Kleiner Bruder groß

Nie war Thorgan Hazard für Borussia Mönchengladbach so wertvoll.
Es ist nicht so, dass Max Eberl der Job des Sportdirektors keinen Spaß mehr macht. Aber die Momente sind häufiger geworden, dass sich der Macher von Borussia Mönchengladbach am Kinn kratzt und überlegt: Ist das alles noch normal? Eher nicht. „Heute kann man Ablösesummen nicht einschätzen. Was es verrückt macht, dass dieser Transfermarkt in Dimensionen vorgestoßen ist, die keine Freude machen. Es ist ein Wahnsinn, was die Zahlen betrifft.“ Einerseits hat Eberl ja recht. Andererseits hat der exzellent geführte Verein vom Niederrhein immer wieder von Transfererlösen profitiert, die ihm dieser überhitzte Markt erst ermöglicht hat.
Und im Sommer könnte vielleicht der nächste Mega-Deal anstehen – unabhängig davon, ob die Fohlen nun in die Champions League stürmen oder nicht. Das Auswärtsspiel bei Eintracht Frankfurt am Sonntagnachmittag gilt als weiterer Wegweiser für den internationalen Reifegrad eines Ensembles, das zuletzt mit der 0:3-Heimniederlage gegen Hertha BSC einen Dämpfer erhielt. Ansonsten beeindruckte Gladbach mit bemerkenswerter Konstanz. Auch weil die Borussia mit Thorgan Hazard einen Ausnahmekönner in ihren Reihen führt, der noch mal ein neues Qualitätsniveau erreicht hat.
In der Winter-Rangliste des Fachmagazins „Kicker“ besetzte der 25-Jährige in der Kategorie der offensiven Außenbahn Platz eins. Internationale Klasse. Viele trauen dem drei Jahre jüngeren Bruder von Eden Hazard (FC Chelsea) den Vorstoß in die Kategorie der Weltklasse zu, bringt der 19-fache belgische Nationalspieler doch alle Anlagen mit: eine irre Beschleunigung, eine tolle Technik und – neuerdings – einen zielsicheren Abschluss. Mit neun Toren und acht Vorlagen war Thorgan Hazard eine tragende Stütze im 4-3-3-System von Trainer Dieter Hecking. Fast kaum vom Ball zu trennen und meist nicht zu halten. In allen 20 Spielen setzte Hecking ihn von Beginn an ein, wechselte ihn nur zweimal kurz vor Schluss aus.
Der 1,74 Meter große Dribbler ist vornehmlich auf der rechten Außenbahn unterwegs und suchte dabei nicht mehr nur selbst den Torabschluss (47 Mal), sondern bereitete 53 Torschüsse seiner Kollegen vor. Gerade die neue Uneigennützigkeit überraschte, haftete ihm doch der Vorwurf an, zu oft nur auf sich selbst zu schauen. Da hat einer offenbar spät, aber nicht zu spät umgedacht. Übrigens auch in der Rückwärtsbewegung. „Er ist ein Teamplayer, verteidigt immer engagiert mit“, lobt Eberl.
Jüngst bei seinem Auftritt in einer Sky-Talkrunde redete der 45-Jährige darüber, wie realistisch es ist, dass diese 2014 zunächst von Chelsea ausgeliehene, dann fest verpflichtete Offensivwaffe den Mönchengladbachern erhalten bleibt – oder ob Hazard demnächst wie der Ex-Gladbacher Mohamed Dahoud bald für die Borussia aus Dortmund spielt. Der Vertrag läuft noch bis 30. Juni 2020; und Eberls Geschäftsprinzip verbietet, einen Spieler dieser Güteklasse übernächsten Sommer ablösefrei aus dem Vertrag zu entlassen.
Hazard hält sich erst einmal alle Optionen offen. „Eine Verlängerung ist möglich. Wenn ich das Gefühl habe, dass es am besten für mich ist, in Gladbach zu bleiben, dann bleibe ich auch“, sagte er im Trainingslager in Andalusien. Aber auch ein Wechsel innerhalb der Bundesliga sei möglich, sagte Hazard, den es im Gegensatz zum prominenten großen Bruder nicht zwangsläufig wieder in die Premier League zieht. Dortmunds Interesse ist fast logisch, weil der BVB im Sommer sein Eigengewächs Christian Pulisic für 64 Millionen Euro an den FC Chelsea verliert. Hazards Marktwert wird auf mehr als 40 Millionen taxiert.
Wer Eberl darauf anspricht, der bekommt eine pragmatische Antwort zu hören: „Er hat jetzt unter Dieter Hecking den richtigen Durchbruch geschafft. Trotzdem haben wir eine Chance, mit ihm zu verlängern, wenn wir sportlich erfolgreich sind. Wir werden kreativ sein müssen. Wenn dann Thorgan trotzdem sagen würde, er will den nächsten Schritt gehen, dann muss das im nächsten Sommer sein. Ich kann auf dieses Geld nicht verzichten.“ Nicht in einem Markt, der immer verrückter wird.