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Das Missverständnis mit der Meinungsfreiheit

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Von: Katja Thorwarth

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Schild auf einer Demonstration in Nürnberg gegen Rechtsextremismus.
Schild auf einer Demonstration in Nürnberg gegen Rechtsextremismus. © dpa

Eine Zivilgesellschaft muss nicht jede Äußerung akzeptieren, sondern zwischen Hetze und Meinung unterscheiden. Nicht alles, was so mancher von sich gibt, ist schützenswertes Gedankengut.

Auf keinen anderen Text wird in der jüngeren Geschichte häufiger verwiesen als auf Artikel 5 des Grundgesetzes. Dort ist das Recht auf Meinungsfreiheit manifestiert, das jede noch so abweichende Meinung „in einem auf der Konzeption einer freiheitlichen Demokratie beruhenden Staatsgefüge“ als schützenswert anerkennt, wie das Bundesverfassungsgericht 1972 präzisierte.

Die französischen Revolutionäre hatten die Meinungsfreiheit bereits 1789 in ihren Bürgerrechten zu „einem der kostbarsten Rechte der Menschen“ erklärt. Und der wohl berühmteste Satz zum Thema – „Ich missbillige, was du sagst, aber würde bis auf den Tod dein Recht verteidigen, es zu sagen“ – findet in Wort und Schrift immer dann Anwendung, wenn den Disputanten die Argumente ausgehen. Mit dem Tod das Recht auf freie Meinungsäußerung zu verteidigen, klingt tatsächlich wunderbar staatstragend – der hier viel zitierte französische Philosoph und Schriftsteller Voltaire hat das jedoch nie gesagt. Vielmehr wurde ihm der Satz von seiner Biografin Evelyn Beatrice Hall in den Mund gelegt, die dem Mann damit einen Bärendienst erwiesen hat. Der dürfte sich mittlerweile in seinem Grab wundgedreht haben angesichts des Schindluders, das mit seinem Namen getrieben wird.

Denn natürlich ist nicht alles, was im öffentlichen Raum aus so manchem Kopf heraussprudelt, schützenswertes Gedankengut und ergo mit Artikel 5 GG gedeckt. Zwar lassen die gesetzlich festgelegten Grenzen des Rechtsstaates individuelle Werturteile unangetastet und beziehen sich explizit nicht auf eine allgemeingültige Definition von richtig oder falsch. Die Schranke fällt jedoch dort, wo andere Grundrechte verletzt werden und Personen zur Diskriminierung und Gewalt gegen Menschen aufgrund ihrer Religion, Herkunft, Hautfarbe oder sexuellen Orientierung aufrufen.

Permanente Verrohung

Anders formuliert ist dies eben keine Meinung, die eine Zivilgesellschaft aushalten muss, sondern Hetze, die die Freiheit Einzelner oder Gruppen bewusst einschränkt. Hetze als solche auszudeuten und mit der logischen Konsequenz eines Gesetzes zu ahnden, hat die Staatsmacht jüngst auffallend häufig versäumt. Insbesondere das Internet scheint ein überwiegend rechtsfreier Raum, und würde hier der Arm des Gesetzes greifen, man wüsste bald nicht mehr, wohin man sie alle sperren sollte.

Das verhält sich in den Kommentarspalten einer Zeitung anders. Hier bewertet die Redaktion, wann eine Äußerung als beleidigend, diskriminierend oder hetzerisch, eine Meinung als tendenziös und verallgemeinernd daherkommt. Und sie alleine bestimmt, was auf ihrer Seite stehen darf und was nicht. Das aus gutem Grund, denn wie bereits der Journalist Arno Frank in seinem Essay „Meute mit Meinung“ diagnostizierte, weiß die Mehrheit der Internetnutzer mit dem Zuwachs an Freiheit nicht umzugehen. „Besserwisserei, Beleidigungen und Bedrohungen“ (A. F.) ersetzen oft den reflektierten Diskurs, entsprechend erfüllt das Kommentieren eher die Funktion eines Ventils, das die Aggressionen vom Sofa aus in den öffentlichen Raum entlädt.

Dass ihre Freiheit nicht grenzenlos ist, wollen viele Internet-Nutzer allerdings nicht einsehen. „Keine Meinung ist inakzeptabel … Man darf eine rassistische Meinung haben … Wenn Sie versuchen, mir meine rassistische Meinung gegen meinen Willen auszutreiben, sind Sie der ‚Meinungsdiktator‘“, meint eine Nutzerin, die nicht verstehen kann, wieso Rassismus keine Toleranz erfährt. Natürlich dürften „Rassisten eine mehrheitsfähige Partei gründen“, sie müssten sich einfach nur „wie alle anderen auch an unser Grundgesetz halten“.

Sie unterstellt einen Zwang durch „Meinungsdiktatur“, doch tatsächlich scheint der pathologische Zwang eher darin begründet, sich im Netz gegenseitig mit fremdenfeindlichen Hasstiraden und Pöbeleien zu überbieten. Es ist eine permanente Demonstration der Verrohung, die die Grenzen der Moral längst hinter sich gelassen hat. Und die auch den Worten Taten folgen lässt, wie die hassverzerrten Gestalten vor Flüchtlingsheimen bestätigen, denen jeder alles zutraut, der nicht unter Realitätsverlust leidet. Hannah Arendt hat hierzu angemerkt, dass „der wohl hervorstechendste und auch erschreckendste Aspekt der deutschen Realitätsflucht, …, in der Haltung (liegt), mit Tatsachen so umzugehen, als handele es sich um bloße Meinungen“. Eine leider in der hiesigen Politikerszene weitverbreitete Ansicht, die sich schönredet, was sie sich nicht einzudämmen traut.

Die Gedanken sind frei

Weit verbreitet ist auch die Hetze, die sich als Sachlichkeit verkleidet um die Meinungshoheit in den Kommentarspalten bemüht. Letztlich hat jedoch der „FR-Heckenschütze, (der) mit Dumpf-Dumm-Dumpf-Geschossen Pegida in den Rücken schießt“, die Autorität über seine Seite und entfernt ungerührt jene „Sachlichkeit“ trotz – oder besser wegen des Schreis über „Zensur“. Die greift natürlich niemals auf einer markengeschützten Homepage, egal wie vehement man sie beschwört. „Im Übrigen wurde ein weiterer sachlicher Kommentar von den Herren der Lügenpresse gelöscht. Diese marschieren vermutlich Hand in Hand mit den Linksfaschisten, unverfroren Brandsätze auf Unschuldige werfend. Es sind lediglich die letzten Zuckungen. Bald werden die Zensoren, die vermutlich auch schon damals in der DDR mit der Agitation betraut waren, arbeitslos sein.“

Das mag durchaus sein, doch solange sie es nicht sind, hat die Freiheit dort ihre Grenze, wo der Nutzer in hetzerischen Gedanken schwelgt, egal, wie sachlich er sie verpackt. Immerhin, dies zum Trost, sind die Gedanken frei, wie es ein deutsches Volkslied bereits die Grundschulkinder lehrt. Auch wenn hier ein kleiner Wermutstropfen bleibt, den Karl Kraus schon so treffend benannte: „Die Gedankenfreiheit haben wir. Jetzt brauchen wir nur noch die Gedanken.“

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