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Abi in Frankfurt: Kreativer Gruß auf dem Weg zur Freiheit

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Von: George Grodensky

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Sarah hat ein bisschen Angst vor der Englisch-Prüfung. Beim Blick auf ihr Abi-Plakat fasst sie aber Mut.
Sarah hat ein bisschen Angst vor der Englisch-Prüfung. Beim Blick auf ihr Abi-Plakat fasst sie aber Mut. © christoph boeckheler*

Um ihre Sprösslinge auf die Prüfungen einzuschwören, hängen viele Familien Abi-Plakate an den Frankfurter Schulen auf. Von Kinderfotos bis Wonderwoman ist wieder (fast) alles dabei.

Selten sind sich Menschen in Frankfurt so einig wie an diesem freundlichen Mittwochmittag in Sachsenhausen. Dabei ist der Anlass ernst, die Abiturprüfungen haben begonnen. Als Erste müssen die Deutschkurse ran. Entsprechend hängen an allen Oberstufenschulen aufmunternde Abi-Plakate Marke: „Du schaffst das!“ Beste Grüße von Familie und Freunden, bevor der Ernst beginnt. Und alle, wirklich alle, die wir zum Thema befragen, finden es gut, dass sie da hängen.

Die Spurensuche führt ins Schuldreieck aus Freiherr-vom-Stein-, Carl-Schurz- und Schillerschule. Drei Oberstufen in Rufweite. Während am Freiherr-vom-Stein die Plakate vornehm zurückhaltend am Lehrerparkplatz zu erahnen sind, geht die Schillerschule in die Vollen. Der gesamte Zaun entlang der Morgensternstraße ist mit Grußbotschaften behängt. Das sind um die 100 Meter. Ein paar Jungen und Mädchen aus der Unterprima, so nennen alte Menschen die zwölfte Klasse, begutachten die Aushänge. Die schreiben nicht einmal Abitur, erst im kommenden Jahr, finden die Plakate aber trotzdem „cool“. Sagen sie. Wenn er so weit sei, möchte er auch ein Plakat, versichert einer noch treuherzig, dann ist die Pause rum.

Wenig später schlendert Sarah heran. Ihre erste Klausur steht Freitag an. Aufgeregt sei sie schon, sagt die 18-Jährige nachdenklich, aber nicht so sehr wie noch vor zwei Wochen. Sie habe alles gelernt, was möglich sei. Die Englisch-Klausur kann also kommen, wenn es auch unglücklich sei, dass sie mit ihrem Angstfach beginnen müsse.

Das Problem haben die Eltern sensibel aufgegriffen und in ein Plakat gefasst. „You can do it“ steht darauf. Zusammen mit einem Bild von Supergirl oder Wonderwoman, deren Antlitz Sarahs sehr ähnelt. „Das hat meine Mama selbst gemalt“, sagt die angehende Abiturientin stolz. Sie sei gar ein bisschen erstaunt, dass ihre Mutter so gut malen könne. Interessant sei auch zu sehen, was andere Eltern für eine Perspektive einnähmen. „Ich kenne ja die Leute auf den Plakaten“, sagt sie.

Die Begeisterung für die Werke mag auch damit zusammenhängen, dass die Schulgemeinde ein Jahr pausiert hat, sinniert Sarah. Die jüngsten Prüfungen waren vor zwei Jahren, weil die Schule von G8 auf G9 umgeschwenkt ist. So ist ein Abi-Jahrgang ausgefallen. Eltern kämen von selbst auf die Idee, ein Plakat zu kreieren. „Wir haben da gar keinen Kopf für.“

Passenderweise naht in dem Moment ein Erziehungsberechtigter. „Wir haben auch eins aufgehängt“, bejaht der Vater. Am Montag. Jetzt läuft er gedankenverloren den Zaun entlang. „Wie liebevoll die gemacht sind“, sagt er andächtig. Gut, manche sehen sehr professionell aus, sind von Fachfirmen auf Plane gedruckt. Andere kommen hemdsärmelig daher auf Pappe. Und manche scheinen aus den Demo-Tagen der Eltern übrig geblieben zu sein: umgearbeitete Transparente auf Betttuch. Eines haben sie alle gemein: Es steckt Liebe drin.

„Viel Fantasie“, staunt der Vater. Zu seiner Zeit gab es das nicht, erinnert er sich. Was auch ganz anders ist, so kommt er ins Plaudern: „Die treffen sich zum Lernen. In Gruppen. Wir haben uns früher alleine vorbereitet.“ Er bewundere die Konsequenz, auch die Leichtigkeit, mit der die Kinder von morgens bis abends lernen würden. Eltern machen sich ja immer ihre Gedanken, aber das Abitur hätte er sich dann doch stressiger vorgestellt.

Dann tritt Luise aus der Tür. Die Prüfung sei nicht so schwer gewesen wie befürchtet, sagt die 19-Jährige entspannt. Sie habe sich für die Gedichtinterpretation entschieden. Für Georg Trakl, einen Österreicher, Vertreter des Expressionismus. Drei Stunden hat sie interpretiert, zwei Stunden Gedichte verglichen. „Vorstadt im Föhn“ ist eines von Trakls Werken, Luise hat Verweise auf die aufkommende Industrialisierung aufgezeigt, die düstere Stimmung des Textes seziert.

Über ihr Plakat habe sie sich sehr gefreut, die Geste dahinter. „Es muss ja nichts Aufwendiges sein.“ Im vergangenen Jahr hat sie im Freundeskreis ein Plakat gestaltet, als Gruß für eine Freundin, die an der nahen Carl-Schurz-Schule in die Prüfungen gegangen ist. „Das macht voll Spaß, sich was Lustiges auszudenken“, sagt sie und verschwindet: lernen für Englisch.

An besagter Carl-Schurz-Schule wartet ein Schreckmoment. Am Eingang hängen gerade einmal vier Plakate. Hat die Schulleitung den Grußbrauch etwa verboten? Oder haben die Schurz-Eltern ihre Kinder weniger lieb? Weit gefehlt, wehrt das Schulsekretariat ab. „Bei uns hängen die auf dem Innenhof.“

Tatsächlich, da sind sie. Das gleiche Sammelsurium an Aufmunterung, Grüßen, Witzen, rührenden Kinderfotos. Drei angehende Abiturienten sind in ein eindeutig der Chemie zugehöriged Werk vertieft, versuchen zu entschlüsseln, welche Formel der Buchstaben-und-Zahlen-Mix ergibt. Als sie es lösen, ziehen sie zufrieden von dannen. Er habe kein Plakat, sagt einer noch. Er sei deswegen aber auch nicht traurig, so sehr sie ihm gefallen. „Mein Vater hat gesagt, zu meiner Zeit gab es das nicht, also bekommst Du auch keins.“

Wenn Meister Yoda nicht Deutsch bringen bei seinem Schüler, dann niemand es kann.
Wenn Meister Yoda nicht Deutsch bringen bei seinem Schüler, dann niemand es kann. © christoph boeckheler*

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