Tuta tritt bei Eintracht Frankfurt aus dem Schatten

Eintracht Frankfurts Verteidiger Tuta entwickelt sich prächtig neben den viel Raum einnehmenden Kollegen – und tritt aus deren Schatten.
Frankfurt - Wenn in Fußball-Frankfurt vom Abwehrverbund von Eintracht Frankfurt die Rede ist, dann kommt die Sprache schnell auf Martin Hinteregger und dessen fast schon rätselhaften Formverfall. Der Kultspieler wirkt körperlich und mental angeschlagen, seltsam schwerfällig und behäbig – auch geistig. Irgendwas liegt im Argen, irgendwas stimmt nicht mit dem 29 Jahre alten Fanliebling, der so viel kann und zurzeit so wenig zeigt.
Oder es geht um Makoto Hasebe, den Methusalem in Stollenschuhen, den ältesten Spieler der Bundesliga, der auch mit 38 immer noch besser ist als viele Grünschnäbel. Weil er asketisch lebt, auf sich und seinen Körper achtet, und weil er halt das Spiel versteht, es ausliest und es dank seiner fußballerischen Klasse prägen kann. Warum muss der Großmeister aus Japan dennoch vergleichsweise häufig auf der Bank Platz nehmen? Hmm.
Tuta fliegt bei Eintracht Frankfurt unter dem Radar
Oder es kommt Evan Ndicka ins Spiel, der schüchterne und schweigsame Franzose, der zwar immer noch erst 22, aber längst kein Rohdiamant mehr ist. Der 1,92-Meter-Mann ist zum Leistungsträger gereift, hat in dieser Saison noch mal einen gewaltigen Sprung nach vorne gemacht. Ndicka, elegant, schnell, zweikampfstark, hat einen Marktwert von 28 Millionen Euro und einen Vertrag bis 2023. Er gilt als heißes Verkaufsobjekt im Sommer, das viele Millionen bringen könnte – wenn er nicht langfristig verlängert.
Aber über Lucas Silva Melo, genannt Tuta, wird eher selten gesprochen. Der junge Kerl, auch erst 22, fliegt so ein bisschen unter dem Radar, steht im Schatten der Kollegen – dabei hat er sich zur Stammbesetzung als rechtes Glied der Dreierektte aufgeschwungen – solide, zuverlässig, beständig. In 15 der letzten 16 Pflichtspielen stand der Brasilianer in der Startformation, und wäre er nicht in Mönchengladbach vom Platz geflogen und im darauffolgenden Spiel gegen Mainz 05 gesperrt gewesen, wäre gewiss noch ein Einsatz hinzu gekommen. Der junge Tuta, plötzlich unverzichtbar.
Tuta wird bei Eintracht Frankfurt ins kalte Wasser geworfen
Der Rechtsfuß hat eine enorme, eine prächtige Entwicklung genommen, die man ihm in dieser Form nicht unbedingt zugetraut hätte. Er ist ja auch noch nicht so lange auf diesem Niveau dabei, war eine Zeit lang ausgeliehen nach Belgien, KV Kortrijk, dann schlug die Pandemie zu, und die Welt stand still.
Tuta musste sich bei Eintracht Frankfurt danach erst einfinden, aufgepeppelt werden. Lange Zeit galt er als Kronprinz für den langjährigen Kapitän David Abraham, und als der dann vor einem Jahr wirklich Schluss machte und nach Argentinien zurückkehrte, ist Tuta ins kalte Wasser geworfen worden. Er hat sich dann recht schnell freigeschwommen, auch wenn die Leistungen doch arg schwankend waren – für einen jungen Spieler ist das nicht mal unüblich.
Eintracht Frankfurt: Tuta musste nach Patzer sieben Spiele auf die Bank
So richtig happig wurde es für den Mann aus Sao Paulo freilich zu Beginn der aktuellen Spielzeit, als er erst im Pokal in Mannheim folgenschwer patzte und sich postwendend für die nächsten sieben Pflichtspiele auf der Ersatzbank oder der Tribüne wiederfand. „Das war eine schwierige, aber auch sehr lehrreiche Zeit“, findet der Spieler selbst. Coach Oliver Glasner habe ihn aber nicht fallengelassen. „Der Trainer stand immer zu mir, er hat mich wieder aufgebaut.“ Mit Erfolg. Der Fußballlehrer kann sich bestätigt sehen in der Art, wie er mit dem Verteidiger umgegangen ist. „Solche Tiefs machen viele Spieler mit. Aber Tuta ist immer bei der Stange geblieben. Er hatte zuvor gerade mal ein halbes Jahr gespielt, da ist die Konstanz noch nicht so da.“
Umso erfreulicher ist die jüngste Entwicklung. „Die Tendenz ist sehr positiv“, sagt Glasner. „Er hat er sich richtig gut entwickelt, mehr Ruhe am Ball. Aber er muss sich bewiesen, dranbleiben, ich sehe bei ihm auch noch Verbesserungspotenzial.“ Tuta hat auch schon zwei wichtige Tore geschossen, den 1:1-Ausgleich gegen RB Leipzig in der Nachspielzeit und den 1:2-Anschlusstreffer beim spektakulären 5:2-Erfolg über Bayer Leverkusen. Ganz nebenbei steuerte er auch im Testspiel vor ein paar Tagen beim FSV Mainz den einzigen Treffer des Tages bei, ein Abstauber aus kurzer Distanz. Bezeichnend: Der Verteidiger war gedanklich schneller als der ebenfalls einschussbereite Stürmer Sam Lammers.
Eintracht Frankfurt will Tutas Vertrag langfristig verlängern
Gegen Mainz übernahm Tuta in der Dreierkette den zentralen Part, „weil wir ihn dort mal sehen wollten“, wie der Trainer begründet. Womöglich gar ein Fingerzeig für die Zukunft? Makoto Hasebe wird nicht mehr ewig spielen und Martin Hinteregger ist intern nicht unumstritten. Man wird sehen. Eintracht Frankfurt jedenfalls hat gemerkt, was sie an Tuta hat. Der durchaus selbstbewusste und von sich überzeugte Abwehrmann soll seinen in eineinhalb Jahren auslaufenden Vertrag langfristig verlängern. Gespräche laufen bereits. Was er kann, hat sich schnell herumgesprochen: Bereits im vergangenen Sommer gab es für den Verteidiger einige werthaltige Angebote. Die Eintracht hatte abgelehnt. Sie wusste wohl, warum. (Ingo Durstewitz)