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Das Eintracht-Debakel

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Von: Thomas Kilchenstein, Ingo Durstewitz

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Rätselnde Frankfurter nach der Abreibung.
Rätselnde Frankfurter nach der Abreibung. © dpa

Eintracht Frankfurt wählt beim Spiel um die Champions League gegen Bayer Leverkusen die völlig falsche Taktik und geht mit 1:6 sang- und klanglos unter.

Als das Debakel nicht mehr abzuwenden war, hat Trainer Adi Hütter seine völlig schiefgegangene Taktik dann endlich geändert. Viel zu spät, auch wenn gerade mal 36 Minuten absolviert waren in einem Spiel, das für Eintracht Frankfurt als „Sechs-Punkte-Spiel“ ausgegeben worden war und das alle Hessen so schnell nicht vergessen werden: Sage und schreibe mit 1:6 lag die Eintracht nach diesen 36 Minuten zurück, 1:6 stand es auch am Ende einer denkwürdigen Begegnung, und tatsächlich hatte die Eintracht, wie angekündigt, „Geschichte geschrieben“: Noch nie hat es in einer Halbzeit sieben Tore in der langen Bundesliga-Historie gegeben, erst vier Mal zuvor hatte eine Mannschaft sechs Tore binnen 45 Minuten erzielt. Es war ein fußballerisches Desaster, Eintracht Frankfurt bot in Leverkusen eine komplett desolate, katastrophale Vorstellung, die meilenweit von Bundesliganorm entfernt war. „Alles ist heute in die Hose gegangen“, sagte Sportvorstand Fredi Bobic. „Ich bin schon so lange im Geschäft, aber sieben Tore in 36 Minuten habe ich noch nie erlebt.Wir haben uns vorführen lassen. Ich habe unsere Mannschaft selbst nicht wiedererkannt.“ An diesem Sonntagnachmittag habe man alles „schlecht gemacht, was man sonst gut gemacht“ habe. Bobic ernüchtert: „Das war heute ein gebrauchter Tag.“

Eintracht Frankfurt ändert die Taktik - ohne Erfolg

So leicht wie gegen diese Frankfurter Mannschaft hat man selten Tore erzielen können, Leverkusen kommt wahrscheinlich im Training nicht so locker durch wie an diesem Sonntagnachmittag. Praktisch jeder Schuss aufs Tor war in der ersten Hälfte ins Netz gegangen. Die Eintracht wirkte lange, lange Zeit wie paralysiert, überhaupt nicht auf dem Platz. „Die geistige und körperliche Frische hat gefehlt“, urteilte Trainer Adi Hütter. Eintracht Frankfurt sei ein Team, das von „der Physis lebt, von Aggressivität und Leidenschaft.“ Wenn derlei Tugenden nicht zum Tragen kommen können, passierten solche Niederlagen. „Wenn wir bissig in den Zweikämpfen sind, können wir gegen jede Mannschaft bestehen. Wenn nicht, auch gegen jede verlieren“, meinte der Coach.

Und man muss sagen: Diese schallende Ohrfeige war in Teilen selbst verursacht. Trainer Hütter lag mit seiner Aufstellung und der Wahl seiner Taktik in diesem Spiel um die Champions League daneben. Er hat diese Partie vercoacht, das erste Mal, seit seinem Amtsantritt im Sommer des vergangenen Jahres. Und dieses Mal ist er sich auch selbst untreu geworden. Denn er hatte die Eintracht extrem defensiv aufgestellt, so defensiv wie noch nie zuvor. Er wollte richtig viel Beton anrühren, um in Leverkusen zum Erfolg zu kommen: Es spielte eine echte Fünferkette mit Almamy Touré, David Abraham, Makoto Hasebe, Martin Hinteregger und Evan Ndicka. Filip Kostic und Danny da Costa agierten weiter vorne, irgendwo in den Halbräumen, wo sie ihrer Stärken beraubt waren. Ante Rebic war einzige Spitze. Im Grunde hatte der 49 Jahre alte Fußballlehrer mit einem Angreifer und zwei halben Offensiven, aber sieben reinen defensiven Kräften angefangen. Diese Mannschaft hat so noch nie zusammengespielt. Und so spielte sie dann auch.

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Keiner fand sich in diesem neuen System zurecht, jeder fremdelte mit seiner Aufgabe. Die Eintracht fand überhaupt keine Bindung, die Profis gewannen kaum einen Zweikampf, standen viel zu weit von ihren Gegenspielern entfernt: Nach den ersten erschütterten 45 Minuten hatten die Frankfurter 18 Prozent Ballbesitz, es kamen genau 58 Pässe an, bei Bayer Leverkusen hingegen 433.

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Es stellt sich auch die Frage, warum Hütter ausgerechnet nach 46 Spielen, in denen die Eintracht stets den Weg nach vorne gesucht und gefunden hat, eine derartige gravierende Systemänderung vornehmen musste. Da hat sich der kluge Fußballlehrer komplett verspekuliert. Es spricht für den österreichischen Coach, dass er hinterher nicht lange um den heißen Brei herum redete: „Ich nehme die Niederlage größtenteils auf meine Kappe“, sagte er. Ausdrücklich nahm er die Spieler in Schutz, „die Kritik geht an mich“.

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Es dauerte genau 1:49 Minuten, da war Hütters Taktik schon Makulatur: Der starke Charles Aranguiz war auf dem linken Flügel sehr frei, seine Hereingabe fand mühelos den noch freieren Kai Havertz und der schoss den Ball von der Strafraumgrenze ins Tor zum 1:0. Julian Brandt (13.) erhöhte auf 2:0, im Gegenzug schaffte Kostic mit einem abgefälschten Schuss zwar das 1:2 - danach wurden die hilflosen Frankfurter hergespielt, nach allen Regeln der Kunst. Fast im Fünfminutentakt fielen die weiteren Tore durch Lucas Alario (23.), Aranguiz (28.), Alario (34,) und Martin Hinteregger (36.), der ins eigenen Tor köpfte. 6:1 nach 36 Minuten.

Adi Hütter spricht von einem rabenschwarzen Tag

Erst dann korrigierte Trainer Hütter seine verkehrte Aufstellung, nahm den völlig überforderten Jetro Willems und Ndicka heraus, und stellte wieder auf die gewohnte Dreierkette um, nahm Kostic und da Costa zurück und brachte Luka Jovic und Mijat Gacinovic, die er eigentlich für das Chelsea-Spiel am Donnerstag schonen wollte. Es wird sich da zeigen, ob diese Schlappe der Mannschaft womöglich einen Knacks gegeben hat. In erster Linie werden die Frankfurter ihre Wunden lecken müssen, um bis zum Europapokal-Rückspiel beim FC Chelsea die Köpfe wieder frei zu bekommen. Leicht dürfte dies nicht werden. „Wir hatten heute einen rabenschwarzen Tag“, sagte Hütter. Andererseits sei nicht allein die Grundordnung an der Klatsche schuld, wenn die Frankfurter Profis einer derartiges schwaches Zweikampfverhalten an den Tag legten.

Immerhin gab es ganz zum Schluss noch einen kleinen positiven Aspekt; Timothy Chandler kam nach seinem Knorpelschaden erstmals in dieser Saison zum Einsatz: Nach 74 Minuten kam er für da Costa ins Spiel. Der Frankfurter Bub hätte einen erfreulicheren Anlass für sein Comeback verdient gehabt.

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