„Torschützengott“

Alexander Meier holt erstmals seit Anthony Yeboah wieder die Torjägerkanone nach Frankfurt.
Am Montag hat sich Alex Meier wieder in sein Auto gesetzt und ist nach Basel gefahren. Tags darauf, früh am Morgen, stand er wieder in Trainingsklamotten auf diesem speziellen Laufband, mit dem US-amerikanische Astronauten die Schwerelosigkeit simulieren. Fünf, sechs Stunden, manchmal acht, schuftet der „Lange“ in der Schweiz, ein Zuckerschlecken ist das nicht. Es ist grauer Alltag für Meier.
Und genau das Gegenteil vom Samstag: Da stand Alexander Meier im Rampenlicht, grell ausgeleuchtet, das ganze Stadion bebte, vibrierte, stampfte, weil es geschafft war, weil Alex Meier tatsächlich das Kunststück fertig gebracht hatte, Torschützenkönig der Liga zu werden – dabei war er Anfang April letztmals am Ball, gegen Hannover 96, 27. Spieltag. Dann ging es nicht mehr, die mehrfach angerissene Patellasehne musste geflickt werden. In den letzten Wochen gab es im Frankfurter Umfeld ohnehin kaum ein anderes Thema, die Saison war gelaufen, die Daumen drücken für Alex Meier blieb die letzte Herausforderung.
Und dann war es tatsächlich so weit. Um 17.20 Uhr war die 52. Bundesliga-Saison abgepfiffen, und keiner hatte öfter getroffen, kein Robben, der sich ebenfalls verletzte, kein Lewandowski, kein Dost und kein Aubameyang, allesamt Vollblut-Stürmer. Dass einer Torschützenkönig wird in einer Mittelklasse-Mannschaft, das ist außergewöhnlich. „Alex schießt ja nicht das 6:0, sondern die wichtigen Tore“, sagt Marco Russ. Entsprechend wussten die Eintracht-Profis schon, wem sie zu danken haben. Also trugen sie ein riesiges Plakat vor sich her, auf dem diese Liedzeile stand: „What if god was one of us – AM14“ – „was wäre, wenn Gott einer von uns wäre –, dann betrat Meier in zivil das Feld, der Spieler des Tages, vielleicht sogar der Saison. Er hatte sich sein Trikot übergestreift, sein Trikot mir der Nummer 14, er wirkte, wie immer, wenn er im Mittelpunkt steht, ein bisschen verlegen.
Dann kam Jörg Jakob, einer der Chefredakteure des „Kicker“ und überreichte dem 32-Jährigen die ersehnte Torjägerkanone, nachdem alle 19 Treffer, die er in nur 26 Partien erzielt hatte, noch einmal im Schnelldurchlauf über den Videowürfel geflimmert waren. Noch nie hatte ein Bundesliga-Torschützenkönig die letzten acht Spieltage verpasst. „Mein erster Titel“, sagte Meier. Er hatte schon mal die meisten Saisontore geschossen, 17, das war in der zweiten Liga. Letztmals holte vor 21 Jahren ein Frankfurter die Kanone, 1994, Anthony Yeboah, er traf 18 Mal und musste sich den Titel mit Stefan Kuntz teilen.
Es war ein bewegender Moment. Meier selbst war sichtlich angefasst, Tränen vergoss er nicht. „Das hatte ich im Griff gehabt“, aber eine Gänsehaut ist ihm dennoch über den Rücken gelaufen. „Ich will einfach nur Danke sagen. Das hier macht mich stolz.“ Auch Klubchef Heribert Bruchhagen war sichtlich gerührt, zu Meier, einen Profi, den er außerordentlich schätzt, sagte er via Stadionmikrofon nur einen Satz und selbst da kippte ihm die Stimme weg. „Eintracht Frankfurt ist stolz auf Alex Meier.“
Derweil hatte die komplette Mannschaft von Eintracht Frankfurt schwarze T-Shirts übergestreift: „Alex Meier – Torschützengott.“ Die Ovationen für den Mittelfeldstürmer („Er trifft mit dem Fuß, er trifft mit dem Kopf, er trifft wie er will, sogar mit dem Zopf“) wollten kein Ende nehmen, die Zuschauer wussten sehr genau, wem sie es zu verdanken hatten, dass die Hessen in dieser Saison von Abstiegsgefahr nichts mitbekommen hatten. Geradezu absurd wirkt es, dass Meier noch im Februar vom eigenen Sportdirektor Bruno Hübner wegen angeblich geringer Laufbereitschaft stark kritisiert wurde, und „von einer Kröte“ sprach, die man schlucken müsse.
Und es gab gar zwei Fans, die aus Meiers Heimatstadt Buchholz in der Nordheide stammten, die das Original-Ortsschild abgeschraubt und ihm überreicht hatten. „Ich habe die beiden im Trainingslager im Winter in Abu Dhabi kennengelernt“, sagte Meier.
Das Schild soll mit den Unterschriften der Eintracht-Spieler versehen für einen guten Zweck versteigert werden. Trainer Thomas Schaaf, der Meier zu Beginn der Saison nicht für die Stammformation vorgesehen hatte und ihn erst im vierten Spiel gegen den FC Schalke 04 erstmals von Beginn an aufstellte, sagte: „Das ist eine Auszeichnung für ihn. Auch für die Mannschaft, die ihn in diese Position gebracht hat.“
Der Eintracht wird Meier noch eine Weile fehlen. „Für den Start in die neue Saison wird es eng“, sagte Meier launig. Eher wird es bis zum Herbst dauern. Der Weg zurück ist ein langer.