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Eintracht hämmert an der Tür

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Von: Thomas Kilchenstein

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Pfeifen im Walde? Eintracht-Trainer Oliver Glasner baut weiter eisern auf das Prinzip Hoffnung.
Pfeifen im Walde? Eintracht-Trainer Oliver Glasner baut weiter eisern auf das Prinzip Hoffnung. © IMAGO/Kessler-Sportfotografie

Wie Eintracht Frankfurt und Oliver Glasner versuchen, wenigsten im Pokal die Krise zu meistern.

An diesem sonnigen letzten April-Tag hat Oliver Glasner mit seiner auf Besuch weilenden Familie einen Sonntagsspaziergang unternommen, rüber zum Römer, das ist nicht weit von Sachsenhausen. Rappelvoll von Menschen war der Platz vor dem Rathaus, und da hat Glasner zu seinen Lieben gesagt, es wäre „schon geil“ in vier Wochen da oben auf dem Balkon zu stehen und den Fans den Pokal zu präsentieren. Die Erinnerung ans letzte Mal ist noch frisch, wird vermutlich immer so bleiben, einen Europapokal gewinnt man nicht alle Tage.

Dummerweise hat sich Eintracht Frankfurt just vor dem Semifinale am Mittwoch (20.45 Uhr/ARD) gegen den VfB Stuttgart eine wochenlange Krise respektablen Ausmaßes genommen, es ist alles andere als gewiss, ob die Hessen überhaupt in dieses Berliner Endspiel am 3. Juni einziehen werden, geschweige denn es entweder gegen den SC Freiburg oder RB Leipzig auch gewinnen. Momentan fehlt im weiteren Umfeld der Frankfurter jedwede Phantasie, wie es eine verunsicherte, labil gewordene und seit neun Spielen in der Liga sieglose Mannschaft gelingen soll, ausgerechnet in der Ferne ein Spiel zu gewinnen. In 2023 haben die Hessen kein Spiel auswärts für sich entscheiden können.

Hoffnung bei Kolo Muani

Trainer Oliver Glasner redet da zunächst nicht um den heißen Brei herum, es läuft, bei allem Eifer und allem Einsatz, überhaupt nicht bei seinem Team: „Momentan ist die Tür so feste zu, dass wir uns beim Anlaufen eine Beule holen.“ Und trotzdem wolle man in Stuttgart durch diese Tür gehen. Nur: Wie soll das gehen? Muss der Coach nicht Dinge verändern? Personell? Womöglich taktisch? Benötigt die Mannschaft einen anderen, einen neuen Impuls? Eine andere Ansprache? Hat er, die Lokomotive, der Motor, der Chef, überhaupt noch Pfeile im Köcher?

Glasner hält nichts davon, alles umzukrempeln. „Das ist Aktionismus“, man werde „nichts Grundsätzliches ändern“, sagt der 48 Jahre alte Fußballlehrer. Er sehe doch, tagtäglich im Training, wie sich die Spieler reinhängen, wie sie an ihre Grenzen gingen. „Sie wollen, sie machen, sie tun.“ Glasner nannte als Beispiel für viele Kapitän Sebastian Rode: Der habe erstmals im Spiel gegen Augsburg 90 Minuten durchgehalten, weil „er die Mannschaft nicht im Stich lassen wollte“. Nachts habe er, Rode, dann vor lauter Krämpfen nicht schlafen können. Alle zögen gemeinsam und am selben Strang. „Ich erwarte nicht, dass wir in drei Tagen alles umdrehen. Du wirst jetzt nicht ausdauernder, schneller oder größer in drei Tagen.“

Was Oliver Glasner Hoffnung schöpfen lässt: Sie haben es ja längst bewiesen, die Mannschaft hat gezeigt, dass sie es kann, dass sie besser und erfolgreicher Fußball spielen kann. Die Frage sei allein: „Wie schaffen wir es, das Potenzial der Spieler an die Oberfläche zu bekommen.“ Es mache keinen Sinn, etwa die Spielanlage komplett zu verändern, „wir wissen ja, dass es funktioniert“, nur schaffe man es im Augenblick nicht, diese Fähigkeiten abzurufen. Der Coach, der vermutlich auf die genesenen Randal Kolo Muani und Evan Ndicka zurückgreifen kann, sieht deshalb keine Veranlassung, womöglich die Peitsche herauszuholen, er ziehe das Zuckerbrot vor.

„Kein Volldesaster“

Insgesamt empfindet Glasner trotz der langen Negativserie von neun Bundesliga-Partien ohne Sieg die Situation, „nicht so dramatisch wie sie dargestellt“ werde. „Vor zwei Wochen wurde noch gesagt, dass ich zu Real Madrid oder dem FC Chelsea gehe und am Samstag musste ich nun beantworten, ob ich Angst habe, dass ich Frankfurt-Trainer bleibe.“ Das sei nicht nachvollziehbar. Die Eintracht stehe in der Liga auf Platz neun, was kein „Volldesaster“ sei, man habe das Achtelfinale der Champions League („herausragend“) und das Pokal-Halbfinale („gut“) erreicht. Man liege „ein bisschen hinten den Erwartungen“, sagte Glasner, der das alles „populistisch und aktionistisch“ dargestellt sieht. „Da will man irgendwelche Opfer sehen“, klagte Glasner. „Das ist Brot und Spiele und nicht meine Welt.“ Durch derlei Plattitüden entstehe ein Stimmungsbild, das ihm nicht gefalle. Fakt freilich ist: Eintracht Frankfurt ist binnen weniger Wochen von einem Champions-League-Platz bis in die Niederungen des tabellarischen Niemandsland durchgereicht worden, droht, sämtliche Ziele in dieser Saison zu reißen durch den vielleicht krassesten Absturz seit 2011 und der berüchtigten Rückserie der Schande. Nichts passt mehr, die Mannschaft ist nicht wiederzuerkennen, es ist alles dahin, was sie vor noch nicht allzu langer Zeit stark gemacht hat.

Einen Strohhalm kann die Eintracht noch packen, in Stuttgart, bei einer Mannschaft, wo „der Geist in der Mannschaft“ nach dem Trainerwechsel „ein anderer scheint und der Glaube an die Qualität da ist“, wie Glasner sagt. Klingt gerade wie das Gegenteil von Eintracht Frankfurt.

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