Sara Doorsoun: „Viele Mädchen müssen kämpfen“

Frankfurts Nationalspielerin Sara Doorsoun erklärt, warum die DFB-Frauen weniger bunt sind als die Männer und wie man mehr Nachwuchs mit Migrationshintergrund gewinnen kann.
Frau Doorsoun, gerade bereitet sich die deutsche Frauen-Nationalmannschaft mit dem kompletten Kader in Herzogenaurach auf dem EM in England vor. Am Samstag werden noch fünf Spielerinnen gestrichen. Wie sehr müssen Sie um ihren Platz kämpfen?
Niemand denkt, dass er einen Freifahrtschein hat. Ich möchte mir meinen Platz in einem 23-köpfigen Kader erkämpfen, meine Qualitäten und meine Erfahrungen einbringen – und ich bin voller Selbstbewusstsein gekommen.
Sie haben mit Eintracht Frankfurt noch die Champions-League-Qualifikation geschafft.
Das war ein geiles Finale für uns, weil sich das ja erst am letzten Spieltag der Frauen-Bundesliga entschieden hat. Als ich im Januar vom VfL Wolfsburg nach Frankfurt gewechselt bin, hatte ich ja sofort kommuniziert, dass ich mit dieser Mannschaft den dritten Platz erreichen möchte. Dieses Ziel zu erreichen, gibt ein besonderes Gefühl.
Wie sehr hat die Motivationsspritze gewirkt, dass die Eintracht-Frauen erst zum Europa-League-Viertelfinale der Männer nach Barcelona, dann zum Finale nach Sevilla mitreisen durften?
Dass wir mitten in der Saison nach Barcelona eingeladen wurden und dort auch trainieren konnten, war eine große Wertschätzung. In dieser Form habe ich das noch in keinem Verein erlebt. Genauso war es eine coole Sache, dass wir dann auch mit nach Sevilla durften: Wir waren vor dem Finale beim Fanfest auf der Bühne – und ich hatte den Eindruck, es kamen auch wegen uns immer mehr Leute.
Haben Sie einem Kevin Trapp oder Sebastian Rode hinterher persönlich gratulieren können?
Wir haben mit den Jungs gemeinsam feiern dürfen. Ich habe jetzt persönlich nicht mit Kevin Trapp gesprochen, denn irgendwann wollten die auch bei ihren Partnerinnen und Familien sein.
Ist es aber beispielhaft gewesen, wie Eintracht Frankfurt den Gleichklang zwischen Frauen und Männern herstellt?
Eigentlich sollte es nichts Besonderes sein, wenn man sich innerhalb einer Familie bewegt, wie es ja gerne kommuniziert wird. Ich fand auch total schön, dass zwei, drei Profis am letzten Spieltag bei uns zugeschaut haben, weil wir ja auch mal zu den Spielen der Männer gehen. Es wäre schön, wenn so etwas normaler würde.
Es kann schon bald passieren, dass die Eintracht-Frauen in der Qualifikation auf Manchester City oder Paris St. Germain treffen. Dann sollten solche Spiele auch in der Arena stattfinden, oder?
Ich bin mir relativ sicher, dass wir bei solch namhaften Gegnern in die große Arena gehen würde. Ich kann mir das auf jeden Fall sehr gut vorstellen (lacht).
Auch die Frauen-EM in England wird davon geprägt sein, dass große Stadien plötzlich bestens gefüllt sind.
Ich weiß auch meiner Erfahrungen von der EM 2017 oder der WM 2019, dass das ganze Drumherum bei einem Turnier mit den Zuschauern oder den Medien deutlich größer ist. Man steht irgendwie die ganze Zeit unter Beobachtung, deswegen ist es wichtig, nicht den Fokus zu verlieren. Mich hat das anfangs fast überwältigt.
Weil es ein so krasser Gegensatz zum eher beschaulichen Alltag in der Frauen-Bundesliga ist?
Absolut. Wir kennen es ja nicht, dass in der Mixed Zone sofort Kameras auf uns gerichtet sind.
Zur Person
Sara Doorsoun kam in Köln als Tochter eines Iraners und einer Türkin zur Welt, lernte Fußballspielen beim SV Wesseling in einer Jungenmannschaft und zog bereits mit 16 Jahren in ein Internat in Wattenscheid. Die 30-Jährige spielte bislang in der Frauen-Bundesliga für den SC Bad Neuenahr, Turbine Potsdam, SGS Essen und VfL Wolfsburg, ehe sie im Winter zu Eintracht Frankfurt wechselte, wo sie bis Sommer 2023 unter Vertrag steht. Die Verteidigerin hat bislang 36 Länderspiele bestritten und an der EM 2017 in den Niederlanden und WM 2019 in Frankreich teilgenommen, wo sie alle fünf Spiele mit Marina Hegering die Innenverteidigung bildete.
Sie haben bei der WM in Frankreich vor drei Jahren in der Innenverteidigung zusammen mit Marina Hegering alle Spiele bestritten. Wäre das jetzt wieder eine gute Lösung?
Am Ende ist es die Entscheidung der Bundestrainerin, wem sie vertraut. Aber es ist ein Turnier, es kann viel passieren. Ich versuche einfach meine beste Leistung zu bringen – für mich persönlich und die Mannschaft.
In der Innenverteidigung scheint Kathrin Hendrich vom VfL Wolfsburg gesetzt, die mit 30 Jahren noch einmal eine bemerkenswerte Entwicklung genommen hat. Was hebt den Klub, von dem sie ja nach Frankfurt gekommen sind, vom Rest ab ?
Natürlich ist in Wolfsburg sehr viel Unterstützung da. Das fängt bei Ralf Kellermann an, der sich wirklich um alles kümmert. Es gibt super Trainingsbedingungen, es ist topprofessionell mit kurzen Wegen. Die einzige Aufgabe, die man dort hat, ist Fußball zu spielen. dazu kommt ein besonderer Eigenantrieb der Spielerinnen: Man möchte immer wieder zeigen, dass man zu den Besten Europas gehört. Diese Mentalität habe ich dreieinhalb Jahre erlebt.
Stichwort Mentalität: Wird das jetzt auch für die EM in einer schwierigen Gruppe mit Dänemark und Spanien ein Schlüsselfaktor sein?
Uns muss bewusst sein, dass wir immer noch die deutsche Nationalmannschaft sind. Wir spielen im europäischen Fußball immer noch eine große Rolle, wir haben einen starken Kader, eine junge Mannschaft. Daher glaube ich, dass man mit der richtigen Mentalität und der vorhandenen Qualität in diesem Turnier viel erreichen kann. Wir wollen zeigen, dass wir zu den Besten gehören. Jede Spielerin hat da richtig Bock drauf.
Sie spielen für die deutsche Nationalmannschaft, sind aber seit der WM 2019 auch im Iran bekannt geworden. Wie sehr fiebern noch die Menschen aus dem Heimatland ihres Vaters mit?
Ich habe immer noch auf meinem Instragram-Account sehr viele Follower aus dem Iran, sehr viele Kommentare unter meine Posts auf Farsi, der iranischen Landessprache, was ich leider immer noch nicht verstehe (lacht). Die schicke ich dann zum Übersetzen an meinen Papa oder frage meine Tante. Es ist ein schönes Gefühl, dass ich mit meinen persischen Wurzeln auch hier Unterstützung erfahre.
Fühlen Sie sich als Vorbild für Mädchen und junge Frauen aus dem Iran?
Ich sehe mich nicht in der Funktion einer Vorreiterin für den Iran, das wäre zu weit hergeholt. Ich bin hier geboren, wurde sehr westlich erzogen und war selbst noch nie in dem Land. Wenn aber tatsächlich mich junge Frauen von dort zum Vorbild nehmen, erfüllt mich das mit Stolz.
Wenn man ein Mannschaftsbild von der Nationalmannschaft der Frauen und Männer miteinander vergleicht, stellt man sehr schnell fest: Jenes der Frauen ist weniger bunt. Woran könnte das liegen?
Erst einmal ist ja Fakt, dass viel mehr Jungs als Mädels Fußball spielen. Bei mir war es zum Glück nie ein Thema, dass ich nicht spielen durfte. Dafür bin ich auch sehr dankbar, denn ich weiß ja, dass es noch viele Mädchen gibt, die dafür kämpfen müssen. Eine Freundin von mir, Tugba Tekkal, die früher beim 1. FC Köln gespielt hat, setzt sich heute sehr stark dafür ein, dass Mädchen mit Migrationshintergrund auch Fußball spielen. Da habe ich erlebt, dass man an den Türen klopfen und den Eltern versichern muss, dass ihre Mädels zum Training abgeholt und danch wieder nach hause gebracht werden. Das ist mit dem kulturellen Hintergrund ist ein sehr komplexes Thema, deswegen kann ich nicht einfach sagen, dies oder das müssen wir machen.
Klar ist aber doch, dass es Vorbilder für diese Mädchen braucht, um das Problem anzupacken?
Klar, hilft es, wenn eine Dzsenifer Marozsan, eine Nicole Anyomi oder auch ich dabei sind und Mädchen sagen können: Da spielen auch welche mit Migrationshintergrund in der Nationalmannschaft mit. Vielleicht geben Eltern dann auch kulturelle Vorbehalte auf.
Als Sie mit 16 ins Sportinternat nach Wattenscheid gezogen sind, soll ihr Vater aber nicht begeistert gewesen sein.
Ich bin ja die Jüngste aus der Familie. Ich wurde zwar immer unterstützt, aber es darum ging, dass ich mit 16 bereits von zuhause ausziehe, da musste sich Mama schon dafür stark machen, dass Papa seine Prinzessin gehen lässt (lacht). Es ging gar nicht um den Fußball, sondern eine Fürsorge: Er hat sogar heute, wo ich fast 31 bin, immer noch Sorge, was ich denn esse oder ob es mir gut geht. Das wird sich wohl auch nie mehr ändern. Ich versuche, ihn auch stets vor und nach jedem Spiel anzurufen. Ich hoffe auch sehr, dass er zu unseren Spielen nach England kommt.
Interview: Frank Hellmann