1. Startseite
  2. Frankfurt

Ein Abend auf dem Frankfurter Straßenstrich

Erstellt: Aktualisiert:

Von: Anna Häuser

Kommentare

Eine Frau steht im Eingangsbereich einer Animierbar und eines Frankfurter Bordells.
Eine Frau steht im Eingangsbereich einer Animierbar und eines Frankfurter Bordells. © Andreas Arnold

Unterwegs auf der Theodor-Heuss-Allee - mit Tee, Kondomen und den Mitarbeiterinnen des Beratungszentrums "Frauenrecht ist Menschenrecht".

Es ist dunkel. Es regnet. Autos brausen vorbei. Der Wind pfeift durch die hohen Gebäude an der Theodor-Heuss-Allee an der Zufahrt zur A648, Frankfurts einzigem Straßenstrich. Dies ist der Arbeitsplatz von etwa 14 Prostituierten – und von Victoria Jürgens: „Nur wir gehen da hin.“ Mit „wir“ meint sie das Team vom Beratungszentrum „Frauenrecht ist Menschenrecht“ (FiM), das den Prostituierten zur Seite steht.

Victoria Jürgens, eine dynamische Frau mit kurzem, schwarzem Haar, Tattoos und Piercings, arbeitet in der Abteilung für Opferschutz beim Menschenhandel und koordiniert seit zwei Jahren die Arbeit vom FiM im Prostitutionsmilieu. Über ihren Jacken tragen sie gelbe Warnwesten, auf denen „Streetwork“ steht. Vier Abende in der Woche ist das Team mit zwei Mitarbeitern vor Ort. Bepackt mit Infoflyern über das neue Prostituiertenschutzgesetz, Kondomen und stark gezuckertem Tee.

Victoria Jürgens und Nina Tzekov gehen auf der Straße in Richtung Emser Brücke und weiter zum Fußgängerübergang bei der Galvanisstraße. Wegen des Regens sind nur ein paar Frauen da. Als Erste treffen die Streetworkerinnen Katja (alle Namen der Prostituierten geändert), die unter einem Dach auf Freier wartet. Sie ist stark geschminkt. Am Rand ihrer halsbrecherisch hohen Stiefeletten blitzt ein Stück Stricksocken hervor.

Immer zu zweit unterwegs

„Aaah Victoria“, ruft sie. Die Frauen begrüßen sich. Als Victoria Jürgens fragt, ob Katja einen „Chai“ möchte, nimmt die sie dankend an. „‚Chai‘, das heißt Tee auf Bulgarisch. Fast alle Frauen hier auf dem Strich sind Bulgarinnen“, sagt Victoria Jürgens. Nur zwei Deutsche seien dabei, aber die hätten wenig Redebedarf.

Streetworkerinnen seien stets im Duo unterwegs. Eine von beiden beherrsche Bulgarisch. So auch Nina Tzekov, die nebenbei studiert. „Mein Bulgarisch beschränkt sich leider nur auf wenige Worte“, sagt Victoria Jürgens. Sie fragt nach Katjas Handynummer, verschenkt „Tutti Frutti“-Kondome und geht weiter. Nur wenige Minuten später stoppt ein Auto. Katja steigt ein.

Auf die Frage nach der Abschaffung des Nachtbusses, der der FiM einige Zeit zur Verfügung stand, müssen Jürgens und Tzekov lachen. Wichtiger sei die Verbesserung der Hygiene. Es gebe nur zwei Dixi-Klos, das sei zu wenig. Viele Frauen gingen stattdessen in die nahegelegenen Büsche, wo sich Ratten tummelten. Fließendes Wasser gebe es nicht. Die Frauen könnten sich weder die Hände waschen noch sich frisch machen zwischen Freiern. „Dafür haben sie nur Feuchttücher“, sagt Victoria Jürgens.

Auf der anderen Straßenseite steht die gut gelaunte Donna. Laut lachend und in gebrochenem Deutsch bestätigt die Frau Mitte 50 den Streetworkern einen Termin am nächsten Tag, eine Beratung zum neuen Prostituiertenschutzgesetz.

Vom äußersten Ende der Straße nähern sich zwei Frauen, die einen Chai nehmen. Eine der beiden, Maria, erzählt, sie habe seit zwei Monaten ihre Regel nicht mehr bekommen. Ob sie sich auf eine Schwangerschaft untersuchen lassen könnte mit Hilfe der FiM? Die andere Frau, Anfang zwanzig, ist sichtbar schwanger. Fast alle der Prostituierten seien Mütter, weiß Jürgens. Viele hätten schon sehr früh Kinder bekommen. „Viele Schwangerschaften werden aber auch abgebrochen.“

Ein Ausstieg aus dem Milieu falle vielen schwer, sagt Victoria Jürgens. Wichtig sei es, „die Frauen zu ‚empowern‘, sie auf eigene Füße zu stellen“. Das versuche FiM, tagtäglich.

Auf dem Rückweg tauschen die Streetworkerinnen Erinnerungen aus, von „Martenitsi“, weiß-roten Armbändchen, die sie sich gegenseitig geschenkt hätten. Sie stehen für Glück, Liebe und Gesundheit. „Donna hat mir damals eins zurückgeschenkt“, sagt Victoria Jürgens.

Es gibt aber auch andere Seiten. „Ich wurde schon mal angeschrien und eine von den Frauen wurde mit dem Messer bedroht“, sagt sie. Es komme auch vor, dass die Frauen aus vorbeifahrenden Autos mit Steinen beworfen oder mit Wasser beschüttet werden.

Zurück in der FiM-Zentrale in der Varrentrappstraße wärmen sich die beiden auf, während auf der Theodor-Heuss-Allee die Arbeitsschicht gerade beginnt.

Auch interessant

Kommentare