Eintracht Frankfurt gegen West Ham United: The Hammers rule the Römerberg

Vor dem Europa-League-Halbfinale holen englische Fans die Innenstadt von Frankfurt ins Commonwealth. Es ist eine freundliche Übernahme.
Frankfurt – Ein unausrottbares Klischee vom Engländer als solchem besagt, dass dieser stets eine steife Oberlippe behalte. Aber das ist höchstens die halbe Wahrheit. Mitunter riskiert er auch gerne eine dicke. Für diese Art Engländer hat die Polizei den schönen Namen „Risikofan“ erschaffen. Der Risikofan reist seinem Fußballverein um den halben Globus hinterher und trifft fremde Kulturen. Manchmal wird er aber auch getroffen.
Bereits am frühen Mittwochabend (05. Mai), berichtet die Polizei, hatte ein Trupp Risikofans von Eintracht Frankfurt - die gibt’s ja auch - zwei Gäste aus London in Sachsenhausen bewusstlos geprügelt. Kurz darauf wütete ein baseballschlägerbewehrter Frankfurter Mob in einem von englischen Sportsfreunden besuchten Lokal in der Innenstadt und schlug alles kurz und klein. Und kurz vor Mitternacht trennte die Polizei im Gutleutviertel direkt vor dem Anpfiff das gegenseitige Zusammenschlagen zweier Mannschaften aus Gast- beziehungsweise Heimrisikofans. Tatsächlich gab es bis zum Donnerstagnachmittag bereits mehr als 30 Festnahmen randalierender Fußballfans. Böse Omen, könnte man meinen, für das Spiel der Frankfurter Eintracht gegen West Ham United, die man auch unter ihrem Kosenamen „The Hammers“ kennt.
West Ham United gegen Eintracht Frankfurt: Singende Engländer übernehmen den Römerberg
Und tatsächlich schallen dem Besucher der Innenstadt bereits am frühen Nachmittag aus Richtung der Oper schauerliche Töne entgegen. Es ist aber ausnahmsweise nicht der opernnotorische Fliegende Holländer, der Schrecken der Sieben Meere, der da krakeelt. Es ist der Singende Engländer, der Schrecken der sieben Sinne.

Der Singende Engländer kommt vom Anglühen aus dem O-Rilleys oder oder einem der anderen Kneipen im Bahnhofsviertel und ist auf dem Weg zum Römerberg, der wie der Kaisersack an diesem Nachmittag fester Bestandteil des britischen Empires ist. Nach der hessischen Invasion Barcelonas darf sich der Frankfurter darüber weder wundern noch darüber meckern. Aber er muss sich auch nicht fürchten. Denn zumindest am Nachmittag gilt für die Hundertschaften englischer Fans, die sich auf dem Römerberg versammelt haben: Die wollen nur spielen. Und singen.
Beim Singen ist noch Luft nach oben. Aber fehlende Harmonie wird durch enthusiastische Lautstärke wettgemacht. Manchmal wird einfach aus Spaß an der Freud’ gesungen. Manchmal kriegt die Polizei für eine ihrer vielen Lautsprecherdurchsagen ein Dankesständchen. Am schönsten aber ist es, wenn ein Hochzeitspaar aus dem Standesamt im Römer herauskommt oder es hineingeht. Dann singt der ganze Römerberg, und die Brautleute freuen sich. Auch wenn es völlig unklar ist, was da gesungen wird. Der einheimische Zuhörer fragt sich immer wieder, welche Sprache da im Londoner East End gesprochen wird - oder ob man ihn damals beim Englischunterricht in der Schule groben Unfug gelehrt hat. Aber der Ton macht die Musik. Und der ist freundlich.

Vor dem SGE-Halbfinale: Fans von West Ham United übernehmen Frankfurt
Beim Spielen sieht die Sache schon anders aus. Da präsentieren sich die Fans aus London kicksicher und kopfballstark. Unablässig und mit Wucht werden Bälle über den Römerberg gekickt, manchmal über den ganzen Platz, oft in einer Höhe, die dort noch kein Weihnachtsbaum erreicht hat. Sobald ein Ball das Spielfeld unwiderruflich verlassen hat - etwa, weil er auf dem Dach der Nikolaikirche gelandet ist - wachsen zwei neue aus dem Nichts nach. Die Regeln sind einfach. Wer den Ball mit den Händen fängt und länger als eine Sekunde festhält, wird gnadenlos ausgebuht. Wer den Ball mit dem Fuß wieder in den Himmel kickt, wird freundlich beklatscht. Wer dasselbe mit dem Kopf tut, wird bejubelt wie der Prince of Wales. Wer es aber schafft, den Ball mit der Brust zu stoppen, dabei sein Bier gleichmäßig über sich selbst und seine Nachbarn zu verteilen und dann ohne Bodenkontakt das Leder aufs Kirchendach oder den Rathausbalkon zu bolzen, der erlebt auf dem Römerberg seinen ganz persönlichen Excalibur-Rausziehmoment.
So fröhlich und friedlich bleibt es - zumindest vorm Spiel. Am frühen Abend hat die Polizei nichts Schlimmes zu berichten - die Londoner Fans seien sogar friedlich vom Hauptbahnhof aus ins Stadion gefahren, statt, wie befürchtet, vom Römerberg zu marschieren. Was sie hinterlassen haben, ist die Erinnerung an Fans, die kicken und feiern können und sich beim Singen immerhin bemühen. Wer da kein Engländer sein will, dem ist nicht mehr zu helfen. (Stefan Behr)