1. Startseite
  2. Eintracht

Eintracht Frankfurt: Die Arbeit am Wunder beginnt

Erstellt:

Von: Ingo Durstewitz

Kommentare

Das große Ziel: Der Weg ins Finale nach Sevilla führt über Barcelona.
Das große Ziel: Der Weg ins Finale nach Sevilla führt über Barcelona. © imago images/motivio

Das Spiel der Spiele wirft seine Schatten voraus: Wie Eintracht Frankfurt den Goliath aus Barcelona zu Fall bringen will.

Er hat es schon wieder getan, der kleine Zauberer Pedri. Am Sonntagabend im Spitzenspiel zwischen dem FC Barcelona und dem FC Sevilla kommt der 19 Jahre alte Barca-Wunderknabe an den Ball, 20 Meter vor dem Tor, er zieht auf, täuscht an, lässt erst Ivan Rakitic ins Leere grätschen, schlägt den nächsten Haken; Diego Carlos rauscht heran, noch eine Finte, die Abwehrkante springt ins Nichts – und dann der harte, platzierte Rechtsschuss aus 17 Metern flach unten ins Eck. 1:0, Siegtreffer, Camp Nou steht Kopf, selbst der besonnene Trainer Xavi flippt aus und mutiert mal kurz zum Rumpelstilzchen.

Dribbelfloh Pedri, 80 Millionen Euro schwer und mit einer Ausstiegsklausel von einer Milliarde (!) Euro bedacht, hat den FC Barcelona mit diesem Zaubertor im Alleingang auf Rang zwei geschossen – so ähnlich wie er erst kürzlich auf internationaler Bühne gegen Galatasaray getroffen und die Spanier ins Viertelfinale bugsiert hatte. „Er ist ein Spieler der Superlative“, schwärmt Barca-Legende Xavi: „Es gibt keinen wie ihn.“

Die Katalanen sind rechtzeitig wieder ins Rollen gekommen, haben sich aus ihrer tiefen Krise befreit und sind von Platz neun ab immer weiter nach oben geklettert. In La Liga sind sie seit 14 Partien unbesiegt, haben sechs Siege in Serie gefeiert. Coach Xavi ist am Sonntag dann sogar gefragt worden, ob vielleicht der Meistertitel noch drin sei, obwohl Real Madrid schon zwölf Punkte weit entflohen ist. „Wir werden weiter um die Meisterschaft kämpfen, solange es mathematisch möglich ist“, antwortete er.

Xavi sollte dann auch noch Auskunft geben über die merkwürdige Schiedsrichterleistung in der Partie zwischen Celta Vigo und Real und auch darüber, ob Barca in dieser Verfassung nicht sogar um den Titel der Königsklasse mitspielen könne. „Wir sind nicht in der Champions League“, entgegnete die Klub-Ikone trocken. „Wir müssen bescheiden sein.“

Das Kuriose: Fragen zum nächsten Gegner in nur wenigen Tagen wurden nicht gestellt, von Eintracht Frankfurt war gar nicht die Rede, so, als gebe es gar kein Viertelfinalhinspiel in der Europa League am Donnerstag im Frankfurter Stadtwald. Ziemlich sicher scheint: Für den FC Barcelona ist die Eintracht eine kleine Nummer, ein Sparringspartner, den man im Vorbeigehen aus dem Weg zu räumen gedenkt.

Gewaltiger könnten die Gegensätze nicht sein, denn für die Eintracht ist die Partie gegen den Renommierklub die größte Begegnung seit mehr als einem halben Jahrhundert, „das zweitgrößte Spiel der Vereinsgeschichte“, wie Trainer Oliver Glasner mit Blick auf das Finale gegen Real Madrid sagt. Das war 1960.

Es gibt kein anderes Fußballthema in und um Frankfurt herum, „die ganze Region ist elektrisiert, Barcelona ist mit Real der größte Name im Weltfußball“, befindet Glasner. Die Eintracht hätte für das Hinspiel am Donnerstag (21 Uhr/RTL) im Waldstadion auch 300 000 Tickets verkaufen können, zuschauen dürfen letztlich nur 48 500. „Das sind Spiele, an die erinnert man sich sein Leben lang“, sagt Verteidiger Tuta. Der junge Brasilianer glaubt tatsächlich, „dass sich Barcelona über das Los Eintracht nicht gefreut hat“.

In Wahrheit war es den Spaniern eher egal. Die zweitklassige Europa League ist nicht der Wettbewerb, über den sich die Glorreichen aus Katalonien, fünffacher Champions-League-Sieger, definieren, die Eintracht nicht der Gegner, der ihrer würdig erscheint, eben ein No-Name. Eine Durchgangsstation. Werden mal eben weggefidelt.

Diese Einstellung aber könnte die Chance für die Eintracht sein. Sollte Barca die Frankfurter Equipe unterschätzen und der Schlendrian erwachen, hätte die Eintracht vielleicht eine Chance, das Wunder zu schaffen, denn rein fußballerisch hat sie gegen den übermächtigen Kontrahenten eigentlich keine Chance. „Wir werden zweimal einen fantastischen Tag brauchen“, sagt Coach Glasner. „Eine überragende Defensive und Effizienz in der Offensive.“

Die Mannschaft müsse ihre Gelegenheiten mit voller Überzeugung ausspielen. „Wir werden gute Kontersituationen bekommen, davon bin ich überzeugt.“ Der Trainer glaubt fest ans Weiterkommen, das sei keine Masche oder aufgesetzter Zweckoptimismus. „Es gibt nur ein Ziel.“ Das Halbfinale. Und dann das Endspiel, Sevilla, 18. Mai.

Glasner, für den das Duell das „Karrierehighlight“ ist, zieht einen nationalen Vergleich als Mutmacher heran: Gegen die Bayern, „die um den Champions-League-Titel mitspielen“, hat sein Ensemble einmal 2:1 gewonnen und einmal 0:1 verloren. „Dann wären wir jetzt schon mal in der Verlängerung.“

Der Österreicher sieht es als Vorteil, dass die Eintracht, anders als beim tranigen 0:0 gegen Fürth, nicht selbst das Spiel machen muss und sich aufs schnelle Umschalten besinnen kann. „Wir sind der Underdog, es wird mehr Raum für uns geben, da tun wir uns leichter“, betont der 47-Jährige. „Wir werden ganz sicher nicht 70 Prozent Ballbesitz haben.“ Ganz spannend findet der Coach ohnehin: „Es gewinnen mehr Mannschaften mit 35 Prozent Ballbesitz als mit 65 Prozent.“ Allerdings heißen die Gegner da nicht immer FC Barcelona.

Die Spanier sind für den Eintracht-Trainer übrigens stilprägend gewesen. Kein Team hat ihn so beeindruckt wie Barca unter Pep Guardiola, nicht nur die Spielkunst, das Tiki-Taka, sondern auch die Bereitschaft, sofort ins Gegenpressing zu gehen. „Wie schnell sie die Bälle wieder gewonnen haben, das war Wahnsinn“, erzählte Glasner im Eintracht-Podcast. „Der Gegner kam kaum aus der eigenen Hälfte heraus, weil sie wie Hyänen hingestürzt sind.“

Die Eintracht wird, klar, einen perfekten Tag brauchen, einen, an dem alles passt. Sie wird auf frenetische Fans in einem Tollhaus angewiesen sein, auf eine Stimmung, die die Mannschaft trägt und nach vorne peitscht. Auf dem Feld wird sie sich nur wenige Fehler erlauben können und sollte eine aggressive Grundeinstellung an den Tag legen, keine Ehrfurcht, sondern einen Schuss Respektlosigkeit. Passivität würde wohl in einem unschönen Erlebnis enden. „Wir haben unsere Qualitäten gegen Topteams aus der Bundesliga und in der Europa League schon unter Beweis gestellt“, sagt Abwehrmann Tuta. „Wir hinterlassen gegen starke Teams meist einen guten Eindruck, weil wir unsere Intensität und Wucht auf den Platz bekommen.“

Tuta, für den die Partie wie für alle anderen auch, die größte seiner noch jungen Laufbahn ist, ist überzeugt davon, dass die Hessen eine reelle Chance haben werden, den Goliath zu Fall zu bringen. „Eintracht Frankfurt ist eine harte Nuss für sie. Wir können Barca ein Beinchen stellen.“

Auch interessant

Kommentare