. Teile von Frobenius‘ Sammlungen sind bereits vor dem Zweiten Weltkrieg ausgestellt worden - unter anderem in Paris, Brüssel, Amsterdam, Zürich und Johannesburg. Insbesondere hervorzuheben ist die Felsbild-Schau 1937 im Museum of Modern Art (Moma) in New York, die anschließend in 31 weiteren Städten in den USA gezeigt wurde. Die Werke stießen damals auf großes Interesse beim amerikanischen Publikum, das erstmals prähistorische Kunst zu Gesicht bekam. Die kulturgeschichtlichen Exponate beeinflussten nicht nur viele bekannte moderne Maler, sondern auch Schriftsteller und Denker wie etwa Heinrich Heine, Thomas Mann, den George-Kreis oder den US-Amerikaner Ezra Pound.

Die kopierten Höhlenbilder sind bis zu 40 000 Jahre alt, oft sind Menschengruppen und Tiere darauf zu sehen. „Die Schöpfer waren fantastische Tierbeobachter und kannten sich besser aus als so manch ein Zoologe“, sagt Kuba. „Wer beispielsweise in Südafrika Großwild erlegte, besaß ein so großes Prestige wie heute ein Mercedesfahrer.“ Weiteres Merkmal der Bilder ist die fehlende Zentralperspektive, wodurch die charakteristischen Flächen und Linien entstehen.

„Die Interpretation der Werke ist bis heute höchst umstritten. Es kann fast alles wahr und falsch sein.“ Kuba selbst ist beeindruckt von der Magie der Felsbilder unserer Urahnen: „Sie verlangen von uns, demütig zu sein, sie einfach wirken zu lassen und nicht das Vakuum an offenen Fragen versuchen zu füllen, das sie hinterlassen.“

Angesichts der kulturellen Bedeutung des Felsbildarchivs und der spannenden Entstehungsgeschichte ist es umso bedauerlicher, dass am Standort des Archivs in Frankfurt in jüngster Zeit die spektakulären Zeichnungen, Fotos und Dokumente die Öffentlichkeit bislang nicht in einer Ausstellung zu sehen bekam. Dabei gibt es noch so viel zu entdecken.

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