Sorgen vor Halbfinale in London: Das Abwehr-Puzzle der Eintracht

Wer ersetzt bei Eintracht Frankfurt den im West-Ham-Spiel gesperrten Evan Ndicka: Stratege Makoto Hasebe oder Zweikämpfer Almamy Touré?
Frankfurt - Man kann beim besten Willen nicht behaupten, dass West Ham United die Europa League als Beiwerk betrachten würde. Im Gegenteil. Die „Hammers“ aus Ostlondon ordnen alles dem großen Halbfinale gegen Eintracht Frankfurt unter, die Bedeutung des Wettbewerbs ist in etwa so bankturmhoch hoch wie beim Gegner aus Frankfurt. Was Wunder? Erfolge pflastern nicht wirklich den Weg der Engländer, der letzte nationale Titel, der FA Cup, datiert aus dem Jahr 1980, international holte West Ham zuletzt immerhin den sagenumwobenen Intertoto-Cup, 1999 im Finale gegen den FC Metz. Mehr war nicht im letzten halben Jahrhundert.
Und so fokussiert sich der ganze Klub nun auf die Europa League, weshalb sich Trainer David Moyes auch nicht scheute, beim Ligaspiel am Sonntag beim FC Chelsea eine bessere B-Elf aufzubieten und gleich sechs Stammkräfte zu schonen. Rechtsaußen Jarrod Bowen, 23 Jahre alt, Marktwert 35 Millionen, bester Scorer mit neun Treffern und zehn Vorlagen, wurde nur eingewechselt, genauso wie Starspieler Declan Rice, 23, Marktwert 75 Millionen. Mittelstürmer Michail Antonio blieb gleich ganz draußen. Die 0:1-Niederlage, besiegelt durch ein Tor des Ex-Dortmunders Christian Pulisic in der 90. Minute, nahm West Ham, in der Premier League auf Rang sieben, billigend in Kauf. Was soll’s? Am Donnerstag zählt’s.
West Ham United ist höhere Hürde als Barcelona
In Frankfurt wissen sie, was auf sie im Olympiastadion zurollen wird. Die Hürde wird allenthalben als höher eingeschätzt als die, die sich mit dem FC Barcelona in den Weg stellte, auch wenn sich das vordergründig seltsam anhören mag. Doch die Hammers haben eine unangenehme Mannschaft am Start, die voll im Tunnel gen Sevilla ist; Sevilla, der Sehnsuchtsort, der Endspielort.
Eintracht-Trainer Oliver Glasner muss ausgerechnet im ersten Halbfinale am Donnerstag (21 Uhr) in London seine Startelf umbauen, im Mittelfeld fällt Kristijan Jakic gelbgesperrt aus, was schon ärgerlich, aber kein Beinbruch ist. Kapitän Sebastian Rode hat zuletzt gezeigt, dass sein Körper die Belastungen wieder besser toleriert. Fußballerisch bewegt sich der Routinier ohnehin auf einem ungleich höheren Niveau als der Kroate. Und auch Djibril Sow hat seine Zerrung im Knie rechtzeitig auskuriert, sodass die Eintracht ein lauf- und kampfstarkes Mittelfeldzentrum aufbieten kann. Nicht ganz unwichtig.
Sehr viel schwerer wiegt der Ausfall von Abwehrspieler Evan Ndicka, der beim Auswärtscoup in Barcelona in der allerletzten Minute die Ampelkarte sah und ebenfalls aussetzen muss. Das ist insofern schlecht, weil sich der 22 Jahre alte Franzose zum absoluten Souverän im Deckungsverbund aufgeschwungen hat und kaum zu ersetzen ist. Doch was muss, das muss.
West Ham United verfügt über „enorm starke Physis“
Erschwert wird die Angelegenheit dadurch, dass Ndicka als linkes Glied der Dreierkette fungiert, ein weiterer Verteidiger mit starkem linken Fuß aber nicht im Aufgebot steht – außer Martin Hinteregger. Der 29-Jährige gibt zurzeit jedoch den Abwehrchef, hält in der Mitte den Laden zusammen. Das machte er zuletzt wieder deutlich besser als zu Saisonbeginn. Was also wird Glasner tun?
Es gibt die Möglichkeit, den Großmeister Makoto Hasebe als Libero einzubauen und Hinteregger nach links zu schieben. Der 38-Jährige ist der klügste und beste Fußballer, ein Stratege mit der Gabe der Antizipation. Nachteil: Hasebe ist nicht der Schnellste, Zweikampf- und Kopfballstärkste. Glasner hat den Methusalem zuletzt konsequent nicht eingesetzt, was nichts mit dem fußballerischen Vermögen Hasebes zu tun hat, sondern eher mit dem offenbar begrenzten Vertrauen in die Physis des Spielers. Zumal die Verantwortlichen einen körperlich robusten, aggressiven Gegner erwarten, der mit vielen langen Bällen und Flanken operiert. „Sie haben eine enorm starke Physis“, sagt Sportvorstand Markus Krösche, „darauf müssen wir vorbereitet sein.“
West Ham United gegen Eintracht Frankfurt: Hasebe oder Touré?
Glasner hat auch die Angriffsbesetzung der „Hammers“ im Blick, also in erster Linie Michail Antonio. „Ein sehr robuster und schneller Stürmer“, sagt der Coach. „Da müssen wir schauen, ob es mit Makoto Hasebe kompatibel ist.“ Klingt nur bedingt so. Obwohl der 32 Jahre alte Antonio kein wirklicher Brecher, sondern nur 1,80 Meter groß ist. Der Engländer mit jamaikanischen Wurzeln, seit 2015 bei West Ham, hat in dieser Saison in 41 Pflichtspielen zehn Tore gemacht und zehn vorbereitet, in der Europa League kommt er auf einen Treffer (zwei Assists) in sieben Partien.
Sollte sich Glasner gegen Hasebe und für mehr Wucht und Zweikampfstärke in der Abwehr entscheiden, würde Almamy Touré einspringen. Der 25-Jährige hat aus dem Stand weg in Barcelona eine herausragende Leistung gebracht. Das Problem: Rechtsfuß Touré müsste auf der falschen Seite spielen. Noch, sagt Glasner, habe er sich nicht entschieden, doch klar ist: „Eine der beiden Optionen wird es werden.“ (Ingo Durstewitz)