Ich habe das gesagt, weil ich schon zu meiner aktiven Zeit so gelebt habe. Ich habe das Nachtleben auch als Fußballprofi gemieden. Ich habe meine heutige Frau sehr früh kennengelernt und mich aufs Wesentliche konzentriert, also auf meine Familie und den Fußballsport. Das möchte ich den Jungs heute ebenfalls vermitteln. Und wenn ich Freizeit habe, versuche ich die schon mit meiner Familie zu verbringen. Das hat in der letzten Saison weniger geklappt, aber das möchte ich jetzt eigentlich so halten. Und dann ist Sport natürlich ein sehr gutes Ventil, kommt momentan aber noch etwas kurz.
Gehen Sie dann joggen?
Ja, hier im Wald. Oder ich spiele Golf oder Tennis, ich bin da offen.
Und dann können Sie wirklich abschalten?
Jein. Man kann sich nicht immer frei von den Gedanken machen. Mir schießen auch beim Laufen immer wieder Ideen oder Szenen in den Sinn. Ich versuche, das zwar auszublenden, aber das gelingt nicht immer zu 100 Prozent. Aber dieses Problem haben viele Trainer.
Ist das auch das Anstrengende an diesem Job, diese allumfassende Beschäftigung mit der Materie und dem Fußball, quasi rund um die Uhr?
Natürlich. Wir müssen uns immer hinterfragen. Wir müssen wissen, ob wir auf dem richtigen Weg sind. Wenn wir Erfolg haben, müssen wir wissen, warum. Und wenn wir Misserfolg haben, müssen wir wissen, wo dafür die Gründe liegen. Man muss immer wieder nachhaken. Das macht die Sache spannend, aber auch schwierig. Die Extremsituation hatten wir in der letzten Saison.
Das stellen wir uns doch recht schwierig vor: 24 Stunden am Tag an die Arbeit denken, da wird man ja wahnsinnig.
Das glaubt einem vielleicht auch keiner, ist aber so. Und nehmen Sie unsere derzeitige Situation: Wir haben in der vergangenen Saison etwas erreicht und wollen nun etwas aufbauen. Es gibt viele Dinge, die wir angefangen haben und die wir jetzt weiterführen wollen. Das ist stressig und zeitintensiv, aber es macht uns richtig viel Spaß, und ich denke, wir sehen doch ganz ausgeschlafen aus (lacht).
Ist in diesem Job und mit dieser Hingabe überhaupt ein Familienleben möglich, also lässt sich das vereinbaren?
Es gibt viele Trainer, die ihre Familie nicht in die Stadt mitbringen, in der sie arbeiten. Das hängt davon ab, wie alt die Kinder sind. Irgendwann steht die schulische Ausbildung der Kinder im Vordergrund. Meine Tochter macht in den nächsten drei Jahren ihr Abitur, und in meinem Geschäft weiß man ja nie, was morgen passiert. Deshalb ist es, glaube ich, sinnvoll, wenn man den Anker dort hat, wo das Kind sich wohlfühlt.
Wie oft kommen Sie nach Hause nach Salzburg?
In der letzten Saison relativ selten. Jetzt möchte ich schon zusehen, dass ich Sonntag und Montag bei meiner Familie bin. Ich hoffe, dass ich dann abschalten kann. So ganz wird das nicht klappen, aber wenn ich das zu 70 Prozent schaffe, bin ich zufrieden.
Inwieweit hilft Ihnen Ihre Religion, Ihr Glauben in dem Job?
Sie haben mich ja kennengelernt, ich denke schon, dass ich ein freundlicher, höflicher, offener Mensch bin. Ich gehe auf jeden zu. Ich möchte das, was ich in der Kindheit vermittelt bekommen habe, an mein Kind weitergeben und auch in meiner täglichen Arbeit umsetzen. Ich weiß, dass das im Fußballgeschäft nicht einfach ist. Aber der Glaube gibt mir die Stärke. Wenn man als Mensch Zweifel hat und überlegt, schaffe ich das oder schaffe ich das nicht, dann verlasse ich mich auf den lieben Gott. Und bisher hat es ganz gut geklappt.
Gehen Sie am Wochenende in die Kirche?
Wenn die Zeit es zulässt, auf jeden Fall. In Frankfurt gibt es sonntags von 9 bis 16 Uhr Messen, da ist schon was dabei.
Zünden Sie, das ist jetzt nicht spaßig gemeint, auch eine Kerze an?
Natürlich. Die Familie steht da im Vordergrund, aber es gibt auch im Berufsleben Situationen, in denen man so etwas braucht. Als wir den Klassenerhalt geschafft hatten, war ich etwa in Medjugorje, einem Wallfahrtsort in Bosnien-Herzegowina.
Sie sagten gerade, Sie seien ein Mensch, der offen und herzlich sei. Das ist im Fußballgeschäft nicht selbstverständlich, gerade, weil Fußballer ja gerne überhöht und auf einen Sockel gehoben werden. Ist es wirklich so einfach, nicht die Bodenhaftung zu verlieren?
Es ist in diesem Geschäft keiner davor gefeit, mal den Boden unter den Füßen zu verlieren. Ich habe aber ein sehr gutes Korrektiv, ich habe meine Familie und einen engen Freundeskreis, mit dem ich mich austausche. Und wenn da mal wirklich etwas passieren sollte, was man vielleicht gar nicht so merkt, gibt es auf jeden Fall Gesprächsbedarf und eine Korrektur. Aber mit dem Alter kommt ja auch die Weisheit und Vernunft. Ich glaube, ich kann mich ganz gut selbst einschätzen.
Aber nach dieser Rettung jetzt, die ja unmöglich erschien, denkt man doch schon mal: Hey, ich bin der Größte, oder?
Nein, ich habe es ja nicht alleine geschafft. Wir haben es geschafft, weil wir daran geglaubt haben. Es besteht kein Grund dazu, einen Einzelnen da herauszuheben. Das macht uns doch aus: Wir sind Menschen, es gibt ein paar Grundwerte und ein paar Standards, das ist nicht so schwer: Guten Tag, danke, auf Wiedersehen. Wenn man das verliert, wird es eh schwierig. Wenn man miteinander gut umgeht, gibt es weltweit keine Probleme. Ich versuche, dass wir normal miteinander umgehen. In guten und in schlechten Zeiten.
Und das erwarten Sie auch von Ihrem Gegenüber?
Genau. Ich kann nicht erwarten, dass er nett ist, wenn ich nicht nett bin. Und umgekehrt. Aber so ist es doch mit allem, mit Liebe, mit Höflichkeit und vielem mehr. Das Leben ist keine Einbahnstraße, das sage ich auch zu meinen Spielern immer wieder. Es ist ein Geben und Nehmen. Manchmal gebe ich ihnen was, das muss ich auch zurückkriegen – und umgekehrt gilt das genauso. Ich möchte nicht nur Trainer, sondern in erster Linie Mensch sein. Das ist schwierig. Aber ich versuche es.
Haben das andere Trainer, als Sie noch Spieler waren, so vorgelebt?
Ottmar Hitzfeld war so ein Typ. Er war Trainer, aber vor allem ein Mensch, der die Gefühle verstanden hat. Das ist schon wichtig. Oder Carlo Ancelotti, von ihm habe ich schon nur Gutes gehört, als er noch in Madrid war. Das ist im Fußball wichtig, das Wissen an sich ist auch wichtig, klar, aber das Zwischenmenschliche das rückt immer mehr in den Vordergrund. Früher gab es einen Diktator, der hat alles entschieden, heute muss man ganz anders mit den Spielern umgehen.
Weil die Spielergeneration sich verändert hat?
Nicht nur das, die ganze Welt hat sich verändert, auch die Medien. Wer hatte früher ein Handy? Heute kann man über das Telefon alles regeln, überweisen, aufnehmen, fotografieren.
Aber Sie sind ja nicht so der Fan der Sozialen Medien wie Twitter, Instagram oder Snapchat.
Nein, habe ich alles nicht. Ich halte davon nichts, aber das ist meine persönliche Meinung. Ich überlasse es jedem, sich auszusuchen, wie er damit umgeht.
Aber die Bundesliga will sich doch eigentlich lieber immer mehr abschotten.
Wir schotten uns doch gar nicht ab. Ab und zu machen wir mal Trainingseinheiten unter Ausschluss der Öffentlichkeit, aber das müssen wir doch machen. Es gibt Betriebsspionage, da schauen Scouts der Gegner zu, um unsere Pläne zu erkennen und dann zu durchkreuzen. Dem wollen wir natürlich einen Riegel vorschieben. Aber ich bin von Hause aus ein offener Mensch.
Aber es gibt in der Bundesliga doch sowieso keine Geheimnisse mehr.
Deshalb versuchen wir Trainer ja, Nischen zu finden, um den Gegner zu überraschen. Das gelingt dann zwei-, dreimal, dann ist es bekannt, und dann muss man sich schon das Nächste einfallen lassen. Es ist ein interessantes Aufgabengebiet.
Also sind diese Kleinigkeiten auf diesem Niveau entscheidend?
Natürlich. Das hat damals schon Christoph Daum immer gesagt: Es sind nicht die zehn Prozent, sondern die zwei, drei Prozent. Jeder arbeitet im Highend-Bereich, und dann muss man die kleinen Fetzen finden, um den Gegner zu überraschen und zu besiegen.
Ist Mannschaftsführung die wichtigste Komponente als Bundesligatrainer?
Ein Trainer muss heutzutage Psychologe sein, Dinge frühzeitig erkennen, einschreiten und korrigieren. Man muss dafür ein Gefühl entwickeln. Das ist uns aber ganz gut gelungen in den letzten Monaten.
In Frankfurt ist das Thema Entfremdung aufgekommen, weil die Eintracht so viele ausländische Spieler ohne Bezug zum Verein geholt hat. Viele sehen darin ein Risiko, andere, gerade in der internationalen Stadt Frankfurt und der Geschichte der Eintracht mit Ikonen wie Yeboah oder Okocha, eine Chance. Wie ist Ihre Meinung zur Multi-Kulti-Debatte?
Das ist doch alles unwichtig. Was uns alle vereint, ist das Menschsein. Und da ist doch völlig unerheblich, wo einer herkommt, welche Religion oder welche Hautfarbe er hat. Wir sind alle vom lieben Gott erschaffen, das ist der springende Punkt. Fakt ist: Wir versuchen, uns zu verbessern. Und wenn wir der Meinung sind, dass ein deutscher Spieler uns helfen kann, werden wir alles versuchen, ihn zu holen. Aber das ist für uns finanziell schwierig. Also müssen wir andere Wege gehen, um uns zu verstärken. Aber es gibt genügend andere Klubs, die ebenfalls einige Ausländer verpflichtet haben. Ich sehe diese Debatte also gar nicht.
Behandeln Sie alle Spieler gleich?
Es ist mir egal, ob das einer vom Balkan ist oder aus Spanien oder Deutschland. Für mich sind alle gleich. Die Leistung zählt. Und auch das, was gestern war, zählt nicht mehr. Dass wir es vor drei Monaten geschafft haben, ist heute irrelevant.
Sind Sie ein Trainer, der seine Spieler beobachtet, der auch in deren Freizeit ein Auge darauf hat?
Ich bin keiner, der hinter der Ecke steht und alles kontrolliert. Ich setze generell auf Eigenverantwortung. Ich gebe gewisse Sachen vor, sage ihnen: Benehmt euch so, wie man sich unter zivilisierten Menschen benimmt. Und wenn ich spüre, dass es in eine falsche Richtung geht, dann korrigiere ich das und sage: Jungs, das gefällt mir nicht, wir müssen uns wieder in die Spur begeben. Aber ich weder den Teufel tun und alles kontrollieren. Dafür sind sie alt genug, erwachsen und haben zum Teil Kinder. Das müssen sie schon selbst hinkriegen.
Aber wie sind Sie mit einem Spieler wie Carlos Zambrano umgegangen, der, das war ja ein offenes Geheimnis, häufiger mal um die Häuser gezogen ist.
Ich habe mit ihm darüber gesprochen und versucht, ihm die Situation zu erklären. Ich habe ihn ja nicht einfach so zum Kapitän gemacht. Ich denke mir etwas dabei. Ich war selbst Kapitän, auch Kapitän der Nationalmannschaft. Da hat man nicht nur eine Verantwortung sich selbst gegenüber, sondern auch für seinen Verein und sein Land. Man kann sich überlegen: Fahre ich die Egoschiene oder bin ich fürs Große und Ganze da. Diese Spieler müssen auch außerhalb des Platzes führen, das machen die erfahrenen auch.
Haben Sie Bedenken, dass es Unruhe und Knatsch geben könnte?
Jeder hat die Chance, zu spielen und sich anzubieten. Und ich kenne keinen Trainer, der jemanden nicht aufstellt, obwohl er besser ist als der andere. Es ist mir egal, ob einer seit gestern oder zehn Jahren da ist. Wer die Leistung abruft, wird spielen, der andere wird erst mal in der Warteschleife fahren.
Und wenn doch einer bockig ist, lassen Sie dann den harten Hund raushängen?
Nein, ich versuche, zu erklären, wieso und weshalb. Ich wollte das als Spieler auch wissen. Ein Spieler braucht ein Feedback. Wir haben natürlich ein Trainer-Spieler-Verhältnis. Aber ich versuche auch, ein freundschaftliches Verhältnis aufzubauen. Denn ich weiß: Angst hemmt, Angst ist das Schlimmste, was einem Sportler passieren kann.
Siezen die Spieler Sie?
Wir sind per Sie, ja. Meistens sagen die Spieler aber sowieso: Trainer. Und wenn mal ein Du rausrutscht, ist das auch kein Problem.
Haben Sie einen Trainer geduzt?
Nein. Aber mit Ottmar Hitzfeld bin ich jetzt per Du. Er hat es mir angeboten, als ich Trainer Kroatiens war und wir ein Länderspiel gegen seine Schweizer hatten. Meine Zunge will immer noch Sie sagen, aber dann besinne ich mich eines Besseren und sage Ottmar (lacht).
Interview: Ingo Durstewitz und Jörg Hanau