Warten in der Wüste

Dadaab ist das größte Flüchtlingslager der Welt. FR-Redakteurin Miriam Keilbach war dort.
Wer sich Dadaab mit dem Flugzeug nähert und aus dem Fenster nach unten schaut, sieht länger als eine Stunde lang nichts als Sand und ein paar Dornbüsche. Hier, inmitten der Wüste von Garissa, liegt eine der größten Städte Kenias. Doch Dadaab ist keine gewöhnliche Stadt. Es ist das größte Flüchtlingslager der Welt. Die Start- und Landebahn ist aus Sand. Sie wird dreimal pro Woche angeflogen, ausschließlich von UN-Sondermaschinen aus Nairobi. Was einst als Provisorium gedacht war, ist heute Heimat für etwa 270.000 Frauen, Männer und Kinder, die meisten von ihnen haben somalische Wurzeln. Einst waren es mehr als doppelt so viele. Etliche junge Erwachsene wurden hinter den Stacheldrahtzäunen geboren und sind hier aufgewachsen.
Dadaab wurde vor 25 Jahren gegründet, als der Bürgerkrieg in Somalia ausbrach. Es gibt soziale Missstände und Versorgungsprobleme, aber auch Schulen, Krankenhäuser, eine vitale Wirtschaft, Hotels und eine Fußball-Liga. Doch das Provisorium steht vor dem Aus. Die kenianische Regierung vermutet, dass hier Angehörige der somalischen Terrormiliz Al Shabaab Anschläge planen könnten.
Doch ist es überhaupt möglich, eine Stadt, halb so groß wie Frankfurt, einfach zu räumen? „Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass im Mai Ende ist“, sagt Jean Bosco Rushatsi. „Wir sind auf dem besten Weg, Dadaab zu räumen. 50.000 Menschen sind schon gegangen“, sagt Jeremiah Nganga. Rushatsi ist im Auftrag der Vereinten Nationen für Dadaab zuständig. Nganga ist Camp-Manager. Die Einschätzungen gehen selbst vor Ort weit auseinander.
Als Check-In-Schalter am Flughafen fungiert eine Holzbank unter freiem Himmel. Ein einziger Baum spendet Schatten – bei bis zu 50 Grad sitzt ein Soldat darunter. Dann beginnt der Stacheldraht. Er erinnert die Menschen auf der anderen Seite daran, dass sie Dadaab nicht so einfach verlassen können. Flüchtlinge dürfen nur in medizinischen Notfällen ausreisen.
Gut 500 Menschen warten an diesem Tag am Flughafen, sie warten auf ihr neues Leben in dem Land, das manche nur vom Hörensagen kennen: Somalia. Jeden Morgen um zehn Uhr fahren Busse mit vollgepackten Dächern die rund 100 Kilometer zur somalischen Grenzstadt Dhobley.
Reifen haben Straßen in den Sand gegraben. Schatten gibt es nicht. Kühle Tage in Dadaab sind jene unter 40 Grad. Mit jeder Bewegung wird Staub aufgewirbelt, der sich auf Autos, Häusern, Tieren niederlegt. Dadaabs Geschichte beginnt im Jahr 1992. Damals flohen Hunderttausende Somalier vor dem Bürgerkrieg.
Die UNHCR, das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, ließ eilig drei Flüchtlingslager errichten, zunächst aus Zelten, später aus Holz-, Wellblech- und Lehmhütten: Ifo 1, Hagadera und Dagahaley. Gedacht waren sie für 30.000 Menschen, es kamen 400.000. Viele starben in den ersten Jahren an Durst, Hunger, Cholera und Polio. Dadaab, das war ein Synonym für Hoffnungslosigkeit.
Heute tun sich hier Welten auf: Helfer und Journalisten haben ein eigenes Dorf, mit Restaurants und Cafés, Büros, klimatisierten Wohngebäuden, Tennis- und Beachvolleyballplätzen. Dazwischen wächst tatsächlich grünes Gras, wie es die Menschen auf der anderen Seite der Mauern nicht kennen. Gäste bekommen Polizeischutz, vier Leibwächter pro Person. Erst kürzlich wurden hier zwei kenianische Lehrerinnen entführt. Vor allem der Bereich Ifo 1 ist besser ausgebaut als die meisten kenianischen Städte.
Es gibt verschiedenste Geschäfte, funktionierende Handelsstrukturen, Häuser aus Stein, die Grundstücke sind mit Dornbüschen geschützt. Es gibt Internet, Elektrizität, eine Wasserversorgung. Menschen treffen sich auf den Straßen, Esel und Ziegen durchwühlen den Müll, Nachbarn plaudern miteinander, Jugendliche spielen Fußball, einige transportieren mühsam auf Fahrrädern Ware durch den Sand. Auch in Dadaab gibt es so etwas wie Alltag. Es gibt Regeln, Beziehungen, soziale Auffangsysteme.
Ifo 2 dagegen ist ein Zeltlager. Kinder treiben sich gegenseitig dazu an, über die Dornbüsche zu springen. Dazwischen sieht man immer wieder leere Grundstücke, die Erde ist schwarz – was bleibt vom Leben in Dadaab ist die Asche der Hütten und Zelte derer, die anderswo nach einem Zuhause suchen.