Eintracht Frankfurt: Mainz 05 mit großem Potenzial zum Stolperstein

Eintracht Frankfurt hat den Nachbarn Mainz 05 auf vielen Feldern abgehängt - doch was heißt das schon für Sonntag?
Frankfurt - Der unverwüstliche und herrlich ungekünstelte Ex-Aufsichtsratschef Herbert Becker hat die Saisonziele der Frankfurter Eintracht früher stets in wenigen Worten knackig umrissen: „40 Punkte plus x, Platz zehn, in der Tabelle vor Mainz 05.“ Das war’s, Herbert Becker hatte fertig.
Vor dem Nachbarn aus Rheinhessen standen die Hessen in seiner Amtszeit von 2003 bis 2010 nicht immer, mal war der eine vorne, mal der andere, vier Jahre waren sie getrennt, eine Saison verbrachte die Eintracht in Liga zwo, drei Spielzeiten die Mainzer. Kann passieren.
Eintracht Frankfurt: Vorsicht vor dem FSV Mainz 05
In der Retrospektive ist an Herbert Beckers Erwartungen aber der Blickwinkel interessant, die Prioritäten. Damals war es mit der Internationalisierung der Eintracht, mit Europa und Brimborium noch nicht so weit her, vielmehr arbeiteten sie sich in Frankfurt am lange Zeit einzig verbliebenen Lokalkonkurrenten ab, an diesem selbsternannten Karnevalsverein aus Rheinland-Pfalz.
Die Eintracht beäugte den aufstrebenden und bundesweit als sympathisch-dynamisch geltenden Familienklub argwöhnisch, ganz geheuer war ihr nicht, was die Nullfünfer da mit ihrem verschworenen Haufen, einem Autohändler als Manager, einem Gitarre spielenden Anwalt als Präsidenten und einem charismatischen Trainer mit Nickelbrille und losem Mundwerk auf die Beine stellten.
Dennoch blickten die Frankfurter qua ihrer Größe, Historie und ihres Selbstverständnisses stets etwas von oben herab auf dieses kleine gallische Dorf, das bequem per Schiff über Main und Rhein oder auch in einer halbstündigen S-Bahn-Fahrt zu erreichen ist. Umso tiefer traf sie der immer wabernde Vorwurf, dass dieser kleine Verein vom Bruchweg sehr viel mehr aus seinen geringeren Möglichkeiten mache als der Großklub aus dem Herzen von Europa – inklusive pfiffiger Transferpolitik und herausragender Trainer wie Jürgen Klopp und Thomas Tuchel.
Eintracht Frankfurt: Gutes Verhältnis zu Mainz 05
Jahrelang bewegten sich die ungleichen Nachbarn in etwa auf Augenhöhe in der Bundesliga, die Rivalität schlief sogar irgendwie etwas ein, und wer die Partie heutzutage als Derby bezeichnet, wird von eisenharten Fans mitleidig belächelt. Die Verantwortlichen pflegen ein professionelles, gutes Verhältnis, im Winter etwa wechselten Dominik Kohr und Danny da Costa auf Leihbasis die Seiten. Das geht auf dem kurzen Dienstweg.
Doch auch heute kann sich der eine oder andere so manche Spitze nicht verkneifen. Als Eintracht-Präsident Peter Fischer unlängst im Aktuellen Sportstudio zu Gast war, erinnerte er daran, dass man ja in diesem Jahr auch erstmals „bei den tollen Mainzern“ habe gewinnen können. Der spöttische Unterton kam doch recht unvermittelt.
Zumal sich die Kräfteverhältnisse mittlerweile massiv zugunsten der Eintracht verschoben haben. Interessanterweise nahm diese Entwicklung ihren Anfang, als in Mainz Christian Heidel von der Brücke ging, 2016 war das, und der Verein sich in immer tiefer gehenden Grabenkämpfen hinter den Kulissen verstrickte. Das führte nicht nur einmal fast in die zweite Klasse. Bei der Eintracht indes herrschte nach dem vermiedenen Abstieg und der Inthronisierung von Fredi Bobic Aufbruchstimmung, ein neuer Zug und eine andere Denke.
Und natürlich trug der sportliche Erfolg, ermöglicht durch viele kluge Personalentscheidungen, maßgeblich dazu bei, dass sich die Wege trennten. In der Saison 2016/17 setzten beide Vereine rund 110 Millionen Euro um, während die Eintracht aber auf Rang elf abschloss und ins Pokalfinale einzog, spielte der FSV eine matte Runde und kam ächzend auf Rang 15.

Eintracht Frankfurt: Deutlich mehr Umsätze als Mainz 05
Der Finaleinzug der Eintracht und die entstandene Begeisterung rund um den Klub rechneten sich, schon in der darauffolgenden Saison waren in Frankfurt 27 Millionen Euro mehr im Umlauf als in Mainz (140,7 Millionen zu 114 Millionen). Durch den Pokaltriumph ein Jahr später, die wundersame Reise durch Europa und den Verkauf der Topstürmer katapultierte sich die Eintracht endgültig in andere Sphären: In der zurückliegenden Saison setzte sie 278,1 Millionen Euro um und damit sage und schreibe 162,5 Millionen mehr als Mainz 05.
Das macht sich auf dem Feld und also im Klassement bemerkbar, innerhalb der vergangenen fünf Jahre war die Eintracht durchschnittlich mehr als fünf Ränge besser platziert als die Nullfünfer, die immer zweistellig einliefen. Klar ist aber auch, dass die Mainzer sich mit altem Personal wieder neu aufgestellt haben und die guten Seiten der Vergangenheit wieder aufleben lassen wollen. Zudem: In Sachen Jugendarbeit sind sie der Eintracht nach wie vor meilenweit voraus, viele ehemalige NLZ-Spieler haben den Sprung zu den Profis geschafft, in der europäischen Rangliste der „Localplayer“ liegt Mainz 05 auf Rang vier. Die Eintracht kämpft darum, den Anschluss wieder zu finden.
Auf den anderen Feldern ist sie dem Konkurrenten enteilt, gerade die europäischen Wettbewerbe sind Wachstumsbeschleuniger, finanziell, aber auch für das Renommee. „Unsere Auftritte in Europa haben alle begeistert, sie haben uns in ein anderes Licht gerückt“, sagt Aufsichtsratschef Philip Holzer. Die erstmalige Teilnahme an der Champions League würde den Verein nochmals in eine andere Umlaufbahn schleudern.
Um den Wunschtraum zu realisieren, muss die Eintracht am Sonntag (15.30 Uhr) den alten Rivalen irgendwie in die Knie zwingen. Wird nicht so leicht, die Mainzelmännchen entpuppten sich schon häufiger als Stolpersteine. Und auch in den letzten beiden Heimspielen gegen Mainz war von längst verschobenen Machtverhältnissen nichts zu sehen: Der FSV siegte zweimal mit 2:0. Ein ähnliches Ergebnis wäre für die Eintracht dieses Mal nur schwer zu verdauen. (Ingo Durstewitz)