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Glasgow Rangers: Im siebten Himmel

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Von: Daniel Schmitt

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Freud und Leid: Leipzig trauert,Glasgow feiert, so soll es sein. Foto: AFP
Freud und Leid: Leipzig trauert,Glasgow feiert, so soll es sein. © AFP

Die Glasgow Rangers wissen nicht, wie ihnen geschieht - und vertrauen fürs Finale gegen Eintracht Frankfurt auf die Hilfe von oben.

Irgendwann war Ruhe, totale Ruhe. Das Innerste von Ibrox, es schwieg. Manch einer, so hieß es hinterher pathetisch, habe sich nicht mal mehr gewagt, auch nur nach Luft zu schnappen. In der Kabine der Glasgow Rangers, kurz zuvor noch das Epizentrum der Gefühlseruptionen, war es plötzlich still, sehr still, bewegend still. „Wir haben uns einen Moment genommen und an Jimmy den Zeugwart gedacht. Ich bin sicher, er hat uns von oben zugeschaut. Wir werden ihn für den Rest unseres Lebens vermissen“, erklärte Trainer Giovanni van Bronckhorst.

Jimmy der Zeugwart, Jimmy Bell, verstarb zwei Tage vor dem Halbfinalrückspiel gegen RB Leipzig (3:1). Er war eine Legende in Glasgow, bei den Rangers. Ein Mann mit einem Status, den nur ganz wenige erreichen, kaum ein Spieler. Einer wie Charly Körbel bei Endspielgegner Eintracht Frankfurt vielleicht, und das, obwohl Bell nie ein Tor geschossen, nie eine Vorlage hingezaubert, nicht mal ein Spiel für die Rangers bestritten hat. 1986 stieß er zum Klub, als Angestellter eines Busunternehmens, irgendwann war er dann Zeugwart.

Glasgow Rangers: Leipzig geht unter

Er sei, so Mannschaftskapitän James Tavernier, „das schlagende Herz und die Seele unseres Vereins“ gewesen. Es gebe nur wenige Menschen im modernen Fußball, „die ein solches Synonym für einen Klub sind, wie es Jimmy Bell für die Rangers war.“ Es sollen Tränen geflossen sein in diesen Momenten der Ruhe, Tränen, die nicht mehr wussten, warum sie eigentlich flossen, ob aus Trauer, aus Freude, aus Überforderung.

Der Abend von Ibrox, er überforderte viele. Da wären die Gäste aus Leipzig, die einfach überrollt wurden von der Wucht des Moments, die niedergeschrien wurden von den 50 000 Rangers-Fans im Stadion, für die es, wie der Leipziger Trainer Domenico Tedesco hinterher formulierte, „das Beste war, was ich bis jetzt in einem Stadion erleben durfte. Elektrisierend, wahnsinnig.“ Der Wahnsinn war zu viel für RB an diesem Abend, sie brachen darunter zusammen. Ob’s demnächst im deutschen Pokalfinale gegen den SC Freiburg leichter wird? Anderes Thema.

Glasgow Rangers: Dortmund und Leipzig besiegt

Da waren aber auch die Gastgeber aus Glasgow, die ihre Emotionen nach dem Abpfiff nicht mehr kontrollieren konnten, es auch nicht mehr wollten. Manch Profi sackte nur noch in sich zusammen, Allan McGregor zum Beispiel, der Torwart, 40 Jahre und bereits für die Rangers zwischen den Pfosten, als noch die Deutschen Stefan Klos und Christian Nerlinger das Trikot der Schotten trugen. Er also lag dann auf dem Rasen, völlig fertig, und weinte.

Das Endspiel am 18. Mai in Sevilla wird eines der totalen Ekstase, von zwei Traditionsklubs, die diesen Wettbewerb lieben gelernt haben, die von diesem Wettbewerb geliebt werden, weil sie ihn aufwerten. Glasgow, 2012 noch insolvent und in die vierte schottische Liga zwangsversetzt, hat eine gute Europa-League-Runde gespielt, sich in der Gruppe gegen Sparta Prag, Bröndby IF und Lyon behauptet, in der Zwischenrunde Dortmund besiegt, ehe zwei vergleichsweise leichtere Hürden gegen Belgrad und Braga übersprungen werden konnten. Und nun der Sieg gegen Leipzig, das Drehen des 0:1-Hinspielrückstandes.

Die Mannschaft besteht nicht aus vielen Einzelkönnern, sie ist eine Gemeinschaft. Oldie-Torwart McGregor wird gefeiert, Verteidiger Leon Balogun spielte mal in Mainz, im Mittelfeld sticht der finnische Internationale Glenn Kamara heraus, bester Torschütze ist der gegen RB verletzte Alfredo Morelos, bekanntester Name der Trainer Giovanni van Bronckhorst, einst selbst für die Rangers am Ball.

Glasgow Rangers: Tavernier im Fokus

Als Kopf der Mannschaft aber geht James Tavernier voran. Der Kapitän wird zwar als rechter Verteidiger geführt, bringt aber einen derartigen Offensivdrang mit, dass er bei wettbewerbsübergreifenden 16 Toren und 16 Vorlagen steht. Gegen Leipzig erzielte er das frühe 1:0. In der Europe League führt er die Torschützenliste mit sieben Treffern an, könnte nur noch vom Frankfurter Daichi Kamada (5) eingeholt werden. Tavernier ist das Gesicht der Rangers, nicht nur weil er so häufig trifft, sondern auch, weil er einfach immer spielt. 54 (!) Einsätze hat er in dieser Saison bereits absolviert, nur einmal wurde er ausgewechselt.

Am Donnerstagabend gebührten ihm schließlich auch die letzten Worte. Sie lauteten: „Für Jimmy.“ Für den Zeugwart, für das Herz und die Seele des Klubs.

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