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Die Demontage

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Von: Ingo Durstewitz, Thomas Kilchenstein

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Triumph. Die Eintracht freut sich über das Tor zum 5:1.
Triumph. Die Eintracht freut sich über das Tor zum 5:1. © Hasan Bratic/dpa

Das 5:1 der Eintracht gegen Bayern München kostet Niko Kovac seinen Job beim Rekordmeister.

Filip Kostic drehte fast verschämt den Kopf zur Dolmetscherin, er flüsterte mehr als er sprach, in seiner Muttersprache, dabei spricht der Mann längst ordentlich Deutsch. Aber der Serbe mag diese Gespräche am Flatterband nicht, meist geht er nach Spielen ungefragt in die Kabine, und wenn er Rede und Antwort stehen muss, wie jetzt nach dem spektakulären, atemraubenden 5:1 (2:1)-Triumph über den FC Bayern München, wirkt er zurückhaltend, fast scheu. Ganz im Gegensatz zu seinem Galaauftritt ein paar Minuten zuvor auf dem Platz. Da erschien er wie ein Riese, vollgepackt mit Selbstvertrauen, ein nicht zu stoppender D-Zug auf dem linken Flügel, dribbelstark, fintenreich, schnell, torgefährlich - von keinem einzufangen, auch nicht von Nationalspieler Joshua Kimmich. Immerhin war es Filip Kostic, der dieser aufsehenerregenden, imponierenden Partie den passenden Titel gab: „Ein Spiel wie gemalt.“

Ein paar Schritte davon entfernt hatte Niko Kovac gerade den Kampf verloren, nicht wie ein Häufchen Elend auszusehen.

Niko Kovac: „Man darf hier nicht 1:5 verlieren“

Freud und Leid liegen zuweilen dicht beieinander, an diesem außergewöhnlichen Samstagabend lediglich getrennt von einem Meter oder vielleicht zwei. Der höchst unterschiedliche Gemütszustand zweier Menschen an ihren Mienen und Stimmen ablesen: Hier saß also Niko Kovac, der angeschlagene Noch-Trainer der Bayern, und presste mit stockender und belegter Stimme hervor: „Ich kann mich nicht erinnern, als Trainer höher verloren zu haben. Man darf hier nicht 1:5 verlieren, das ist enttäuschend und ärgerlich, aber das ist die Realität.“ Ende der Durchsage. „Vielen Dank.“ Ein tief getroffener, waidwund wirkender Mann. Ein Trainer auf Abruf, wie sich am Sonntagabend herausstellen sollte.

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Da, um kurz vor 21 Uhr, war er dann seinen Job los, der 48-Jährige. Schnöde entlassen. Nach rund eineinhalb Jahren. Pikanterie am Rande: Ausgerechnet nach einem 1:5 bei Eintracht Frankfurt, seinem Ex-Verein, bei dem er Mitglied auf Lebenszeit ist und dem er mit dem Pokalsieg 2018 zum größten Erfolg seit Jahrzehnten verholfen hat – damals gegen Bayern München. Der Rekordmeister von der Isar zog gestern Abend doch die Reißleine, nachdem es über den Tag hinweg noch so aussah, als würde Kovac eine Gnadenfrist bekommen. Pustekuchen.

Am Samstagabend saß sein Frankfurter Nachfolger Adi Hütter neben ihm und sagte: „Natürlich habe ich Mitgefühl mit Niko.“ Da war vielen schon klar, dass Kovac seinen vorletzten Arbeitstag als Angestellter der Bayern gehabt haben würde. Hütter beschränkte sich aber auf seine Mannschaft und wählte fast schon pathetische Worte, um das Erlebte wiederzugeben: „Das war ein Riesenerlebnis, ein besonderer Tag und ein besonderer Sieg. Das ist nicht alltäglich. Ich bin glücklich und extrem stolz auf meine Mannschaft.“ Zwei Männer, ein Spiel, zwei verschiedene Welten.

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Mit sage und schreibe 5:1 hat Eintracht Frankfurt am Samstagnachmittag den Abonnementsmeister von der Isar in seine Einzelteile zerlegt, die Hessen haben ihren hochdekorierten Widersacher, man muss das klar so sagen, demontiert, ihn nach allen Regel der Kunst auseinandergenommen. Der Erfolg, auch das gehört zur Wahrheit, ging in der Höhe in Ordnung. Die Bayern waren sogar noch gut bedient, hätten sich über ein 1:6 oder 1:7 auch nicht beschweren können, nur dank Nationaltorwart Manuel Neuer setzte es keine historische Pleite für den berühmtesten Verein Deutschlands. „Es ist ein unglaublicher Tag. Das hätten wir uns vor dem Spiel nicht erträumt, aber der Sieg ist in der Höhe verdient“, sagte der starke Mittelfeldmotor Sebastian Rode, der einst selbst das Dress der Münchner trug. „Es lief sehr viel sehr gut für uns.“ Und der gar nicht mal besonders beanspruchte Torwart Frederik Rönnow sprach von „einem unglaublichen Spiel, 5:1 gegen Bayern zu gewinnen, passiert dir einmal im Leben.“

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Eintracht gegen Bayern: Schlüsselszene Rote Karte

Begünstigt wurde das Resultat, da gibt es keine zwei Meinungen, durch die frühe Rote Karte gegen Ex-Nationalverteidiger Jerome Boateng, der sich nach nicht mal zehn Minuten nicht anders zu helfen wusste, als den auf ihn zustürmenden Goncalo Paciencia kurz vor dem Strafraum von den Beinen zu holen. Platzverweis. Eine vertretbare Entscheidung. „Sicher die Schlüsselszene“, wie Adi Hütter richtig analysierte. Zunächst hatte Schiedsrichter Markus Schmidt auf Gelb und Strafstoß entschieden, diese Entscheidung nach dem Studium der Bilder aus Köln aber in den Platzverweis und Freistoß umgewandelt. Eine Viertelstunde danach brachte der überragende Filip Kostic die Eintracht in Führung (25.), Djibril Sow erhöhte nach einer Traumkombination über viele Stationen, ehe Robert Lewandowski die Münchner kurzzeitig heranbrachte (37.).

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Die Hessen machten aber unbeirrt weiter und spielten sich, wie ihr Coach befand, in einen „Rausch“, Kapitän David Abraham (49.), Martin Hinteregger (61.) und Paciencia (85.) sorgten für den Kantersieg. „Das war eine Riesen-Mentalität“, sagte der herausragende Hinteregger. „Wir sind eine richtig geile Mannschaft, genau so müssen wir immer auftreten.“ Die Eintracht ist die beste Heimmannschaft der Liga, hat keine Partie verloren, von den sechs Spielen vier gewonnen.

„Um vorne dabei zu bleiben, müssen wir aber auch auswärts ein bisschen zulegen“, forderte der Trainer, der überraschenderweise „Schlüsselspieler“ (Hütter) Makoto Hasebe auf der Bank gelassen hatte. Eine Entscheidung, die der 49-Jährige selbst als „mutig“ bezeichnete (siehe auch Berichte auf den folgenden Seiten). Zum Schluss feierte auch der länger an der Achillessehne verletzte Angreifer André Silva sein Comeback, übrigens nach nur einem – sehr gemächlichen – Training mit der Mannschaft. Der Portugiese bereitete den 5:1-Endstand dann gleich mal mustergültig vor.

Erster Eintracht-Sieg gegen die Bayern seit neuen Jahren

Der erste Bundesligasieg gegen die Bayern seit neun Jahren schmeckte süß, war aber auch „eminent wichtig“, wie Hütter sagte. Denn mit einer Niederlage hätten die Frankfurter den Anschluss nach oben verloren. So musste Hütter gar eine Frage zur deutschen Meisterschaft beantworten und welche Rolle Eintracht Frankfurt da womöglich spielen könne. „Lassen wir mal die Kirche im Dorf“, entgegnete er lächelnd.

Ballhorn: Mal was fürs Torverhältnis

Bayern-Trainer Kovac indes schwante schon Böses. Er sei weder „naiv noch blauäugig“, er wisse, wie das Geschäft läuft, sagte er. Angeblich sei ihm schon vor dem Anpfiff signalisiert worden, dass dies sein letztes Spiel als Bayern-Trainer sein könne. Überraschend kam die Abreibung ohnehin nicht, Kapitän Manuel Neuer merkt schon lange, dass einiges im Argen liegt. „Es ist kein riesiges Wunder, was hier passiert ist. Es hat sich angebahnt.“

Von Ingo Durstewitz und Thomas Kilchenstein

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