Martin Hinteregger über Mittel gegen Schlafmützigkeit und seinen Ruf als Sonderling

Eintracht-Profi Martin Hinteregger über Mittel gegen Schlafmützigkeit, seinen Ruf als Sonderling, Heimat, Hubschrauber und Hasebe.
Martin Hinteregger, stimmt es oder täuschen wir uns: Gerade Ihnen fehlen die Fans, die Hinti-Army, ganz besonders. Die Geisterspiele sind nicht ihr Ding.
Mich trifft es am härtesten. Nicht umsonst hatte ich die beste Phase meiner Karriere in den letzten beiden Jahren hier bei der Eintracht. Aber so geht es, glaube ich, den meisten Spielern. Die Spiele haben den Charakter eines Trainingsspiels. Vielleicht gibt es einige, die finden es positiv, ohne Fans zu spielen, weil sie mit Druck nicht so gut umgehen können. Ich bin da das Gegenteil.
Sie brauchen also den Druck?
Je mehr Druck, je mehr Verantwortung, desto besser bin ich.
Ist das ein Grund, warum die ganze Mannschaft zuletzt schlafmützig in ein Spiel gegangen und schnell in Rückstand geraten ist?
Das ist ein großes Problem, allerdings glaube ich nicht, dass das fehlende Publikum der alleinige Grund dafür ist. Wir kamen oft auch mit Fans schwer in Gang. Wir haben dies in dieser Woche konkret angesprochen und werden in der Spielvorbereitung das ein oder andere verändern in der Hoffnung, dass es besser wird.
Auch Sie wirkten in der Anfangsphase oft ungewohnt unkonzentriert.
Ich glaube, ich war in jedem Spiel in den ersten 20 Minuten nicht gut. Danach wurde ich von Minute zu Minute besser, und in der zweiten Halbzeit war ich immer top. Union Berlin letzten Samstag war das beste Beispiel dafür. Ab der 20. Minute war deren Stürmer quasi nicht mehr vorhanden. Aber davor lag es stark an mir, dass er sich in Szene setzen konnte. Aber es betrifft erstaunlicherweise die ganze Mannschaft. Ich hoffe, dass die kleinen Veränderungen, die wir angestoßen haben, helfen.
Was sind das für welche konkret?
Es geht um die Spielvorbereitung – darum, wann wir zum Aufwärmen rausgehen. Normalerweise sind wir immer die erste Mannschaft auf dem Platz. Das werden wir jetzt kompakter gestalten und später in die Kabine gehen, um die Spannung höher zu halten. Vielleicht wird es auch andere Gespräche kurz vor dem Anpfiff geben.
Kam die Initiative aus der Mannschaft oder aus dem Trainerteam?
Sowohl als auch. Union war in der Entwicklung der Tiefpunkt. Da hätten wir nach zehn Minuten 0:3 hinten liegen und eigentlich am Ende als Sieger vom Platz gehen müssen. Wir haben es am Dienstag in der Spielanalyse konkretisiert und nochmal richtig angesprochen. Im Laufe der Woche hat der Trainer viele Gespräche geführt und wir Spieler untereinander ebenfalls.
Die Mannschaft hat sechsmal Unentschieden gespielt, auch gegen Gegner, die schlagbar gewesen wären. Also muss sie jetzt, wenn sie oben dranbleiben will, auch mal Gegner schlagen, die zu den Schwergewichten zählen.
Dafür steht die Eintracht aber auch. Wir können die Großen schlagen, und gegen die starken Gegner ist es für uns momentan vielleicht sogar einfacher. Wir spielen jetzt gegen Dortmund, Wolfsburg und Gladbach – danach wissen wir, ob diese These stimmt. Wir wollen jetzt die Punkte sammeln, die wir gegen die Gegner liegengelassen haben, denen wir qualitativ überlegen sind. Das ist aber auch ein wichtiger Aspekt, wie ich finde. Es war früher nicht automatisch so, dass die Eintracht gegen Köln oder Bremen Favorit war. Und wenn sich die Gegner freuen, dass sie gegen uns unentschieden spielen und wir darüber traurig sind, dann zeigt das die gute Entwicklung von Eintracht Frankfurt. Aber trotzdem müssen wir solche Spiele gewinnen, wenn wir weiter nach oben kommen wollen. Das ist so ähnlich wie bei Borussia Dortmund. Da sagt man auch: Die werden nicht Meister, weil sie eben genau diese Spiele nicht gewinnen. Und so ist es bei uns auch: Wir können nicht ganz oben zur Champions League hinschauen, weil wir diese Spiele auch nicht gewinnen.
Beim Toreschießen läuft es bei Ihnen jetzt auch nicht so gut, nachdem sie in der vergangenen Saison wie am Fließband getroffen haben.
Letztes Jahr lief es aber auch perfekt für mich, da habe ich gleich im ersten Spiel den 1:0-Siegtreffer gemacht. Das sind dann ganz andere Vorzeichen für die gesamte Saison, da hat man eine andere Leichtigkeit. Natürlich sind die Gegner jetzt auch sensibilisiert und achten auf mich, meistens steht noch ein zusätzlicher Manndecker bei mir, selbst wenn sie im Raum verteidigen. Aber ich hatte trotzdem meine Möglichkeiten, jetzt geht er halt an die Latte oder drüber. Ich mache mir da zwar keine Sorgen, aber natürlich Gedanken.
Sie sind ohnehin ein Kopfmensch, der vielleicht sogar zu viel grübelt?
Das kann schon sein. Ich mache mir auch drei Tage nach dem Spiel noch Gedanken über jede einzelne Situation, denke darüber nach, was wir als Mannschaft verbessern können, weil wir in der Tabelle nicht dort stehen, wo wir stehen könnten. Heute schaue ich mir zum Beispiel Einwürfe an, weil ich denke, dass wir da sehr viel mehr rausholen können. Mit solchen Sachen beschäftige ich mich.
Zur Person
Martin Hinteregger ist in Frankfurt längst zum Kultspieler aufgestiegen. Der 28 Jahre alte österreichische Nationalspieler darf sich über einen eigenen Song freuen („Hinti-Army“), die Fans lieben ihn für seine unprätentiöse Art: Hinti ist Hinti, kein Fußballsnob. Und Frankfurt ist für den Mann aus den Bergen ein Stück Heimat geworden. „Ich bin zwar kein Freund von Städten oder Flachland, aber die Menschen sind extrem freundlich, sie machen es mir leicht, mich wohlzufühlen.“
Machen Sie sich auch Gedanken über den Gegenspieler am Samstag? Erling Haaland fällt ja verletzungsbedingt aus, dabei hätte es gepasst wie die Faust aufs Auge. Jetzt kommt wohl eher ein kleiner, schneller, wuseliger Spieler.
Das ist überhaupt nicht meins (lacht). Die kleinen, quirligen, die Haken schlagen, die mag ich gar nicht. Da muss ich mich jetzt anders darauf einstellen. Gegen Haaland, das wäre ein geiler Fight geworden.
Gegen Dortmund haben Sie im Eintracht-Dress ihr erstes Spiel gemacht, auf der rechten Seite. Wäre das eine Option, wenn David Abraham im Januar nach Argentinien zurückgeht?
Ist sicher auch denkbar. Ich denke, Evan Ndicka sollte auch seine Spiele bekommen. Er ist jung und wird der Eintracht noch viel Spaß machen. Das wird mal ein ganz Großer. Das steht fest. Auf der rechten Seite haben wir einige Möglichkeiten, ich kann da sicher auch eine Alternative sein.
Für den Trainer ist das ja ein Dilemma, hinten links hat er zwei Topleute und in der Mitte gibt es noch den alten Makoto Hasebe, der auch nicht schlecht ist.
Mir hat es immer weh getan, wenn ich auf dem Platz stand und habe Evan auf der Bank sitzen sehen. Denn er hat einfach alles. Bei Makoto gibt es noch die Option, dass er im Mittelfeld spielen kann. Hase hat aber grundsätzlich immer noch die Qualität zu spielen, er hat eine Intelligenz, die außergewöhnlich ist. Wenn ich zentral spiele, verändert sich unser Spiel ein bisschen, dann haben wir drei schnelle, robuste Spieler hinten.
Wie gehen Sie, anderes Thema, als lebenslustiger Mensch mit den coronabedingten Restriktionen um?
Natürlich nervt es mich, dass ich im Moment nicht mehr in die Heimat fahren kann. Ansonsten haben wir uns daran gewöhnt. Ich glaube, ich nutze diese Zeit ganz gut. Aber natürlich ist das für einen sensiblen Menschen wie mich nicht leicht und vielleicht auch ein Grund, weshalb es nicht mehr so läuft wie letzte Saison. Bei mir muss sehr viel passen, damit ich auf dem Platz meine Topleistung bringen kann. Dadurch, dass ich im Alltag in gewisser Weise gehemmt bin, könnte sich das auch auf meine Leistung auf dem Platz auswirken. Wir sind auch nur Menschen, nur weil wir Fußballer viel Geld verdienen, heißt das nicht, dass uns das nicht beschäftigt.
Sie sprachen die Trips nach Österreich an, die jetzt ausfallen, für Sie aber so eminent wichtig sind. Erzählen Sie doch mal.
Ein Tag in den Bergen ist für mich wie eine Woche Urlaub, da bekomme ich den Kopf frei für neue Taten. Das geht jetzt nicht. Das ist für mich nicht optimal.
Wie verbringen Sie jetzt Ihre freie Zeit?
Mit dem Thema Hubschrauber beschäftige ich mich sehr, da bin ich gerade dabei, mir ein zweites Standbein aufzubauen. Zurzeit spreche ich viel mit Piloten, bin oft auf dem Flugplatz in Egelsbach, lerne für die Prüfung. Durch die Hubschrauberwelt kann ich der Fußballwelt entfliehen, weil dort Fußball nur wenig interessiert.
Sie gelten ja als der etwas andere Fußballprofi. Stört Sie das?
Nein, ich habe mich nie verbiegen lassen. Wenn ich aus dem Stadion gehe, bin ich kein Fußballprofi mehr, sondern ganz normal. Ich bin auch zu sehr in diese Ecke reingedrängt worden, da heißt es oft: „Der ist ganz anders als alle anderen.“ So ist das nicht. Aber ich suche meine eigenen Wege, ich habe meine eigenen Gedanken. Ich kann nicht politisch antworten, das hängt mir nach. Und wenn ich jemanden nicht mag, dann zeige ich ihm das auch – das gilt genauso, wenn ich jemanden mag. Ich kann mich nicht verstellen. Das ist auf der einen Seite gut, auf der anderen schlecht.
Stört es Sie manchmal, dass Sie der angehimmelte Fußballer sind?
Wir haben eine große Verantwortung und bekommen viel Geld dafür, dass wir Topleistungen bringen. Aber zum Leben gehört doch sehr viel mehr. Und viele Menschen sehen nicht, dass wir ganz normale Menschen sind, wenn wir vom Platz runtergehen. Wir Fußballer sind schon auf ein Podest gehoben worden, wir entfernen uns zu sehr davon, dass wir dem Volk, dem Fan, nahe sein müssen. Das ist schade. Wir sind fremd für die Menschen und nur über die Medien verfügbar. Den Weg gehe ich nicht mit.
Und wenn Sie mal einen Fan mitnehmen und ihn an den Bahnhof fahren, wird gleich eine Riesennummer daraus gemacht.
Für mich ist das ganz normal. Mir kommt es manchmal so vor, als würden viele denken: „Das sind die großen Fußballer, haltet Abstand, habt Ehrfurcht.“ Wenn wir Selfies machen mit Fans, dann können manche kein Foto machen, weil sie so zittern. Das ist eine Entwicklung, die nicht gut ist. Für mich ist es normal, in eine Kneipe zu gehen oder einen Fan mit dem Auto mitzunehmen. Was ist denn schon dabei? (Ingo Durstewitz, Thomas Kilchenstein)