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Eintracht Frankfurt leckt die Wunden

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Von: Thomas Kilchenstein, Ingo Durstewitz

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Frankfurter Frustgesellschaft: Nach dem 0:2 gegen Neapel können die Eintracht-Spieler ihre Enttäuschung nicht verhehlen – was Wunder?
Frankfurter Frustgesellschaft: Nach dem 0:2 gegen Neapel können die Eintracht-Spieler ihre Enttäuschung nicht verhehlen – was Wunder? © dpa

Eintracht Frankfurt sucht fieberhaft nach dem Positiven einer 0:2-Niederlage in der Champions League und findet aber nur Durchhalteparolen.

Frankfurt am Main – Die erste Aufbauhilfe für auf die Nase gefallene Frankfurter Himmelsstürmer lieferte der Herr am Mikrofon, da hüllten sich die dampfenden Spieler noch in der warmen Decke aufbauender Gesänge aus der berühmten Nordwestkurve. Stadionsprecher Daniel Wolf also erinnerte sehr lautstark an eine Partie vor 29 Jahren, es sei selbst nach dieser 0:2-Niederlage nichts verloren, damals „haben wir auch in Neapel gewonnen“, es reichte für den Einzug in die nächste Runde. Leider vergaß der gute Mann bei seinem historischen Hinweis dreierlei: Seinerzeit, 1994, hatte Eintracht Frankfurt bereits das Hinspiel 1:0 gewonnen, dieses Mal, zweitens, würde selbst dieses Ergebnis nicht reichen, und drittens deutet nichts, aber auch gar nichts darauf hin, dass sich dieser bärenstarke Gegner aus Neapel das Viertelfinale in der Champions League noch nehmen ließe.

Dazu hinterließ Società Sportiva Calcio aus Napoli einen zu guten, nahezu wunderbaren Eindruck, diese Mannschaft, angeleitet von Altmeister Luciano Spalletti, hat in dieser Verfassung durchaus berechtigte Ambitionen auf den Gewinn des Henkelpotts. Ihre Vorstellung im Frankfurter Stadtwald war zu beeindruckend, zu perfekt, als dass Eintracht Frankfurt nach der Lehrstunde selbst mit heruntergedimmten Hoffnungen an den Fuß des Vesuvs reisen dürfte, in knapp drei Wochen.

Eintracht Frankfurts Sportvorstand begeistert – vom Gegner

Hinterher war auch Sportvorstand Markus Krösche beinahe begeistert von den Italienern, er hat seine Schwärmerei für Bella Italia in einen einzigen Satz verpackt, den er bei seiner ansonsten gewohnt sachlichen Analyse bestimmt fünf-, sechsmal wiederholte: „Neapel hat eine richtig gute Mannschaft.“

Diese unwidersprochene Klasse des Gegners, der einen doppelt so hohen Kaderwert wie die Hessen aufweist, mutterseelenallein mit 15 Punkten die Serie A anführt und gerade zwei von den letzten 31 Spielen verloren hat, legte freilich auch offen, wie weit Eintracht Frankfurt noch von diesem Level entfernt ist. Das ist jetzt kein Vorwurf: Irgendwann ist bei dieser so tapfer und mutig auftretenden Mannschaft eben das Ende der Fahnenstange erreicht und sie stößt an ihr Limit, ins Unendliche lassen sich Grenzen halt doch nicht verschieben. Der SSC Neapel ist jetzt so eine Wand, die – nach Menschen ermessen – nicht mehr überwunden werden kann. Auch weil diesen Klub aus dem Süden Italiens mindestens der gleiche Hunger auf Erfolg antreibt wie die Eintracht - den letzten großen Titel errangen die Neapolitaner, da spielte Diego Armando Maradona noch, 1990 war das, der Scudetto. Und sie nehmen deshalb, womöglich anders als der FC Barcelona im vergangenen Jahr, den internationalen Wettbewerb ernst, teuflisch gut ernst.

Eintracht Frankfurt: Viele „eigene Fehler“

Dessen ungeachtet kann das aus Frankfurter Sicht Erreichte nicht hoch genug eingeschätzt werden. Es hätte an diesem Abend alles passen müssen für eine Überraschung, doch eher das Gegenteil war der Fall. Viele „eigene Fehler“ attestierte Trainer Oliver Glasner seiner Elf, Fehler, die nach einer guten Anfangsphase dem Gegner geholfen und sich selbst „das Selbstvertrauen geraubt“ hätten. Etwa die teilweise unnötig verursachten Ecken (Aurelio Buta), das schlafmützige Verhalten vor dem dann verschossenen Elfmeter (wieder Buta), ungewohnte Fehlpässe (Mario Götze) oder der ungestüme Einsatz vor der Roten Karte (Randal Kolo Muani). Fehler, auch kleine, die auf diesem Niveau entscheidend sind und bestraft werden, vor allem, wenn der Gegenseite, ein aus einem Guss spielendes Ensemble, praktisch kein einziger unterlaufen war, kein „palla banali“ habe sein Team gespielt, wie Spalletti lobte, keinen banalen Ball. Halbwegs gefährlich vor das Tor kamen die heillos unterlegenen Gastgeber zweimal, früh durch Kolo Muani, spät durch Daichi Kamada, das war viel zu wenig.

Natürlich bemühte die Frankfurter Entourage hinterher Durchhalteparolen aller Art. „Wir glauben daran“, sagte der formidable Torwart Kevin Trapp, daran, dass man „das Ding noch drehen“ (Krösche) könne. Oliver Glasner versprach, keinesfalls als „Tourist mit weißer Fahne ins Maradona-Stadion einziehen“ zu wollen, und man werde die Köpfe weder „in die Knie“ noch „in den Sand stecken“. Was sollten sie anderes sagen? Etwa, dass sie mangels Aussichten die A-Jugend schicken?

Aber Glasner hat natürlich auch die Welten gesehen, die zwischen beiden Teams lagen. „Heute fällt mir nicht so viel ein, um genau das zu finden, was wir im Rückspiel benötigen, um zu gewinnen.“ Noch dazu, da die Eintracht mindestens zwei Tore erzielen muss, um überhaupt zurückzukommen, „ein, zwei mehr, als geplant war“, wie Krösche fast launig sagte. Ein Zwei-Tore-Vorsprung, pfiff Glasner im dunklen Wald, sehe zwar komfortabel aus, es sei dennoch „ein gefährliches Ergebnis“, mit einem Treffer könne die Eintracht das Momentum in Neapel auf ihre Seite ziehen.

Glasner fordert mehr „Sorgfalt bei eigenem Ballbesitz“

Allerdings wird das Unterfangen Fußball-Wunder am 15. März ohne den Allerbesten passieren müssen, ohne den rotgesperrten Kolo Muani, die Frankfurter Lebensversicherung, dem in allen 31 Pflichtspielen bislang 15 Tore und 15 Vorlagen gelungen sind. Sein Platzverweis in der 58. Minute war hart, aber nach den Regeln vertretbar. Es war schon der zweite des Franzosen in seinem ersten Jahr bei der Eintracht, beim ersten Mal hatte er ebenfalls versucht, mit langem Bein einen versprungenen Ball noch festzumachen. Im 2:0 gewonnenen Spiel zu Hause gegen Union Berlin war es, da sah er für seine Attacke allerdings gelb, weil es seine zweite war, musste er zum Duschen. Ohne ihn freilich sind die Frankfurter ihrer schärfsten Waffe beraubt. Zu einem Gutteil sind sie sogar von Kolo Muani abhängig, die Stürmer hintendran, Rafael Borré, Lucas Alario, Faride Alidou können den Ausfall des Besten in der Königsklasse nicht im Entferntesten kompensieren. Der Vize-Weltmeister, empfahl Glasner, stets das Positive suchend, möge sich jetzt „mit voller Kraft in der Bundesliga verausgaben“.

Diese Partie hat zudem offen gelegt, wo „wir Entwicklungsbedarf haben“, wie Krösche formulierte. Was kann Eintracht Frankfurt aus diesem Spiel lernen? Glasner meint das Vermeiden einfacher Ballverluste, er meint die Restabsicherung nach hinten, er meint die „Sorgfalt bei eigenem Ballbesitz“ und moniert die Harmlosigkeit bei Offensivstandards, dafür „bekommen wir den Friedensnobelpreis“. Dass die Eintracht aus bitterer Erfahrung zu lernen bereit ist, hat sie bewiesen, etwa nach dem ersten Königsklassenspiel, einer 0:3-Schlappe gegen Sporting Lissabon. Mit einem Sieg im Rückspiel sicherte sie sich das Achtelfinale. Klappt das womöglich auch auf italienisch?

Wenn nun die Lernkurve im Rückspiel so hoch sei, „dass wir mit zwei Toren Unterschied gewinnen können“, sagte Glasner, „werde ich alle Hüte ziehen.“ (Thomas Kilchenstein, Ingo Durstewitz)

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