Eintracht Frankfurt im freien Fall

Der Frankfurter Bundesligist kommt natürlich auch in Dortmund unter die Räder und erlebt einen beängstigenden Niedergang, der schon fast an die „Rückrunde der Schande“ erinnert.
Draußen von der mächtigen Gelben Wand hallten die Gesänge rein in die Katakomben des Westfalenstadions, „Deutscher Meister wird nur der BVB“, schwarz-gelbe Glückseligkeit allüberall, eine Mannschaft an der Spitze, ein ganzer Verein auf Wolke sieben, die Menschen wie im Rausch. Wo Freude ist, ist aber oft auch Leid, weshalb die Gegensätze zwischen exaltierten Dortmundern und gedemütigten Frankfurtern nicht größer hätten sein können. „Wir haben verdient verloren, auch in der Höhe“, sagte ein angefressener Sportvorstand Markus Krösche nach der 0:4 (0:3)-Abreibung seiner Eintracht. „Wir kamen für einen Sieg nicht infrage. Wir haben eine Scheiß-Phase.“ Eine Mannschaft im freien Fall, ein ganzer Verein am Boden. Eintracht Frankfurt und der brutale Absturz in der Rückrunde.
Elf Punkte in zwölf Spielen haben die Hessen nur geholt, seit acht Partien warten sie auf einen Sieg, von 24 möglichen Punkten haben sie nur vier geholt. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. „Der Trend ist nicht gut“, sagt Sportchef Krösche. Das klingt angesichts der desaströsen Bilanz fast schon ein wenig euphemistisch.
Zugute halten muss man dem Manager freilich, dass er spürbar um Contenance bemüht war und genau abwägte, was er öffentlich sagte und was besser nicht. Hätte er sein Inneres nach außen gekehrt, es wären andere Worte gefallen. Doch auch so ist dem 42-Jährigen anzumerken, dass ihm die aktuelle Entwicklung gewaltig gegen den Strich geht. Alles andere wäre allerdings auch absurd. „Es macht kein Sinn, zu lamentieren und rumzureden. Es geht nicht mehr ums Reden, sondern nur ums Handeln“, sagt er und fordert Konsequenz und Überzeugung. Aber wo soll beides auf einmal herkommen?
Der Absturz der Eintracht nimmt dramatische Zügen an, der Klub ist durchgereicht worden von einem Champions-League-Rang bis auf Platz neun. Die internationalen Startplätze sind mittlerweile mit Blick auf die Leistungen weit weg, fast schon unerreichbar, dabei sind sie das erklärte Ziel. Noch in der Winterpause hatte Sportvorstand Krösche die Losung ausgegeben, Rang vier verteidigen zu wollen. Eine nachvollziehbare Ansage, die Leistungen im alten Jahr waren gut bis furios, die Mannschaft wirkte gefestigt und robust, ein Einbruch nicht in Sicht. Es sollte anders kommen.
Inzwischen erinnert vieles an die „Rückrunde der Schande“, als die Eintracht 2011 in einem beispiellosen Niedergang von Rang sieben bis in die zweite Liga durchgereicht wurde. In der zweiten Halbserie hatte das Team nur noch acht Punkte geholt. Ein Abstieg wird der Eintracht in diesem Jahr natürlich erspart bleiben, aber in der aktuellen Verfassung ist es nur mit großer Phantasie vorzustellen, dass noch mal ein Spiel gewonnen werden kann. Zu vieles ist nur noch gestückelt, nichts passt mehr zusammen, die Ratlosigkeit und Ohnmacht in und um die Mannschaft herum ist greifbar.
Seit dem ersten Champions- League-Achtelfinale gegen Neapel ist der Stecker gezogen, da scheint etwas zerbrochen zu sein. Die Mannschaft jedenfalls ist nicht mehr wiederzuerkennen, sie hat alles eingebüßt, was sie mal stark gemacht hatte. Im Hinspiel gegen Dortmund, dies nur als ein Beispiel, verlor sie zwar mit 1:2, aber nur weil sich alles Unglück der Welt gegen sie verbündet hatte, damals spielte sie den BVB förmlich an die Wand, nahm ihm die Luft zum Atmen. Am Samstag indes traten die Frankfurter nach einer halbwegs ordentlichen Anfangsphase irgendwann auf wie das Kaninchen vor der Schlange, ängstlich, mutlos, zaudernd.
Die spielerische Leichtigkeit, die Kaltschnäuzigkeit, vor allen Dingen aber Behauptungswillen, Widerstandsfähigkeit und Entschlossenheit sind auf der Strecke geblieben. Er lege zwar weiterhin für jeden seiner Spieler die Hand ins Feuer, sagt Trainer Oliver Glasner nun, doch offenkundig ist von dem einst verschworenen Haufen nicht mehr viel geblieben. Die vielen Misserfolge haben mürbe gemacht.
Die Einstellung ließ in Dortmund in der zweiten Halbzeit zu wünschen übrig, „nach dem 0:3 waren wir gebrochen“, gesteht der Coach ein. Jude Bellingham (19.), Donyell Malen (24.) und Mats Hummels (41.) machten schon im ersten Durchgang alles klar, in dem einseitigen zweiten Abschnitt erhöhte Malen (66.) gegen eine überforderte und in sich zusammenfallende Eintracht auf 4:0. Gerade Halbzeit zwei war nicht Eintracht-like, sich einfach dem Schicksal zu ergeben und sich nicht mal gegen das drohende Unheil aufzubäumen, ist untypisch für eine Frankfurter Truppe. Mit dieser Haltung wird es in der Tabelle noch weiter bergab gehen. „Heute sind alle Köpfe unten“, urteilte ein ernüchterter Glasner.
Der 48-Jährige hat es zum zweiten Mal hintereinander nicht geschafft, seine Mannschaft in der Bundesliga auf einem hohen Niveau zu stabilisieren, schon im letzten Jahr brach sie in der Rückrunde ein. Nun der nächste Absturz. Der Österreicher hat in der zweiten Saisonhälfte zu lange an Altbewährtem festgehalten, sei es taktisch oder personell. Er hat es nicht geschafft, die Spieler aus dem zweiten oder dritten Glied so aufs Gleis zu setzen, dass sie eine Hilfe sein können.
Das kann eine Frage der Qualität sein, klar, aber auch eine Frage des Vertrauens und der Weiterentwicklung. Auf der Bank hat sich noch kein (junger) Spieler verbessert. Diese Themen waren schon das eine oder andere Mal Streitpunkte zwischen Coach Glasner und Sportboss Krösche. Der Manager ist am Samstag sogar erstmals gefragt worden, ob Glasner noch der richtige Mann für diese Mannschaft sei. „Wir gehen jetzt zusammen da durch“, antwortete Markus Krösche knapp und fügte an: „Es sind 34 Spiele, danach wird abgerechnet. Wir haben noch fünf Spiele, die wollen wir nach Möglichkeit alle gewinnen.“ Nur: Wie soll das gehen?
Vielleicht ist es an der Zeit, der Mannschaft mal einen Impuls zu geben. Vielleicht sollte Markus Krösche mal eindringliche Worte ans Team richten. Oder der gesamte Vorstand. Wieso nicht mal eine konzertierte Aktion mit dem Sportboss und den aus der Öffentlichkeit quasi abgetauchten Vorstandssprecher Axel Hellmann starten, um den Spielern öffentlich den Ernst der Lage zu verdeutlichen und klarzumachen, dass das Ende der Fahnenstange so langsam erreicht ist. Mal etwas versuchen, aufrütteln, Druck machen. Das ist doch allemal besser, als es einfach laufen zu lassen und nur aufs Prinzip Hoffnung zu setzen.
Die letzte Hoffnung ist für die Eintracht sowieso der Pokalwettbewerb, wo der Cup und damit der Europapokal nur noch zwei Siege entfernt sind. Doch um schon in Stuttgart am 3. Mai im Halbfinale zu bestehen, benötigt die Eintracht einen anderen Spirit und eine andere Geschlossenheit, eine andere Bereitschaft. Davon ist sie zurzeit ziemlich weit entfernt.