Eintracht und die speziellen Momente

Die oft kritisierten Kamada und Ndicka avancieren beim Frankfurter Finaleinzug zu den entscheidenden Kräften.
Mitten hinein in die ausgelassene Frankfurter Jubelstimmung, die selbst die oft so starren Mundwinkel des Daichi Kamada weit nach oben bogen, kam ein unbeliebter Partycrasher um die Ecke. Blaues Leibchen um den Leib, Dopingkontrolle stand drauf, und jener Mann, der es trug, marschierte schnurstracks in den Katakomben des Stuttgarter Stadions auf Kamada zu. Ein Plausch auf Englisch, und der Japaner verzog die Miene. Och ne, dachte er wohl, muss das ausgerechnet jetzt sein? Es musste, logisch, Regeln sind Regeln, der Kontrolle entkam er nicht, seiner Laune aber tat das natürlich keinen nachhaltigen Abbruch. Zu schön war der Abend aus Sicht von Eintracht Frankfurt verlaufen, das 3:2 beim VfB Stuttgart verbunden mit dem Einzug ins DFB-Pokalfinale, zu schön war der Abend auch aus persönlicher Sicht des Daichi Kamada.
Er hatte ja viel Kritik einstecken müssen in den vergangenen Wochen und Monaten, zweifelsohne war auch berechtigte darunter, denn die Leistungen des in der Hinrunde noch brillierenden 26-Jährigen wurden nun mal von Spiel zu Spiel schwächer. Er schoss keine Tore mehr, bereitete keine vor, spielte Fehlpässe, verlor Zweikämpfe und schien diese irgendwann komplett auszulassen.
Der Eindruck, der wechselwillige Profi, der seinen Abschied am Saisonende mittlerweile verkündet hat, könnte mit dem Kopf nicht mehr voll da sein bei seinem aktuellen Arbeitgeber, nicht mehr alles geben für die Eintracht im Wissen alsbald für Benfica Lissabon (oder einen anderen Klub) die Schuhe zu schnüren, drängte sich auf, wenngleich dies kein belastbarer Fakt war. „Die Journalisten sagen, ich bin nicht mehr hier“, ließ Kamada am späten Mittwochabend via Soziale Netzwerke wissen, „aber seid sicher, ich gebe alles für Eintracht Frankfurt bis zum Schluss.“ So gehört sich das.
In Stuttgart hatte Kamada noch eine erste Hälfte angeboten, die an die vielen Spielhälften der Vorwochen erinnerte. Uninspiriert, träge, schwächelnd. Dann plötzlich aber flutschte es, ein erfolgreiches Dribbling samt geglücktem Torabschluss änderte alles. In der 55. Minute war das, da blieb Kamada erst standhaft im Zweikampf gegen Stuttgarts Waldemar Anton, zog dann von links in die Mitte und zog ab. Es war dies kein Knaller, kein Strich in den Winkel, jener Versuch aus 20 Metern, aber eben ein platzierter Flachschuss ins Eck, den der Stuttgarter Torwart Fabian Bredlow an weniger schlechten Tagen gewiss auch hätte parieren können, es diesmal aber nicht tat.
Die Frankfurter Führung, der vierte Pokaltreffer von Kamada in der aktuellen Spielzeit, ein Brustlöser für den zuvor so gehemmt wirkenden Profi. Sein Jubel sprach Bände, wie er in Richtung der Frankfurter Fankurve abdrehte, schreiend vor Glück, wie er über den Rasen rutschte und erst an der Bande eingefangen wurde von den eskalierenden Teamkollegen. Da fiel einiges an Last ab, auch an Frust. Und plötzlich kickte für den Rest des Spiels wieder der alte Daichi Kamada, zielstrebiger, präsenter, schlicht besser. Er gewann 86 Prozent seiner Zweikämpfe, spielte kluge Pässe, rannte mit Ball und Schulterblick quer über den Rasen und setzte Randal Kolo Muani in Szene, der schließlich gefoult wurde und den Elfer beeindruckend souverän zum 3:1 verwandelte.
Lob für Charakterstärke
„Das zeigt den Charakter der Jungs“, lobte Sportvorstand Markus Krösche und meinte neben Kamada auch Verteidiger Evan Ndicka, den zweiten wechselwilligen und im Sommer ablösefreien Stammspieler. Der hatte ebenfalls einen mäßigen Start ins Spiel erwischt, ließ beim 0:1 den Vorlagengeber Josha Vagnoman laufen und schien eine ähnlich dürftige Leistung wie in so vielen Partien der Rückrunde anzubieten.
Doch auch bei ihm, dem gerade aus einer Verletzung wiedergekommenen und nach drei Trainingseinheiten direkt in die Startelf beorderten Profi, wendete sich das Blatt - erneut mit einem einzigen Schuss. Infolge einer Standard blieb der Verteidiger einfach ein Stürmer, lauerte am gegnerischen Sechzehner auf den zweiten und dritten Ball und bekam diesen perfekt aufgelegt von Kolo Muani. Ein entschlossener Linksschuss, das zwischenzeitliche 1:1. „Es war eine schwierige Zeit für die ganze Mannschaft. Daichi und Evan haben besonders viel auf die Kappe gekriegt“, sagte Mittelfeldspieler Djibril Sow, weshalb ihn die Treffer der beiden besonders freuten.
Glasners feurige Hand
Auch der Frankfurter Trainer Oliver Glasner stimmte ein in diesen Tenor, hatte gerade Kamada ja bereits die vergangenen Wochen stets verteidigt, ihm trotz eines anderen Anscheins großen Ehrgeiz und Einsatzwillen bescheinigt. Und er tat es auch diesmal in Stuttgart. „Ich lege wieder die Hand ins Feuer für sie“, so Glasner, ehe er allgemein anfügte: „Es ist einfach eine großartige Gruppe.“
Mario Götze, der über viele Jahre kritikerprobte Weltmeister, ordnete die Lage der wochenlang schwächelnden Leistungsträger wohl am treffendsten ein. Wenn es nicht laufe, sagte Routinier Götze, „ist das dann halt ein normaler Prozess im Fußball.“ Damit müsse ein Profi umzugehen wissen. Wichtig sei am Ende, „dass die Jungs auf dem Platz Gas geben.“ Das haben sie getan in Stuttgart, zweifelsohne. Ndicka und Kamada drehten das Spiel, waren neben dem wie so oft überragenden Kolo Muani die Frankfurter Helden des Abends.
Daichi Kamada, der noch fünf Pflichtspiele für die Eintracht wird absolvieren können, ehe er nach sechs Jahren den Klub verlässt, beschloss den Abend mit folgenden Worten: „Lasst uns noch mal Geschichte schreiben.“