Die Nervenstarken

FR-Serie, dritter Teil: Christopher Lenz und Ajdin Hrustic versenken aus elf Metern – warum auch die zweite Reihe einen großen Anteil am Coup hat.
Sevilla/Frankfurt – Christopher Lenz wusste nicht, was er da tat, warum er ausgerechnet den Zeigefinger an die Lippen bewegte und den Fans der Glasgow Rangers damit bedeutet, doch lieber still zu sein. „Ganz spontan“ sei diese Reaktion erfolgt, ließ Lenz später verlauten, einfach aus der puren Freude heraus, dem Druck und dem vorherigen Pfeifkonzert des schottischen Anhangs, die Stirn geboten und aus elf Metern den Ball nervenstark im Netz versenkt zu haben. Er versenkt ja sonst nicht so viele Bälle im Netz des Gegners, in seinen bisherigen 68 Erstligaeinsätzen in Deutschlands Eliteliga keinen einzigen. Geschweige denn Elfer. Alles nicht die Sache von Christopher Lenz. Normalerweise. Aber was war schon normal an diesem späten Abend des 18. Mai 2022 im Estadio Ramón Sánchez Pizjuán zu Sevilla, beim Finale der Europa League zwischen Lenz’ Klub Eintracht Frankfurt und den Glasgow Rangers. „Ich finde keine Worte mehr, die diese Saison beschreiben“, postete der Frankfurter Fußballer noch in der Nacht des Triumphs.
Christopher Lenz ist einer der Helden von Sevilla, den vor dem Abpfiff wohl nur die Allerwenigsten für diese Rolle vorgesehen hatten, vermutlich nicht mal er selbst. Der Berliner, 27, Vertrag bis 2024 bei der Eintracht, Back-Up für die linke Seite, erlebte persönlich eine Saison zum Vergessen, er war ständig verletzt. Muskuläre Probleme im Oberschenkel, in der Wade, ein Zehenbruch – hatte er sich herangearbeitet ans Team, fiel er auch schon wieder aus. 15 Mal stand Lenz in der Bundesliga auf dem Rasen, nur dreimal über die vollen 90 Minuten. Im Europacup summierte sich die Einsatzzeit auf 32 Minuten - mit dem Höhepunkt zum Schluss. Als bei Stammkraft Evan Ndicka in der Nachspielzeit der Körper streikte, blickte der Frankfurter Coach Oliver Glasner auf die Bank und stellte fest: Hmm, gar kein Innenverteidiger mehr übrig. Also beorderte er Lenz auf den ungewohnten Posten (neben Almamy Touré und Makoto Hasebe). Und der ergriff seine Chance, spielte die verbleibenden 20 Minuten solide herunter und trat selbstbewusst zum Nervenspiel aus elf Metern an. Er habe entweder den ersten oder letzten Frankfurter Versuch übernehmen wollen, so der 27-Jährige. Es wurde der erste. Mit links halbhoch nach rechts - Ball im Tor, das zwischenzeitliche 1:1.
Eintracht Frankfurt nervenstark im Elfmeterschießen
Keine zwei Minuten später stand Ajdin Hrustic an identischer Stelle. Der zweite Eintracht-Elfmeter des Abends, wieder geschossen von einer Frankfurter Ersatzkraft, die gekommen war für die Schlussviertelstunde der Verlängerung für den geschafften Djibril Sow. Dass Hrustic den Ball dann vom Punkt präzise ins linke Eck des Tores versenkte und danach mit dem Zeigefinger an den Lippen um Ruhe im Stadion bat, durfte trotz der Drucksituation nicht überraschen. Wenn den 25-Jährigen etwas auszeichnet, dann seine gute Schusstechnik. Ansonsten konnte er Trainer Glasner im Saisonverlauf nicht überzeugen, lieferte in der Bundesliga nur ein Sahnespiel in Stuttgart ab (zwei Tore), wird auch kommende Spielzeit recht sicher nicht über den Statuts des Reservisten hinauskommen, sollte der bis 2023 unter Vertrag stehende Australier den Klub nicht ohnehin verlassen.

So bleibt: Christopher Lenz und Ajdin Hrustic - zwei Ersatzleute, zwei Männer mit starken Nerven, zwei Helden von Sevilla. (Daniel Schmitt)
- Erster Teil der FR-Serie: Der Weg von Eintracht-Stürmer Rafael Borré zum entscheidenden Mann im Europa-League-Finale.
- Zweiter Teil der FR-Serie: Der baldige Eintracht-Vorstand Philipp Reschke ist eine Koryphäe des Klubs - und ein guter Typ noch dazu.