Napoli-Trainer Spalletti: Der Mönch mit dem geklauten Panda

Der unvollendete Luciano Spalletti erlebt bei Eintracht-Gegner SSC Neapel die beste Zeit seines Trainerlebens. Nicht lange her, dass die Napoli-Fans ihn zum Teufel wünschten.
Als Luciano Spalletti im Frühsommer 2021 einfuhr in Neapel, angereist mit dem Auto aus seiner toskanischen Heimat, das Fenster unten, die Sonnenbrille spiegelnd, die Glatze glänzend, als der Fußballtrainer sich mühte durch die Menschenmenge ins neue Domizil, einem Hotel auf halber Strecke zwischen Stadtzentrum und Klubanlage, saß er da in einem Fiat Panda. Einer Blechkiste, wie sie überall durch Italiens Gassen düst. Klein, dreckig, alt, oder wohlwollend: putzig, charmant, von Patina befallen. Fast ein Jahr später, Mai 2022, identischer Ort, aber kein Auto mehr. Geklaut, aus der Garage des Hotels. Ein trauriger Tag für den 64-Jährigen.
Es ist diese Geschichte eine weit abseits des Fußballfeldes, die dennoch zeugt davon, wie es auf jenem lief. Zumindest aus Sicht der neapolitanischen Ultras. „Den Panda geben wir dir zurück - Hauptsache du haust ab“, schrieben sie auf ein Plakat am Stadion. Weil der SSC Neapel zwar eine prächtige Saison spielte, lange nach dem dritten Scudetto der Vereinsgeschichte, dem ersten ohne Diego Maradona, gierte, sich infolge eines Absturzes im Saisonfinale aber mit Rang drei begnügen musste. Zu viel für die über Jahrzehnte geschundene Fanseele, die Wut brach sich Bahn. Sie traf des Trainers Gefährt.
Wiederum fast ein Jahr später, also heute, kutschiert Luciano Spalletti mit einem von Verein zur Verfügung gestellten Wagen durch die Stadt. Durch eine Stadt, die ihn lieben gelernt hat, und umgekehrt, die die gegenseitige Zuneigung als Kraftquell nutzt. „Wir erhalten gerade so viel Liebe, wir müssen alles zurückgeben“, sagt Spalletti. Er meint in erster Linie den Titel in der Serie A und in zweiter vielleicht auch den in der Champions League. An diesem Mittwoch (21 Uhr/Dazn) soll jedenfalls die gar nicht mehr so hohe Achtelfinalehürde Eintracht Frankfurt übersprungen werden.
Doch zurück zu Luciano Spalletti, dem Baumeister dieses erstaunlichen Gebildes an vergleichsweise unbekannten Fußballern, die dennoch so ziemlich das Beste sind, was aktuell europaweit herumkickt. Er, Spalletti, gilt in Italien als Unvollendeter. Zwar als Fachmann, aber als einer, der eh nie etwas Großes gewinnt. Außer Meisterschaften in Russland, mit Zenit St. Petersburg, oder nationale Pokale in Italien, doch die zählen kaum etwas. In der Serie A kam er nie hinaus über zweite und dritte oder achte und neunte Plätze. Nicht mit Empoli, dort begann er 1994 das Trainerdasein, nicht mit Genua, Venedig, Udinese, Ancona, nicht mal mit der AS Roma und Inter Mailand.
Zwar spielten Spalletti-Mannschaften fast immer attraktiven Offensivfußball, die Essenz seiner vielen Ideen aber vereinte sich erst in Neapel wirklich gewinnbringend. Es sind diese Jahre die besten im Trainerleben des Mannes aus Certaldo, zwischen Florenz und Siena gelegen, wo er, Spalletti, auf der Familienfarm La Rimessa Rückzug sucht, wo er bei Wein und Sonnenuntergängen seine Konzepte entwickelt. „In der Stille von Rimessa finde ich Lösungen. Wie ein Mönch in einem Kloster bin ich allein und berühre die Tiefen meiner Seele.“
Ein stillgelegter Vulkan
Zwar marschiert der Trainer mit der Trainingshose und den Stollenschuhen wie eh und je an der Seitenlinie herum, leicht gebückt, stets den Anschein machend, bereit zu sein, selbst reinzugrätschen in des Gegners Beine, doch hat Luciano Spalletti sich verändert. Kolossal verändert.
Wütete er noch vor zwei Jahren regelmäßig herum mit Medien, mit Schiris, mit Präsidenten, mit eigenen Spielern, legte sich bei fast jedem seiner Arbeitgeber mit den Stars an, mit Icardi in Mailand, Totti in Rom, Insigne in Neapel, tickt er jetzt anders. Ein stillgelegter Vulkan am Fuße des Vesuv.
Spalletti hat eine echte Mannschaft geformt, eine Truppe aus (zumindest vor dieser Spielzeit) recht namenlosen Profis hinter sich versammelt und führt dieses durch die erfolgreichste Saison seit 33 Jahren. „Ich habe eine Obsession“, sagt er, „ich will Neapel glücklich machen.“ Ob sie es ihm irgendwann gleichtun und den Fiat Panda herausrücken?