Eintracht gegen Bayern: Eine Frage des Stolzes

Kommen die Bayern gerade recht oder zur Unzeit? Eintracht-Marathonmann Djibril Sow ist sich unschlüssig.
Frankfurt - Das letzte Mal, als die großen Bayern im Frankfurter Stadtwald vorbeischauten, waren sie danach ganz schön geschrumpft, fast schon verzwergt. Wie ein Orkan war die Eintracht damals über den Dauermeister hinweggefegt, eine Halbzeit lang zumindest. Daichi Kamada erzielte einen wunderbaren Treffer, Amin Younes ließ ein Zaubertor folgen, die Eintracht spielte wie aus einem Guss, beschwingt, gewitzt, famos. Es war auch das Spiel des Amin Younes, der sich zu einer selten gesehenen Glanzleistung aufschwang, die Adi Hütter kurzerhand „Weltklasse“ nannte, und der Trainer selbst musste nach dem 2:1-Erfolg sogar Fragen zu einer möglichen Meisterschaft beantworten. So war das damals im Februar 2021.
Ein Jahr später ist vieles nicht mehr, wie es damals war, in relativ kurzer Zeit passiert halt viel in diesem verworrenen Geschäft. Amin Younes, als Beispiel, wurde nach seinem Parforceritt erst deutscher Nationalspieler, ehe er sich irgendwie in einen anderen Amin Younes verwandelte und seine Karriere im Grunde beendet hat; der gute Mann kickt nun in der Wüste in Saudi-Arabien. Oder Adi Hütter. Der steckt mit Gladbach mitten im Abstiegskampf, sechs Gegentore sind sein Markenzeichen geworden. Und die Eintracht, die damals hart auf Champions-League-Kurs segelte? Hat sich neu erfinden müssen und sich nach Zwischenhoch inzwischen in eine veritable Schaffenskrise manövriert: sechs Rückrundenpartien, vier Niederlagen, vier Punkte. „Die Stimmung ist nicht vergiftet“, sagt Mittelfeldspieler Djibril Sow am Mittwoch nach dem Training bei herrlichem Sonnenschein. „Aber sie ist auch nicht gut.“
Eintracht Frankfurt trifft auf Bayern München
Da kommt so ein Spiel wie gegen Bayern München, Samstag, 18.30 Uhr im Waldstadion, doch gerade recht, oder? „Das ist ein Highlight“, sagt Sow, der schon bei drei Siegen gegen die Münchner auf dem Feld stand und ergo weiß, wie es geht.
Der 25-Jährige hat erkannt, dass sich die Eintracht leichter tut gegen „größere Mannschaften“, gegen Bayern, Dortmund, Leverkusen habe das Team „super Spiele“ gemacht, und vielleicht helfe also der Blick in die Vergangenheit. „Wir müssen positiv bleiben.“ Zumal die Bayern weit weg von ihrer Bestform sind. Der Schweizer Internationale traut dem Braten nicht. „Sie können auch mit 90 Prozent ein Bundesligaspiel gewinnen, das kann sonst keiner.“
Und einfach darauf zu hoffen, dass nun gegen den vermeintlichen Goliath die Initialzündung folge und alle Fesseln gelöst werden, nein, so leicht dürfe man sich das nicht machen. „Man kann jetzt nicht einfach erwarten, dass das Bayern-Spiel den Turnaround darstellt.“ Und doch könne das ewig junge Duell auch eine Chance sein, dann nämlich, wenn die Mannschaft an ihre Grenze oder darüber hinaus geht, wenn „wir eine Leistung zeigen, auf die wir stolz sein können“.
Eintracht Frankfurt: Zuspruch für Kamada
Sow weiß, was es braucht, um den Rekordmeister zu ärgern oder zu schlagen. „Wir müssen schnell und mutig sein“, findet der 25-Jährige, „dann können wir ihnen wehtun“. Und auch kaltschnäuzig, „wir werden bestimmt keine drei, vier Großchancen haben“, deshalb müsse man die wenigen Gelegenheiten eiskalt verwerten. Blöd nur: Gerade dadurch hat sich die Eintracht zuletzt nicht hervorgetan.
Natürlich ist der kluge und sensible Marathonmann gefragt worden, weshalb seit Jahresbeginn der Wurm drinstecke und das Team im Mittelfeld zu versinken droht. Den einen absoluten Grund gebe es gar nicht, findet der Eidgenosse. In der Bundesliga seien viele Kleinigkeiten entscheidend, da geht es auch um Selbstvertrauen, Selbstverständnis, um den Flow eben. „Wer weiß, von was wir reden würden, wenn wir gegen Dortmund gewonnen hätten.“ Man erinnert sich dunkel an das erste Rückrundenspiel Anfang Januar: 2:3 nach 2:0. Für viele der Knackpunkt.
Eintracht Frankfurt: „Die Leichtigkeit fehlt“
„Die Leichtigkeit fehlt“, bemerkt der Fleißarbeiter. „Gegen Ende der Hinrunde lief vieles von alleine.“ Jetzt sei es genau umgekehrt. „Wir belohnen uns fast nie für unseren Aufwand, wir müssen sehr, sehr hart für ein Erfolgserlebnis kämpfen.“ Und doch will Sow nicht alles auf weiche Faktoren und die mentale Beschaffenheit abwälzen.
„Wir müssen unsere individuelle Leistung verbessern, dann werden wir uns auch als Mannschaft wieder verbessern.“ Er sieht einen kausalen Zusammenhang zwischen dem Formverlust der Einzelspieler und dem Abfall der gesamten Mannschaft, was ja auch nur zwingend logisch ist. Wenn Leistungsträger wie Filip Kostic, Daichi Kamada oder Martin Hinteregger nicht in Topform seien, „wird es auch für die anderen schwieriger“.
Gerade für den zuletzt arg gescholtenen und vom eigenen Trainer angezählten Kamada bricht Sow freilich eine Lanze. „Jeder kann mal eine schwächere Phase haben. Daichi ist für mich ein überragender Einzelspieler, mit ihm steht und fällt die Offensive.“ Vielleicht darf sich der Japaner ja schon gegen die Bayern wieder rehabilitieren, denn klar ist: So viele gute Offensivkicker hat die Eintracht gar nicht. (Ingo Durstewitz)